Youtube-SperreTürkei plante einen Angriff auf Syrien
Drei Tage vor den Wahlen lässt Erdogan Youtube sperren. Grund ist ein abgehörtes Gespräch mit brisantem Inhalt zwischen dem Aussenminister und dem Geheimdienstchef.
Wenn ein Gespräch geheim war, dann wohl dieses: Der türkische Aussenminister Ahmet Davutoglu unterhielt sich mit dem Geheimdienstchef Hakan Fidan, dem Unterstaatssekretär im Aussenamt, und einem hohen General. Das Treffen fand letzte Woche im Gebäude des Aussenministeriums in Ankara statt.
Laut einem Tonband, auf dem das Gespräch zu hören sein soll, heckten die vier Männer ein Szenario für einen Angriff auf Syrien aus (ein Transkript des Gesprächs finden Sie hier auf Englisch und hier Teil I und Teil II der Originalaufnahme auf Dailymotion, Beginn nach einigen Sekunden). Demnach sollte eine Attacke auf die türkische Exklave um das Grabmal von Süleyman Schah in Syrien simuliert werden. Diese Attacke sollte dann als Begründung für einen Angriff auf den Nachbarstaat herhalten.
Kampfjet-Abschuss löste schon Vorwürfe aus
Schon nach dem Abschuss eines syrischen Kampfjets vergangene Woche beschuldigte die Opposition die Regierung, einen Vorwand für einen Angriff auf Syrien provozieren zu wollen. Das jetzt enthüllte Gespräch dürfte diesen Vorwurf unterstützen.
Das Gespräch wurde am Donnerstag auf Youtube platziert. Nur wenige Stunden später sperrte die türkische Regierung den Zugang zur Videoplattform. Der Raum, in dem das klandestine Treffen stattgefunden hat, wurde laut der «New York Times» nach Wanzen abgesucht.
Gülenisten unter Verdacht
Die Verantwortlichen müssten sich wegen Spionage verantworten, liess die Regierung verlauten. Erdogan selbst bezeichnete die Enthüllung als «unmoralisch» und «verachtenswert», Davutoglu sprach von einem «Angriff auf die türkische Republik».
Unter Verdacht stehen die sogenannten Gülenisten – die Anhänger von Fetullah Gülen, einem einstigen Verbündeten Erdogans. Seit den Korruptionsvorwürfen gegen die Regierung im vergangenen Dezember sind die beiden zerstritten.
Zumindest Teile der Aufnahme sind echt
Das Aussenministerium bestätigte in der Zwischenzeit Teile der Aufnahme, betonte aber, dass Teile davon verändert wurden. Es handelt sich um die neuste aus einer Reihe von Enthüllungen, mit der sich die Regierung und Erdogan persönlich in den letzten Monaten konfrontiert sahen.
Die Enthüllungen wurden jeweils auf Youtube platziert, die Informationen via Twitter verbreitet. Wie bei der Twitter-Sperre fanden die User auch bei derjenigen von Youtube schnell Ausweichmöglichkeiten. Ging es beim Kurznachrichtendienst darum, die DNA des Accounts zu wechseln, so wich die Community jetzt auf alternative Videoplattformen wie Vimeo oder Dailymotion aus.
Sperre löst internationale Kritik aus
Die erneute Sperre eines Internetdienstes in der Türkei sorgte international für Besorgnis. So bezeichnete etwa Neelie Kroes, EU-Kommissarin für die Digitale Agenda, die Youtube-Sperre als «einen weiteren verzweifelten und deprimierenden Vorgang in der Türkei».
Die Schriftstellervereinigung PEN veröffentlichte am Freitag einen internationalen Protestbrief gegen Beschränkungen der freien Meinungsäusserung in der Türkei. Dutzende Autoren wie Salman Rushdie, Günter Grass, Tarik Günersel, Orhan Pamuk und Michael Ondaatje fordern in dem Appell von der Regierung in Ankara, das Twitter- und Youtube-Verbot mit sofortiger Wirkung aufzuheben.
Die Türkei solle stolz sein, die Heimat von «Europas jüngstem Internetpublikum» mit über 36 Millionen Nutzern zu sein, erklären die Autoren. (kmo/sda)
Grabmal von Süleyman Schah
Das Bauwerk befindet sich in einer türkischen Exklave in Syrien, rund 30 Kilometer südlich der Grenze der beiden Länder. Es enthält die Gebeine von Süleyman Shah, dessen Enkel Osman I. das Osmanische Reich gründete. 1921 überliess Frankreich als damalige Mandatsmacht in Syrien das Grabmal der Türkei. Seit 1973 steht es bei der Euphrat-Brücke bei Sarrin in der Nähe von Aleppo. In dieser Region bekämpfen sich Regierungstruppen, syrische Rebellen und Islamisten der ISIS-Gruppe. Letztere haben tatsächlich schon Mausoleen zerstört, weil sie diese für ketzerisch halten.