Verspekuliert sich Magnitogorsk erneut?

Aktualisiert

«Time-out» mit Klaus ZauggVerspekuliert sich Magnitogorsk erneut?

Magnitogorsk ist offensiv eine der besten Mannschaften ausserhalb der NHL und fürs Final-Rückspiel 60:40-Favorit. Aber das Offensivspektakel ist nicht perfekt. Das ist die Chance der ZSC Lions.

von
Klaus Zaugg

Magnitogorsk hat, wie die ZSC Lions, das Meisterschaftspiel zwischen den beiden Finalpartien gewonnen: 2:0 auswärts gegen Kazan und Torhüter Ilya Prosukuryakow erzielte das 2:0 ins leere Tor. Die Lions gewannen 3:1 in Langnau und Goalie Ari Sulander hielt 39 von 40 Schüssen. Beide Teams sind also in Form.

Die Chancen der ZSC Lions standen fürs Hinspiel 50:50. Im Rückspiel sind sie 40:60 Aussenseiter. Weil Magnitogorsk die Chance hat, aus den Fehlern des Hinspiels die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Aus zwei Gründen haben die ZSC Lions trotzdem eine realistische Chance.

Erstens: In seiner heimischen Liga geniesst Magnitogorsk viele Freiheiten und trifft nicht auf defensiv so gut organisierte Gegner wie den Schweizer Meister. Wird der Angriffsaufbau durch ein aggressives Forechecking bereits in der eigenen Zone gestört, fehlt der Raum, um Schwung zu holen, dann gerät die Offensiv-Maschine ins stottern.

Zweitens: Viel Spekulation im Spiel der Russen. Sie haben nicht die Energie, um 60 Minuten lang Vollgas Druck zu entwickeln und spekulieren deshalb meist erfolgreich, dass es in der zweiten Spielhälfte gelingt, die zum Sieg nötigen Tore zu erzielen. Hinter dieser Spielweise steckt eine gewisse Arroganz. Gegen die ZSC Lions ging diese Spekulation (fast) in die Hosen: Als der Sturmlauf begann, führten die Schweizer schon 2:0 und es reichte nur noch mit viel, viel Glück zum späten Ausgleich (2:2). Im Rückspiel wird Magnitogorsk in der ersten Spielhälfte nicht mehr so passiv sein.

Bei den Sturmläufen wird viel spekuliert: Kaum defensive Mitarbeit im eigenen Drittel, völlige Ausrichtung auf die Offensive und spekulatives Stellungsspiel. Das macht das Angriffspiel von Magnitogorsk so gefährlich und so spektakulär. Kommen die Pässe an, dann kann mit wenigen Spielzügen selbst eine so gut organisierte Abwehr wie jene der ZSC Lions in Grund und Boden kombiniert werden. Aber im Hinspiel gelang es nur, einen einzigen Treffer herauszuspielen. Der Ausgleich fiel nach einen haltbaren Verzweiflungsschuss. Die ZSC-Verteidigung kann also diesem Druck stand halten - und kontern. Acht Spieler von Magnitogorsk haben in dieser Champions League entweder eine negative +/-Bilanz, standen also bei mehr Minus- als Plustoren auf dem Eis. Bei den ZSC Lions sind es sieben.

Das Offensiv-Spektakel der Russen ist also nicht perfekt. Offensive Kopflosigkeit war einst die einzige Schwäche des russischen Eishockeys zu Zeiten der Sowjetunion und gehört heute noch zur russischen Hockeykultur.

Die Zahlen sagen allerdings, dass die ZSC Lions das offensiv spektakulärste Team sind: Sie führen alle CHL-Offensiv-Statistiken an: Adi Wichser ist CHL-Topskorer (1 Tore, 11 Assists) und hat am meisten Assists (11). Ryan Gardner ist mit 7 Treffern bester Torschütze und Mathias Seger (3/1) ist vor Severin Blindenbacher (2/2) der produktivste Verteidiger der gesamten CHL. Sechs der zehn besten CHL-Skorer tragen das Dress der ZSC Lions und nur einer (Jan Marek) jenes von Magnitogorsk.

Ein Widerspruch? Nein. Schon vor 24 Jahren ist in einer Studie der Sporthochschule Prag nachgewiesen worden, dass mehr als 60 Prozent aller Tore nach schnellen Gegenangriffen und nicht nach Druckphasen erzielt werden.

Magnitogorsk ist vorwärts eine der besten Mannschaften ausserhalb der NHL und macht mehr Druck als der Schweizer Meister. Aber die ZSC Lions kontern besser.

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