Vermisste hinterlassen finanzielles Chaos

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Vermisst - verschwunden -verschollenVermisste hinterlassen finanzielles Chaos

Geht der Ehemann morgens aus dem Haus und verschwindet spurlos, muss die Frau nicht nur mit den Sorgen und Ängsten um ihren Partner kämpfen. Auch finanziell wird sie allein gelassen. Keine Sozialversicherung zahlt und der Lohn des Ehemanns wird bald eingestellt.

von
Annette Hirschberg

Der Fall ist mysteriös: Der 43-jährige Markus Staudenmann geht am 15. April 2009 aus dem Haus und fährt nach Zürich. Gemäss seiner Frau unterrichtet er dort jeden Mittwoch an der ETH. Doch sein Kurs fällt an diesem Tag wegen den Semesterferien aus. Kurz nach 17 Uhr telefoniert er zum letzen Mal vom Hauptbahnhof Zürich aus mit einer Bekannten, der nichts am Verhalten von Staudenmann aufgefallen ist. Seither ist der Dozent der Fachhochschule Nordwestschweiz wie vom Erdboden verschluckt.

Die Polizei glaubt an ein Abtauchen oder einen Suizid, Ehefrau Ruth an ein Gewaltverbrechen. Doch es gibt keine Spur, nicht den kleinsten Hinweis darauf, was mit dem 43-Jährigen passiert ist. Allein zurück bleiben seine 44-jährige Ehefrau und seine vier Kinder (8 bis 15 Jahre alt) im neu gebauten Einfamilienhaus im Kanton Aargau. Sie werden nicht nur von quälender Ungewissheit und Ängsten um das Schicksal ihres Ehemanns und Vaters geplagt. Auch finanziell kommen grosse Nöte auf sie zu.

Lohn kann per sofort eingestellt werden

Die Frau des Vermissten, Ruth Staudenmann, will zu ihrer finanziellen Situation keine Auskunft geben. Klar ist aber: Die Fachhochschule Nordwestschweiz hätte laut Gesetz die Lohnzahlungen an Familie Staudenmann per sofort einstellen können. Aus Kulanz zahlt sie trotzdem ab Zeitpunkt des Verschwindens noch drei Monatslöhne.

Weitere Zugeständnisse dürften aber schwierig werden. Hinterlassenenzahlungen in Form von Wittwen- oder Waisenrenten darf die Familie nämlich so schnell keine erwarten. Die Aargauische Sozialversicherungsanstalt (SVA) winkt auf Anfrage ab. Rein rechtlich sei dies erst möglich, wenn die Verschollenheit nach fünf Jahren richterlich festgestellt werde, sagt Adrian Bryner, Leiter Leistungen. «Die kantonalen AHV-Stellen haben hier keinen Spielraum», fügt er an. Auch bei den Pensionskassen ist die gesetzliche Regelung klar. Für die Auszahlung von Leistungen für Wittwen und Waisen gelten die Fristen aus dem Zivilgesetzbuch. Das heisst: Eine Frist von einem Jahr bei nachrichtenloser Verschollenheit unter Lebensgefahr (etwa bei einem Flugzeugabsturz oder nach dem Tsunami) und von fünf Jahren bei nachrichtenloser Verschollenheit. Auch eine erneute Heirat ist erst nach Ablauf dieser Fristen möglich.

Bleibt der Mann tatsächlich fünf Jahre lang verschwunden, kann bei einem Gericht ein Gesuch um eine Verschollenheitserklärung eingereicht werden. Steht der Tod richterlich fest, erhalten die Angehörigen rückwirkend alle Leistungen aus Pensionskasse, AHV und Lebensversicherung vom Zeitpunkt des Verschwindens an.

Bis es soweit ist, bleibt einer mittellosen Familie nur der Gang aufs Sozialamt. Für Ruth Staudenmann leuchtet aber ein kleines Licht am Ende des düsteren Tunnels: Der Arbeitgeber von Ehemann Markus, die Fachhochschule Nordwestschweiz, sucht derzeit nämlich mit Vertretern der Sozialversicherer nach einer finanziellen Lösung für die Familie.

Vermisst werden viele, verschwunden bleiben wenige

In der Schweiz verschwinden jährlich tausende Personen. Die meisten tauchen nach kurzer Zeit wieder auf. Nur wenige bleiben für immer unauffindbar. Auf der Personenfahndungsseite von Swiss Police werden derzeit 55 vermisste Personen geführt. Darunter 25, die seit weniger als fünf Jahren verschwunden sind. Die älteste Vermisstanzeige ist die von Heidi Knobel. Sie wird seit August 1976 in Yverdon-les-Bains vermisst. Sie war zum Zeitpunkt des Verschwindens 16 Jahre alt.

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