«Die Geburtsvorbereitung erfolgte innerhalb von 30 Minuten»

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Unbemerkte Schwangerschaft«Die Geburtsvorbereitung erfolgte innerhalb von 30 Minuten»

Plötzlich Mutter: S. bemerkt erst in der 36. Woche, dass sie schwanger ist. Uns erzählt sie, wie es dazu kam. Ausserdem erklärt eine Frauenärztin das Phänomen.

Der Vater von S.* stirbt überraschend im November – ein herber Schicksalsschlag für die damals 21-Jährige.
Im Essen findet sie Trost von der Trauer. Zwei Monate später scherzte ihr Freund, dass ihre Gewichtszunahme langsam mehr nach einem Schwangerschaftsbauch aussieht. (Symbolbild)
Doch das konnte sich S. eigentlich nicht vorstellen. Seit ihrer Jugend nimmt sie Hormonpräparate, da sie an Endometriose leidet. Eine Periode hatte sie seit Jahren nicht mehr.
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Der Vater von S.* stirbt überraschend im November – ein herber Schicksalsschlag für die damals 21-Jährige.

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Darum gehts

  • Viele Frauen erkennen eine Schwangerschaft an Symptomen wie Übelkeit und Ausbleiben der Periode.

  • Doch bei manchen bleibt sie länger unbemerkt – wie auch bei S.*

  • Aufgrund von Endometriose und psychischem Stress entdeckte sie ihre Schwangerschaft erst in der 36. Woche.

  • Eine Gynäkologin gibt im Interview Einblicke in das Phänomen.

Müdigkeit, Brustspannen, Übelkeit, Ausbleiben der Menstruation – dies sind nur einige Symptome, wie Frauen merken, dass sie schwanger sein könnten. Und doch kommt es vor, dass Schwangerschaften unbemerkt bleiben. Dies gar nicht so selten, wie man denkt – das zeigt auch die Geschichte von S.*

S. war 21 Jahre alt, als ihr Vater überraschend starb. «Ich fand eine gewisse Entspannung im Essen und habe somit an Gewicht zugenommen», erzählt sie. Zwei Monate später scherzte ihr damaliger Freund und heutiger Mann, dass «aus dem ‹Fett-Bauch› eine richtige Schwangerschaftskugel» geworden sei. «Doch das konnte eigentlich gar nicht sein. Seit meiner Jugend leide ich an Endometriose und nahm täglich Hormonpräparate. Meine Periode hatte ich seit Jahren nicht mehr», so die heute 30-Jährige.

«Sie sagte, ich sei bereits in der 36. Woche»

Abends im Dunkeln, aus Scham vor Bekannten im Laden, kaufte sie daher an einem Münzautomaten zwei Schwangerschaftstests. Der erste war positiv – und auch der zweite am nächsten Morgen. Also folgte sofort der Termin bei der Gynäkologin. Auch hier bestätigte sich die Schwangerschaft.

Doch damit nicht genug: Nach dem ersten Ultraschall schätzte die Ärztin, dass sich S. sogar schon in der 24. Schwangerschaftswoche befand. «Nach der genauen Vermessung des Babys schätzte sie dann, dass es bereits die 36. Woche war! Ich bekam einen dunklen Tunnelblick», erzählt S. Im Sprechzimmer erhielt sie einen Tee zur Beruhigung und rief ihren Mann an. «Auch er konnte danach kaum noch klar denken.»

Viele Sorgen und viel Unterstützung

Unvergesslich war auch die Reaktion ihrer Mutter: «Ich erzählte ihr, dass ich beim Gyni bin und etwas gar nicht gut ist. Sie vermutete das Schlimmste. Doch als ich ihr sagte, dass ich schwanger bin, meinte sie nur erleichtert: ‹Ach, nur ein Kind!›» Anschliessend holte sie S. von der Arztpraxis ab und habe Freudentränen in den Augen gehabt.

«Im ersten Moment war es sehr schwer für uns gewesen und wir hatten viele Sorgen bezüglich Platz, Geld, Arbeit, Freundschaften. Einige Freundschaften veränderten sich – vielleicht beneideten uns sogar einige», erinnert sich S. Doch die Unterstützung ihres Umfelds gab ihr schliesslich Kraft und Zuversicht. «Auch mein Chef reagierte sehr positiv. Er war zwar überrascht, aber freute sich für mich.»

