
Muss nach einem Unfall mit Blechschaden zwingend die Polizei gerufen werden?
ShutterstockKollisionUnfall mit Blechschaden – wann muss ich die Polizei rufen?
Mareike hat kürzlich einen Auffahrunfall mit Blechschaden verursacht. Muss in einem solchen Fall zwingend die Polizei gerufen werden?
Frage von Mareike an das AGVS-Expertenteam:
Ich war vor einigen Tagen in einen Auffahrunfall verwickelt, bei dem zum Glück niemand verletzt wurde. An den Autos gab es nur kleine Schäden. Da ich den Unfall verschuldet hatte, entschuldigte ich mich sofort beim anderen Autofahrer und bot ihm an, zusammen ein Unfallprotokoll auszufüllen und die Sache gleich meiner Versicherung zu melden. Der andere Lenker wollte aber trotz allem die Polizei rufen, da man dies bei jedem Unfall müsse. Nun meine Frage: Hatte er recht? Beziehungsweise in welchen Fällen muss die Polizei generell gerufen werden?
Antwort:
Liebe Mareike!
Deine erste Frage – die vor dem Wort «beziehungsweise» – kann ich sehr rasch beantworten: Sofern sich die Beteiligten bei Bagatellunfällen über die Schuldfrage einig sind und ein Unfallprotokoll ausgefüllt wurde, lohnt es sich im Normalfall nicht, bei der Polizei Meldung zu erstatten. Die Polizei kann zwar zusätzlich die genauen Umstände des Unfalles feststellen, bringt aber in der Regel keinen weiteren Mehrwert. Oft wird in diesen Fällen nur eine zusätzliche Bestrafung des schuldigen Lenkers erreicht.
Sofern sich die Beteiligten bei Bagatellunfällen über die Schuldfrage einig sind und ein Unfallprotokoll ausgefüllt wurde, lohnt es sich im Normalfall nicht, bei der Polizei Meldung zu erstatten.
Nun kommen wir zum zweiten Teil der Antwort, der ein wenig ausführlicher wird: Sobald ein Unfallbeteiligter dies verlangt, muss die Polizei zwingend herbeigerufen werden (Art. 56 Abs. 1 bis Verkehrsregelnverordnung [VRV]). Die Beteiligten dürfen ab diesem Zeitpunkt den Unfallort nicht mehr verlassen, bis sie von der Polizei eine Erlaubnis dazu erhalten haben (Art. 56 Abs. 2 VRV).
Weiter ist die Polizei, unabhängig vom Willen der Beteiligten, in folgenden Fällen immer herbeizurufen:
• Bei (möglichen) Personenschäden, die über kleine Schürfungen oder Prellungen hinausgehen. Ausgenommen sind Fälle ohne Drittbeteiligung, bei denen nur der Fahrzeugführer oder seine Angehörigen lediglich leicht verletzt wurden (Art. 55 Abs. 1 und 2 VRV)
• Bei Sachschäden, wenn es nicht möglich ist, dem Geschädigten unverzüglich die eigenen Kontaktdaten zukommen zu lassen. Ein Zettel auf der Windschutzscheibe oder im Briefkasten genügen nicht! (Art. 51 Abs. 3 Strassenverkehrsgesetz [SVG]).
• Und wenn durch den Unfall Gefahren für die Verkehrssicherheit (z.B. ausgelaufenes Öl, herabgefallene Ladung etc.) entstanden sind und sich diese nicht unverzüglich beseitigen lassen (Art. 54 Abs. 2 VRV).
• Wer erst nachträglich erfährt, dass er an einem Unfall beteiligt gewesen sein könnte (z.B. durch Schäden am Auto), hat sich unverzüglich bei der Polizei zu melden oder zur Unfallstelle zurückzukehren (Art. 56 Abs. 4 VRV).
• Auch bei Unfällen mit Wildtieren muss entweder eine Meldung an die Polizei oder an den Wildhüter erfolgen (Art. 23 Jagdverordnung Kt. Bern). Bei Unfällen mit Haustieren gelten die gleichen Regeln wie bei Sachschäden (vgl. Art. 641a Zivilgesetzbuch). Sofern der Haustierbesitzer die Kontaktdaten des Lenkers erhalten hat und keiner der Beteiligten dies wünscht, ist also keine Meldung an die Polizei nötig.
Wer die Polizei in den genannten Fällen nicht über den Unfall orientiert, muss mit einer Busse rechnen (vgl. Art. 92 Abs. 1 SVG). Wurden durch den Unfall Personen verletzt (sei es auch nur geringfügig) oder gar getötet, so macht sich der betreffende Lenker zudem wegen Fahrerflucht strafbar, wenn er den Unfallort ohne Benachrichtigung bzw. Erlaubnis der Polizei verlässt. Das Verlassen der Unfallstelle zwecks Hilfeleistung oder Aufsuchens eines Spitals ist natürlich erlaubt. Bei Fahrerflucht drohen Geld- oder Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren und ein Ausweisentzug von mindestens drei Monaten (Art. 92 Abs. 2 und Art. 16c Abs. 1 lit. e SVG).
Das letztgenannte Strafmass droht auch jenem, der sich ohne Benachrichtigung der Polizei von der Unfallstelle entfernt, sofern diese bei Kenntnis des Unfalles mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Atemalkohol- oder Blutprobe angeordnet hätte (Art. 91a Abs. 1 SVG). Das Bundesgericht bejahte dies zum Beispiel bei einem Parkschaden, den der Lenker um ca. 03.00 Uhr auf dem Parkplatz eines Dancings verursachte und bei einem gröberen Selbstunfall, bei dem das Fahrzeug auf dem Dach landete. Vorausgesetzt wird aber grundsätzlich, dass für den Unfall eine Meldepflicht bestand (vgl. oben).
In Anbetracht der möglichen Strafen sollte daher im Zweifelsfall die Polizei über den Unfall orientiert werden. Wie eingangs erwähnt, kann bei Bagatellunfällen aber im Grundsatz eine Meldung unterbleiben, sofern sich die Beteiligten über die Schuldfrage einig sind.
Gute Fahrt!
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