Engadin«Vergiften Langläufer unsere Fische?»
Giftige Skiwachse sorgen im Engadin für tiefe Sorgenfalten. Eine Stichprobe des «K-Tipp» hat gezeigt, dass in den Fischen riskantes Fluor steckt. In der EU ist der gefährliche Inhaltsstoff verboten. Die Schweiz hinkt hinterher.
Darum gehts
In Engadiner Fischen wurden giftige Fluorverbindungen nachgewiesen.
Für den Bündner Fischereiverband sind Langläufer die Hauptverursacher dafür.
In den Skiwachsen sind Fluorverbindungen enthalten.
Eine Untersuchung legt einen Zusammenhang nahe.
Geht es nach dem Fischereiverband, braucht es ein konsequentes Verbot.
Das Engadin ist ein beliebtes Ausflugsziel für Langläufer. Beim legendären Engadiner Skimarathon strömen jeweils über zehntausend Sportler ins Bündnerland, um am Anlass teilzunehmen. Das Startgelände ist üblicherweise auf dem gefrorenen Silsersee. Wegen der vielen Langläufer im Engadin schlägt der kantonale Fischereiverband Alarm. In der Zeitschrift «Bündner Fischer» fragte Verbandpräsident Radi Hofstetter: «Vergiften Langläufer unsere Fische?»
Denn die Sportler brauchen für ihre Skis Wachse mit giftigen Fluorverbindungen. Solche Wachse machen die Ski wasserabweisend und verbessern die Gleitfähigkeit auf dem Schnee, berichtet das Konsumentenmagazin «K-Tipp» (Bezahlartikel). Für Lebewesen sind sie aber eine Gefahr, sagt Hofstetter zu 20 Minuten. Es geht dabei um Fluorcarbone. Der Präsident des Fischereiverbandes Graubünden erklärt: «Diese Stoffe reichern sich in der Leber und in anderen Organen von Lebewesen an. Sie sind nicht mehr abbaubar. Ab einem gewissen Wert können Fluorcarbone die Fortpflanzung gefährden.»
Fluorcarbone
Die perfluorierten Verbindungen PFOS und PFOA sind Industriechemikalien, die aufgrund ihrer technischen Eigenschaften jahrzehntelang in zahlreichen industriellen Prozessen und Produkten eingesetzt wurden, so etwa in der Produktion von Textilien, Elektronik, Papierbeschichtungen, Farben, Feuerlöschschäumen und Skiwachs. Sie sind biologisch, chemisch und thermisch äusserst stabil sowie Wasser und Fett abweisend.
Durch diese hohe Stabilität und Vielseitigkeit waren sie jahrelang nicht aus der Industrie wegzudenken. Seit 2010 ist die Verwendung von PFOS in Europa verboten. Für PFOA gilt seit 2020 ein Verwendungsverbot. Trotz dieser Verbote sind die Stoffe weiterhin in der Umwelt, in der Nahrungskette und im Menschen nachweisbar.
Quelle: Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen
Stichprobe durchgeführt
Hofstetter spricht von einer besorgniserregenden Situation. Besonders für die Jungfische seien Fluorcarbone eine grosse Gefahr. «Die Fische laichen im Frühling in den Seen unter den Loipen. Gerade in dieser Zeit, wo die Jungfische beginnen Nahrung aufzunehmen, sinken Wolken vom Wachs mit den giftigen Inhaltsstoffen zum Grund.» Wissenschaftliche Untersuchungen, was das bei den Jungfischen auslöst, gibt es nicht. Doch bei erwachsenen Fischen wurden Untersuchungen vorgenommen. Verschiedene Studien weisen auf die Problematik hin und schlagen Alarm. «K-Tipp» hat eine Stichprobe bei Fischen aus fünf Seen im Engadin durchgeführt. Ein Labor hat 44 Fische untersucht und in 13 Perfluoroctansäure (PFOA) nachgewiesen. PFOA ist eine der gefährlichen Fluorcarbone. Das Bundesamt für Gesundheit hat PFOA als krebserregend eingestuft.
