Ukraine-Krieg«Jeder Quadratzentimeter ist vermint» – Gegenoffensive gerät ins Stocken
Die ukrainischen Truppen sind frustriert: Bei der gross angekündigten Sommeroffensive kommen sie nur langsam und unter grossen Verlusten vorwärts.
Darum gehts
Die ukrainische Offensive kommt nicht recht vorwärts.
Dies liege daran, dass sich die Russen gut vorbereitet hätten und über viel mehr Reserven etwa bei der Artillerie verfügten, sagen Kämpfer.
Frontoffiziere beklagen hohe Verluste ukrainischer Truppen, sobald man angreife.
«Die Situation ist sehr schwierig. Die Russen hatten zu viel Zeit, um sich vorzubereiten. Es war ihnen klar, dass eine der Richtungen des ukrainischen Angriffs, wenn nicht sogar die Hauptrichtung, Saporischschja sein würde», sagte ein Militärarzt gegenüber der «Kiew Post».
Und die Russen hätten sich gut vorbereitet: «Jeder Quadratzentimeter ist vermint», sagt der Arzt. «Sie legen Minen auf den Zufahrten zu ihren Stellungen und sprengen sie, wenn sie sich zurückziehen.» Niemand habe mit einer solchen Situation gerechnet: «Wir sind kopfvoran auf die Minenfelder gestossen und haben uns nur im Schneckentempo fortbewegt», fügt er hinzu. «Wir haben wirklich sehr viele Pioniere verloren. Sie gehen immer vor den Truppen.»
Doch nicht nur die allgegenwärtigen Minenfelder bremsen den ukrainischen Vorstoss. Auch wegen Artilleriefeuern, Panzern, die von der anderen Seite entfernter Hügel aus feuern, Drohnen sowie gelenkter und ungelenkter Bomben und Sprengfallen müssten die Truppen hohe Verluste mit Toten und Verwundeten hinnehmen. Die Moral der Truppen leide darunter, dass sie für geringe Geländegewinne hohe Preise an Menschenleben bezahlen würden. «In einem Monat sind wir gerade einmal eineinhalb Kilometer vorwärtsgekommen», sagt der Feldarzt. Das sei der Verlust an Menschenleben nicht wert.
«Sobald wir uns bewegen, gibt es hohe Verluste»
Ein kampferfahrener Major der ukrainischen Armee erklärt der Zeitung die weiteren Schwierigkeiten: Man verfüge kaum über Luftunterstützung und nur begrenzte Munitionsvorräte für die Artillerie. Auch die Doktrin, das Leben der eigenen Soldaten möglichst zu schonen, lasse den Befehlshabern nur wenige andere taktische Optionen, als Angriffe auf kurze Distanz gegen russische Stellungen zu starten. Die Strategie, die russische Armee durch ständige Angriffe auszuhöhlen, funktioniere zwar, habe aber hohe Verluste zur Folge. Russland verfüge über eine viermal so grosse Bevölkerung wie die Ukraine, habe die Lufthoheit inne – und die Artillerie habe jede Befestigung im Visier, die von der Ukraine erobert werden könnte.
Die ukrainischen Soldaten hätten zwar intensiv trainiert, russische Gräben und Befestigungen einzunehmen, nicht aber, wie sie diese halten sollten. «Eine russische Stellung einzunehmen heisst, unvermeidlich zum Ziel zu werden», berichtet ein Kämpfer. «Sobald wir einen Angriff erfolgreich durchführen, beginnt uns die russische Artillerie von allen Seiten zu beschiessen.»
Für jede 100 Meter würden vier bis fünf Soldaten sterben. Wenn man in der Stellung bleibe und sich nicht bewege, sei man zwar einigermassen sicher, so der Soldat. Doch: «Sobald wir uns vorwärts bewegen, gibt es hohe Verluste.» Bis zur Hälfte der Einheit gehe für jeden eroberten Kilometer drauf – «und es ist nicht sicher, dass wir diesen Kilometer später halten können».
Es leide auch die Moral der Truppen – was das offizielle Kiew dementiert. So habe sich bisweilen eine Art Galgenhumor breitgemacht. «Menschen in einem abstürzenden Flugzeug haben keine Chance, und laut Statistik haben wir 30 Prozent Tote und 40 Prozent Verwundete, also eine echte Überlebenschance», sagt der Soldat. «Es ist also nicht so schlimm. Auch im normalen Leben können einem Ziegelsteine auf den Kopf fallen.»
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