Wahlbehörde: Tunesiens umstrittene neue Verfassung angenommen

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WahlbehördeTunesiens umstrittene neue Verfassung angenommen

94,6 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Volksabstimmung in Tunesien stimmten für die neue Verfassung. Die Wahlbeteiligung lag lediglich bei 30,5 Prozent, weil das Referendum von der Opposition boykottiert wurde.

Die neue Verfassung gibt ihm mehr Macht: Der tunesische Präsident Kais Saied gibt seine Stimme ab. (25. Juli 2022)
Die Opposition und Nichtregierungsorganisationen befürchten infolge der Verfassungsänderung eine Rückkehr des nordafrikanischen Landes zu einem autoritären System.
Das Oppositionsbündnis FSN warf der Wahlbehörde aber vor, die Zahlen «gefälscht» zu haben: Saied mit seinen Anhängern.
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Die neue Verfassung gibt ihm mehr Macht: Der tunesische Präsident Kais Saied gibt seine Stimme ab. (25. Juli 2022)

AFP/Tunisian Presidency

Darum gehts

Die umstrittene neue Verfassung Tunesiens ist bei dem von der Opposition boykottierten Referendum wie erwartet mit breiter Mehrheit angenommen worden. Die von Präsident Kais Saied vorangetriebene Verfassungsänderung, die dem Staatschef deutlich mehr Macht verleiht, erhielt bei der Volksabstimmung vom Montag laut vorläufigen Zahlen 94,6 Prozent Zustimmung, wie der Chef der Wahlbehörde Isie, Farouk Bouasker, am Dienstagabend bekanntgab. Die Wahlbeteiligung lag nach neuesten Angaben bei lediglich 30,5 Prozent.

Laut Isie gaben 2,756 Millionen Wähler ihre Stimme ab. Am Vortag hatte die Wahlbehörde von einer Wahlbeteiligung von 27,54 Prozent bei 2,46 Millionen abgegebenen Stimmen gesprochen. «Isie gibt bekannt, dass die neue Verfassung angenommen wurde», erklärte Behördenchef Bouasker nun.

Vorwürfe der Opposition

Das Oppositionsbündnis FSN warf der Wahlbehörde aber vor, die Zahlen «gefälscht» zu haben. «75 Prozent der Tunesier haben sich geweigert, dem vor einem Jahr von Kais Saied gestarteten Putsch-Projekt ihre Zustimmung zu geben.» Zur FSN gehört auch die islamistische Ennahda-Partei.

Die Opposition und Nichtregierungsorganisationen befürchten infolge der Verfassungsänderung eine Rückkehr des nordafrikanischen Landes zu einem autoritären System. Oppositionsparteien hatten deswegen zu einem Boykott des Referendums aufgerufen und bezeichneten dieses als «illegalen Prozess».

Laut der neuen Verfassung kann der Präsident den Regierungschef und die Minister künftig ohne parlamentarische Beteiligung ernennen und auch wieder entlassen. Er kann im Parlament Gesetzestexte einbringen, die Vorrang vor anderen Entwürfen haben. Die Stellung des Parlaments wird deutlich geschwächt. Eine Absetzung des Präsidenten ist in der neuen Verfassung nicht vorgesehen.

Kritik aus dem Ausland

Der Jurist Sadok Belaïd, den Präsident Saïed mit der Erarbeitung der Verfassung betraut hatte, distanzierte sich von der Endfassung. Er erklärte, sie könne «den Weg zu einem diktatorischen Regime freimachen».

Auch aus dem Ausland kommt Kritik. So sagte der Sprecher des US-Aussenministeriums, Ned Price, am Dienstag, bei Zivilgesellschaft, Medien und Parteien in Tunesien seien «grosse Bedenken» über das Referendum und einen Mangel an Transparenz laut geworden. Mit der neuen Verfassung gebe es in dem Land auch eine geringere gegenseitige Kontrolle der Verfassungsorgane, «was den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten beeinträchtigen könnte».

Saied war Ende 2019 gewählt worden. Vor einem Jahr entmachtete er unter Berufung auf Notstandsgesetze die Regierung und das Parlament. Kritiker befürchten, die Verfassungsreform könnte das Land zurück zu einem autoritären Regierungssystem wie unter dem langjährigen Staatschef Zine el Abidine Ben Ali führen. Dieser war im Jahr 2011 infolge der Massenproteste des sogenannten Arabischen Frühlings entmachtet worden.

Tunesien galt lange Zeit als Demokratie-Hoffnungsträger nach dem Arabischen Frühling. Das Land hat aber mit grossen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen und leidet unter der Corona-Pandemie und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. 


(AFP/chk)

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