Vermiest uns eine dritte Welle jetzt den Sommer?

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Steigende Zahlen in der SchweizVermiest uns eine dritte Welle jetzt den Sommer?

Laut dem BAG könnte die Schweiz am Anfang einer dritten Welle stehen. Dies heizt den Streit darüber an, ob der Bundesrat am Freitag neue Lockerungen beschliessen darf.

«Die Situation ist sicher nicht die günstigste, um jetzt grosse Öffnungsschritte umzusetzen», sagt Patrick Mathys vom BAG.
Mathys führte aus, dass bei den Todesfällen und Hospitalisierungen kein weiterer Rückgang (siehe Box) beobachtbar sei.
«Ein weiterer Öffnungsschritt ist eine Gefahr und führt direkt in die dritte Welle», sagt Dimitry Rougy, Mediensprecher von «Voix Civique».
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«Die Situation ist sicher nicht die günstigste, um jetzt grosse Öffnungsschritte umzusetzen», sagt Patrick Mathys vom BAG.

20min/Simon Glauser

Darum gehts

  • Das Bundesamt für Gesundheit hält grosse Öffnungsschritte angesichts der steigenden Corona-Fallzahlen für ungünstig.

  • Laut der Allianz «Voix Civique» setzt die Schweiz mit baldigen Öffnungen ihre Erfolge in der Pandemie aufs Spiel.

  • Der Economiesuisse-Chefökonom hingegen erwartet dank Impfungen grössere Lockerungen.

«Die Fallzahlen steigen weiter», sagte Patrick Mathys, Leiter der Sektion für Krisenbewältigung beim Bundesamt für Gesundheit an einer Medienkonferenz am Dienstag. Die Entwicklung sei äusserst unsicher. Es stellt sich laut Mathys die Frage, ob die Schweiz an der Schwelle zu einer dritten Welle stehe. «Die Situation ist sicher nicht die günstigste, um jetzt grosse Öffnungsschritte umzusetzen.» Bereits vergangene Woche hatte der Bundesrat vor einer dritten Welle gewarnt. Trotzdem will er am Freitag über neue Lockerungen wie die Öffnung der Restaurant-Terrassen oder den Wegfall der Homeoffice-Pflicht entscheiden.

Mathys führte aus, dass bei den Todesfällen und Hospitalisierungen kein weiterer Rückgang (siehe Box) beobachtbar sei. Da die Reproduktionszahl derzeit bei 1,13 liegt, rechnet das BAG mit Fallzahlen, die sich alle vier Wochen verdoppeln. Auch die zurzeit rund 400’000 vollständig Geimpften entspannen die Situation nur bedingt. «Die geringe Anzahl der Geimpften bei den Personen zwischen 50 bis 60 Jahren sowie die neuen Virus-Mutationen können zur Belastung für das Gesundheitssystem werden», so Mathys.

«Erfolge gehen verloren»

Für «Voix Civique» (siehe Box), eine Allianz aus der Zivilgesellschaft, kommt ein weiterer Öffnungsschritt deshalb nicht infrage. «Unüberlegte Öffnungen sind gefährlich. Damit drohen wir direkt in die dritte Welle zu laufen und es werden noch mehr Menschen sterben oder mit Langzeitfolgen krank», sagt Mediensprecher Dimitri Rougy. Dass der Bundesrat jetzt bereits über weitere Lockerungsschritte entscheiden wolle, könne die Allianz nicht verstehen. «Wenn wir zu früh öffnen, kommt es zum Jojo-Effekt und wir müssen bald wieder schliessen. Dann geht alles noch länger. Wir brauchen eine Strategie, wie wir Menschenleben schützen und nach den Öffnungen auch offen halten können.»

Er sei überzeugt, dass die Bevölkerung mit starken Massnahmen umgehen könne – denn dies sei der schnellste Weg aus der Krise, so Rougy. «Die Mehrheit hält sich gut an die Massnahmen. Wenn wir durchhalten und die Fallzahlen rasch senken, können wir viele Menschen schützen und im Sommer wieder weitgehend öffnen. Das müssen die Ziele sein.»

Auch auf Social Media machen User mobil gegen mögliche Öffnungen. Daniel Probst, Betreiber der Website corona-data bezeichnet die Lockerungen als «sozialen Mord»:

Kantone sehen dank Impfungen Raum für Öffnungen

Andere verweisen darauf, dass sich die Ausgangslage seit dem Herbst dank Impfungen und Massentests grundlegend verändert hat. «Die Lage ist fragil, das ist klar», sagt auch Rudolf Minsch, Economiesuisse Chefökonom. Deswegen die Massnahmen wieder zu verschärfen, hält er aber nicht für angebracht. «Wir sehen, dass immer mehr Personen geimpft sind. Zudem sind wir in der Lage, viel mehr zu testen. Verschärfungen der Massnahmen werden damit immer weniger haltbar. Sobald einmal die Risikogruppen geimpft sind, erwarte ich grössere Lockerungen.»

Minsch rechnet damit, dass spätestens im Sommer alle geimpft sein werden, die das wollen. «Die öffentliche Hand hat diese Ansage gemacht und wir werden sie daran messen. Solange das noch nicht der Fall ist, soll es zusammen mit den immer grösseren Testkapazitäten eine schrittweise Lockerung der Massnahmen geben. Die Mittel, dass das kontrolliert geschieht, haben wir.»

Auch einige Kantone wollen wegen der unsicheren Lage nicht auf Lockerungen verzichten. Die Kantone St. Gallen, Appenzell Innerrhoden, Freiburg, Uri und Schwyz etwa fordern auch die komplette Öffnung der Restaurants, während der Bundesrat vorerst nur die Terrassen öffnen will. Zudem setzt sich der Kanton Aargau für eine sofortige Aufhebung des Verbots des Präsenzunterrichts an Hochschulen ein.

Kantonsarzt sieht Ermüdungserscheinungen

Eine Umfrage des Vergleichsdiensts Comparis zeigt, dass die Heimarbeit trotz Homeoffice-Pflicht nur leicht zugenommen hat. Auch etwa der Basler Kantonsarzt Thomas Steffen stellt in der Bevölkerung nach der nun schon über ein Jahr dauernden Pandemie teilweise Ermüdungserscheinungen fest. Er appelliert daran, dass alle Menschen einen Beitrag zur Verhinderung einer starken dritten Welle leisten könnten. «Indem wir die nötigen Verhaltensmassnahmen mittragen und unser eigenes präventives Verhalten weiterhin den kritischen Situationen anpassen.»

Massnahmen-Befürworter organisieren sich

Die Voix Civique ist eine Allianz, die von den zivilgesellschaftlichen Bewegungen IG «Offener Brief», «Gegen die Gleichgültigkeit» sowie der Corona-Mahnwache lanciert wurde. Ihr gemeinsames Ziel: die täglichen Fallzahlen auf ein Minimum zu reduzieren und damit die Corona Pandemie zu beenden. Das soll mit einschneidenden Massnahmen geschehen. Diese basieren auf den Empfehlungen der Experten und der Wissenschaft.

Der Bundesrat wird sich kommenden Freitag mit der zweiten Lockerungsetappe befassen. Will die Schweiz weiter ihre Massnahmen lockern, so sollen bestimmte Richtwerte erfüllt sein – diese hat der Bundesrat vor einigen Wochen definiert. So werden neben der Auslastung der Intensivstationen auch der R-Wert, die 14-Tages-Inzidenz und die Positivitätsrate angeschaut.

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