Covid-19-Patienten«Versprechen Sie mir, dass ich wieder aufwache»
Patienten, die alleine sterben, andere, die spürten, wenn es ernst um sie stand: Italienische Ärzte berichten von ihren dramatischen Erfahrungen in der Corona-Krise.
Die Spitäler sind überlastet, das Personal ist völlig erschöpft – das ist eine Seite der Corona-Krise in Italien. Die andere ist genauso dramatisch: Patienten, die alleine sterben, weil sie von ihren Verwandten nicht begleitet werden dürfen, andere, die spüren, wie sie langsam sterben. Die Erfahrungsberichte von Ärzte und Pfleger sind erschütternd:
«Versprechen Sie mir, dass ich wieder aufwache»
Maria Cristina Settembrese arbeitet seit 1997 als Pflegerin im Spital San Paolo in Mailand. Eine erfahrene Pflegerin. Was sie dieser Tage im Spital erlebt, bringe sie aber täglich zum Weinen, sagt sie zu «Fanpage». In ihrer Abteilung seien alle 15 Betten mit Covid-19-Patienten besetzt. «Kürzlich mussten wir einem 42-jährigen Mann erklären, dass wir ihn aufgrund seines schlechten Zustands betäuben und intubieren müssten», sagt Settembrese. «Er drückte meine Hand und sagte, ‹Versprechen Sie mir, dass ich wieder aufwache. Ich habe zwei Töchter und würde sie sehr gerne aufwachsen sehen›. Ich sagte dann zu ihm: ‹Natürlich wachen Sie wieder auf›.» Gewissheit hat Settembrese keine.
«Es ist, als würden sie ertrinken. Nur langsamer»
Francesca Cortellaro, Leiterin der Notaufnahme im Spital San Carlo Borromeo bei Mailand, erzählt der Zeitung «Il Giornale» vom schrecklichen Gefühl, Corona-Patienten zu sehen, die einsam sterben, weil wegen der Quarantäne keine Verwandten sie begleiten dürfen. «Sie spüren, wenn sie sterben. Sie sind wach. Es ist, als würden sie ertrinken. Nur langsamer, so, dass sie alles mitbekommen.»
«In diesen Momenten flehen sie dich an, sich von ihren Kindern und Enkelkindern verabschieden zu dürfen.» Dann nimmt Cortellaro ihr Handy und wählt die Nummer eines Angehörigen des Sterbenden. «Eine alte Dame verabschiedete sich gestern von ihrer Enkelin», erzählt Cortellaro. Inzwischen führt die Notfall-Ärztin eine lange «Abschiedsliste». «Ich hoffe, dass wir Mini-iPads bekommen, wenigstens drei oder vier, damit die Menschen nicht allein sterben müssen» sagt sie.
«Ich habe den Eindruck, in einen Tsunami geraten zu sein»
Stefano Muttini ist Reanimationsarzt im Spital San Carlo Borromeo. «Ich habe den Eindruck, in einen Tsunami geraten zu sein, den ich, so hart ich auch kämpfe, niemals aufhalten kann.» Seine Sektion habe ursprünglich 8 Betten gehabt. «Dann haben sie 7 weitere dazugetan, dann nochmals welche. Jetzt sind es schon 31. Letzten Sonntagmorgen war ich erfreut, dass 6 Plätze leer geworden waren.» Seine Freude hielt nicht lange: «Am Mittag fand ich sie alle wieder besetzt. Und für einen Augenblick fühlte ich mich besiegt.»
«Diesmal ist es wirklich schlimm, oder?»
Auch Carlo Serini arbeitet seit Jahren als Reanimationsarzt auf der Intensivstation im San Carlo Borromeo. «Als ich neulich einen älteren Mann beatmen musste und mich ihm mit einer Sauerstoffmaske näherte, sah er sich verängstigt um. Ich beugte mich vor, und er flüsterte mir ins Ohr: ‹Diesmal ist es wirklich schlimm, oder? Ist mein Fall ernst?› Ich sah seinen panischen Blick. Diesmal hatte ich keine Antwort.»