Am schlimmsten sei die Situation am Silsersee. Dort habe fast jeder zweite Fisch PFOA aufgewiesen. Das Labor habe auch drei Fische aus einem See untersucht, der fern von den Langlauf-Loipen liegt. Keines dieser Tiere habe die Säure aufgewiesen. Für Hofstetter wird der Zusammenhang von PFOA bei den Fischen mit dem Skisport durch diese Proben bestätigt.
Werte «extrem hoch»
Laut dem Konsumentenmagazin hält die Umwelttoxikologin Joëlle Rüegg von der Uni Uppsala in Schweden die Annahme, dass das PFOA in den Fischen vom Skiwachs stammt, «für gerechtfertigt». Die nachgewiesenen Werte bei den Fischen bezeichnet Rüegg als «extrem hoch». Sie rät davon ab, solche Fische zu essen. «Es könnte zusammen mit anderen PFOA-Quellen zum Gesundheitsrisiko werden», wird die Umwelttoxikologin zitiert.
Swiss Ski meint auf Anfrage von 20 Minuten dazu: «Der Nachweis der Stoffe in der Umgebung ist plausibel; vergleichbare Studien zeigen aber, dass die Mengen, die durch Langlauf frei gesetzt werden, sehr klein sind. Der direkte Zusammenhang müsste präzise begutachtet werden.» Mediensprecher Christian Stahl sagt zudem, die Produkte mit Fluor seien bei der breiten Masse eher die Ausnahme und kämen in erster Linie im Wettkampfbereich zum Einsatz. Zudem weist er darauf hin, dass Fluorverbindungen auch bei anderen Anwendungen wie beispielsweise Schutzbekleidungen oder Feuerlöschern enthalten sind.
Forderung von konsequentem Verbot
Das weiss auch Radi Hofstetter vom Fischereiverband Graubünden. Für ihn ist aber der Skisport der grösste Verursacher des Problems. Deshalb fordert er: «Beim Skiwachs müssen alle Fluorcarbone verboten werden. Es braucht ein konsequentes Verbot. Nur PFOA zu verbieten, reicht nicht.» PFOA ist in der EU seit Juli 2020 verboten. In der Schweiz gilt das Verbot ab dem 1. Juni. Und im Profisport untersagt der internationale Skiverband ab der Saison 2021/22 fluorhaltige Skiwachse.
Dieses Verbot findet Swiss Ski richtig. Stahl sagt, man arbeite mit Hochdruck an einem Projekt «Non-Fluor: Gleiten mit nachhaltigen Materialien». «Wir möchten die Fluorverbindungen auch im Wettkampfsport so schnell wie möglich durch konkurrenzfähige Produkte ersetzen», so der Swiss Ski-Sprecher. Gemeinsam mit Partnern aus der Forschung und der Industrie forsche und entwickle Swiss Ski Möglichkeiten, Fluor mit konkurrenzfähigen Produkten im Bereich Heisswachs und Liquid zu ersetzen.
Im Breitensport und somit auch im Engadin bleibt die Problematik bestehen. «K-Tipp» weisst darauf hin, dass mit einem Verbot von PFOA die Gefahr nicht gebannt wäre. Hersteller von Skiwachs verwenden gemäss dem Bundesamt für Gesundheit nämlich auch andere Fluorverbindungen, für die das Gesetz keine Grenzwerte nenne. Laut dem Amt sind auch diese «eine Gefahr für die Gesundheit und die Umwelt». Am besten sei es, ganz auf Fluorverbindungen zu verzichten. Der Bundesrat sperre sich aber gegen ein Verbot.
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GTRD, Grosstier-Rettungsdienst, Tel. 079 700 70 70 (Notruf)
Schweizerische Vogelwarte Sempach, für Fragen zu Wildvögeln, Tel. 041 462 97 00
Tierquälerei:
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