Verzweifelter Vater will die Lehre seiner Tochter bezahlen

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LuganoVater will die Lehre seiner Tochter bezahlen

Eine 18-Jährige aus Lugano sucht seit Monaten erfolglos eine Lehrstelle. Ihr Vater ist mittlerweile so verzweifelt, dass er bereit ist, die Ausbildung seiner Tochter aus dem eigenen Sack zu bezahlen.

Bettina Zanni
von
Davide Illarietti
Die 18-jährige Tochter sass nach Monaten des Nichtstuns und vergeblichen Bemühungen um eine Lehrstelle nur noch entmutigt auf dem Sofa herum. Länger ertrug der Vater aus Lugano den Anblick nicht.
Er entschied sich deshalb, den Lehrlingslohn für seine Tochter aus dem eigenen Sack zu bezahlen.
Viele Eltern befinden sich in einer ähnlichen Situation. Ende März wurden im Kanton Tessin nur 329 Lehrverträge abgeschlossen. Das sind 12 Prozent weniger als im Vorjahr.
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Die 18-jährige Tochter sass nach Monaten des Nichtstuns und vergeblichen Bemühungen um eine Lehrstelle nur noch entmutigt auf dem Sofa herum. Länger ertrug der Vater aus Lugano den Anblick nicht.

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Darum gehts

  • Seit Monaten sucht eine Tessinerin erfolglos eine Lehrstelle in der Kinderbetreuung.
  • Damit seine Tochter überhaupt eine Lehrstelle bekommt, ist ihr Vater bereit, deren Lohn aus dem eigenen Sack zu zahlen.
  • Im Kanton Tessin sind so viele unter 25-Jährige arbeitslos wie noch nie.

Die 18-jährige Tochter sass nach Monaten des Nichtstuns und vergeblichen Bemühungen um eine Lehrstelle nur noch entmutigt auf dem Sofa herum. Länger ertrug der Vater aus Lugano den Anblick nicht. Er entschied sich deshalb, den Lehrlingslohn für seine Tochter aus dem eigenen Sack zu bezahlen.

«Ich kontaktierte verschiedene Firmen und gab ihnen zu verstehen, dass ich zu allem bereit bin. In einem Fall war ich eindeutig», sagt der 42-jährige D. D.* zu Tio.ch/20 minuti. Sein Vorgehen sei nicht richtig, räumt er ein. «So dürfte es nicht sein. Aber jemand soll sich mal in meine Lage versetzen.»

18’000 arbeitslose unter 25-Jährige

Viele Eltern befinden sich in einer ähnlichen Situation. Ende März wurden im Kanton Tessin nur 329 Lehrverträge abgeschlossen. Das sind 12 Prozent weniger als im Vorjahr. In den ersten Juniwochen kamen rund 30 Lehrverträge dazu. Das Tessiner Kultur- und Erziehungsdepartement betonte, dass es wichtig sei, weiterhin Lernende zu beschäftigen. Das Ziel sind wie in den Vorjahren 2500 Lehrverträge.

Im Kanton Tessin stieg die Zahl der unter 25-jährigen Arbeitslosen im April um 18 Prozent. Mitte Juni waren in dieser Gruppe rund 18’000 Personen arbeitslos, was einem Rekord entspricht. Betroffene wie die Tochter von D. D., die in der Arbeitswelt noch gar nicht Fuss fassen konnten, tauchen in der Statistik jedoch gar nicht auf.

Eltern müssten sich darum kümmern

«Es ist frustrierend. Meine Tochter suchte nach dem Abbruch des Gymnasiums vor einem Jahr eine Lehrstelle im Krippensektor. Es gibt nur sehr wenig Stellen und wir standen immer vor geschlossenen Türen», sagt D. D. Seien die Behörden nicht fähig, dem Nachwuchs eine Ausbildung anzubieten, müssten sich die Eltern darum kümmern. «Es wäre dann zahlen, um zu zahlen. Ich sagte mir: Hauptsache, sie erlernt einen Beruf.»

Bis jetzt hat noch kein Betrieb das Angebot von D. D. angenommen. «Es kann vorkommen, dass sich die Eltern bereiterklären, die Lehre ihrer Kinder zu finanzieren», sagt Manuele Bertoli, Vorsteher des Kultur- und Erziehungsdepartements. Dies sprenge das duale Bildungssystem völlig. «In diesen Fällen wird der Ausbildungsvertrag nicht genehmigt.» Im Nachhinein sei es punktuell zu abnormalen Situationen gekommen. Die Ausbildungsbetriebe hätten diese Fälle verwaltet. Laut Bertoli ist es in gewissen Sektoren schwierig, einen Ausbildungsplatz zu finden, während andere Betriebe Mühe haben, Lehrlinge zu rekrutieren. Die Pandemie erschwere die Lehrstellensuche etwa im Gastronomiesektor. Im Krippensektor würden die Ausbildungsplätze dagegen um eine Klasse erhöht. Auch sei ein Massnahmenpaket zur Anstellung von Lernenden bereit, das in Kürze präsentiert werde.

*Name der Redaktion bekannt.

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