Geburtsvorbereitung im Expressverfahren

Der Geburtstermin wurde auf vier Wochen später geschätzt. Schnell musste die Babyausstattung her – natürlich unter Berücksichtigung der Lieferfrist. «Beim Kinderwagen mussten wir einfach ein Modell nehmen, welches sie auf Lager hatten. Er tat seinen Zweck, war aber nicht der schönste», erklärt sie. Die Geburtsvorbereitung erfolgte innerhalb von 30 Minuten beim Frauenarzt. «Alles andere mussten wir auf uns zukommen lassen.»

Hast du schon einmal von überraschenden medizinischen Diagnosen in deinem Umfeld gehört?

«Letztlich war es dann sieben Wochen später so weit. Es war wunderschön, mit unserem Baby nach Hause zu gehen, und ich liebte es von Anfang an», sagt S. rückblickend. Die unerwartete Schwangerschaft, so kurz nach dem Verlust ihres Vaters, brachte ihr wieder viel Freude ins Leben. «Es hat uns auch als Paar enorm weitergebracht», reflektiert sie.

Zudem revidierte S. ihr Bild der ‹idealen Schwangerschaft›. Sie arbeitete zuvor sogar selbst einmal in einer gynäkologischen Praxis. «Immer wieder kamen Frauen, welche ihre Schwangerschaften nicht bemerkten. Damals verstand ich das gar nicht.» Doch mittlerweile sehe sie das vollkommen anders und verstehe die Gründe. «Niemand kann dir das Gefühl ‹Schwangersein› erklären und nicht jede Frau empfindet das gleich!», schliesst S. nachdenklich.

*Name der Redaktion bekannt

«Etwa 100 Schweizer Frauen pro Jahr bemerken ihre Schwangerschaft erst später»

Dr. med. Aline Hohl ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe und leitende Ärztin in der Ladies Permanence Stadelhofen.

Dr. med. Aline Hohl ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe und leitende Ärztin in der Ladies Permanence Stadelhofen.

Ladies Permanence Stadelhofen

20 Minuten: Frau Hohl, wie häufig bemerken Frauen nicht, dass sie schwanger sind?

Aline Hohl: Gemäss meines Wissens sind es circa 100 Frauen pro Jahr in der Schweiz, welche die Schwangerschaft bis zur 20. Schwangerschaftswoche nicht bemerken. Ich habe es selbst noch nicht so häufig erlebt, aber auch schon die eine oder andere Frau in so einer Situation betreut.

Wie ist es möglich, dass eine Schwangerschaft unbemerkt bleibt?

Fällt die Menstruation aus, kommt man eher auf den Verdacht, dass man schwanger sein könnte. Bei Einnahme der Minipille, Hormonstäbchen, Hormonspirale oder Endometriose-Medikamenten hat man jedoch keinen Zyklus und daher keine Periode. Manche Frauen haben auch von Natur aus einen unregelmässigen Zyklus. Auch bei regelmässigem Zyklus kann die Periode ausfallen, vor allem wenn die Frauen körperlich oder psychisch sehr gestresst sind. All das kann dazu führen, dass eine Schwangerschaft länger unbemerkt bleibt.

Aber spürt man nicht, dass man schwanger ist?

Eigentlich können alle Schwangerschaftsanzeichen sehr subtil sein, vor allem wenn man nicht an eine Schwangerschaft denkt. Zudem kann man Brustspannen oder Übelkeit haben, ohne dass man schwanger ist. Kindesbewegungen werden zu Beginn eher als Blähungen wahrgenommen.

Was kann die Wahrscheinlichkeit einer unbemerkten Schwangerschaft erhöhen?

Tendenziell betrifft dies sehr junge Frauen, da sie meist nicht mit einer Schwangerschaft rechnen. Frauen mit erhöhtem Körpergewicht nehmen meist nicht viel zu während der Schwangerschaft, so wird kein wachsender Bauch bemerkt. Aber auch andere Erkrankungen, z.B. im psychischen Bereich, können eine verminderte Körperwahrnehmung bewirken.

Wie wirkt sich eine späte Erkennung der Schwangerschaft auf die Gesundheit von Mutter und Kind aus?

Es gilt als Risikoschwangerschaft, da keine 3-Monats-Kontrolle, Pränataldiagnostik und Ultraschalluntersuchungen stattgefunden haben. Genetische oder körperliche Erkrankungen sowie Feststellung des Geburtstermins sind nicht mehr so gut möglich. Ein unsicherer Geburtstermin kann eher zur Geburtseinleitung führen. Ausserdem können Komplikationen wie Schwangerschaftsdiabetes oder Präeklampsie übersehen werden. Dies kann gefährlich sein für Mutter und Kind.

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