VertrauensverlustEltern besorgt: Versagen Schulen bei Vorbereitung aufs Berufsleben?
Viele Eltern fordern eine bessere Berufsvorbereitung und kritisieren die Lehrer. Eine Lehrerin spricht über die Probleme.
Schule und Beruf: Darum gehts
Nur ein Viertel der Eltern in Deutschland sieht die Kinder gut auf die Zukunft vorbereitet.
Eltern wünschen sich mehr Fokus auf praktische Fähigkeiten im Unterricht.
In der Schweiz belasten mangelnde Ressourcen das System.
Das Bildungssystem verliert dramatisch an Vertrauen. In Deutschland glaubt nur noch ein Viertel aller Eltern, dass die Schule die Kinder gut auf das Berufsleben vorbereitet,wie eine repräsentative Umfrage zeigt.
Was bringt es, wenn Kinder Gedichte analysieren können, aber nicht auf die Herausforderungen im Beruf vorbereitet sind? Laut der Umfrage wünschen sich viele eine Neuausrichtung im Schulplan mit mehr Fächern.
Enttäuschte Mütter und Lob vom Ex-Schüler
Bei einer Strassenumfrage von 20 Minuten sagt eine Mutter, sie habe ihren Sohn in Extrakurse schicken müssen, weil sich die Lehrpersonen keine Zeit genommen hätten. Erst ein Jahr in einer Schule im Ausland habe ihm wieder Freude am Lernen gebracht. «Dort gab es viel mehr individuelles Coaching. Wenn man sich nur auf die Schule verlässt, sind Kinder in der Schweiz ungenügend vorbereitet», sagt sie.
Eine weitere Mutter ist ebenfalls enttäuscht vom Lehrer ihres Kindes. «Für ihn war es nur eine Zwischenstation. Er arbeitete zuvor bei der Bahn und plante für eine Weltreise, aber um die Kinder kümmerte er sich nicht», sagt sie.
Eine Frau Mitte 20 kritisiert, trotz Gymi und Uni habe sie erst in einer Weiterbildung Lehrpersonen erlebt, die ihr Einblick ins Berufsleben geben konnten. Ausserdem stecke die Schule einen schnell in eine Schublade und biete keinen individuellen Lehrplan.
Nur ein 17-jähriger Lernender ist bei der Umfrage von 20 Minuten zufrieden mit dem Übergang ins Berufsleben. «Unser Lehrer gab uns jede Woche zwei bis drei Stunden Zeit für die Berufswahl und unterstützte uns dabei. Ich weiss aber von Kollegen, dass viele dieses Glück nicht hatten.»
Lehrerin zeigt Verständnis für Sorgen der Eltern
Auch Delia Bohren sagt auf Anfrage von 20 Minuten, dass die Schule zeitweise an ihre Grenzen komme. Die Primarlehrerin und Autorin des Blogs «Stutz mit Delia» sagt: «Es fehlt oft an Ressourcen, an Geld, an ausgebildetem Personal und vielem mehr, die Liste ist lang. Deshalb sind die Klassen zu gross.»
In ihrem Kanton sollen wegen eines Sparplans Angebote im Bereich Informatik wegfallen, Plätze für Kinder mit speziellen Bedürfnissen gedeckelt und Lehrpersonen noch mehr belastet werden. «Eltern spüren diese Herausforderungen im Schulsystem. Aus all diesen Gründen verstehe ich Eltern, die sich Sorgen machen», sagt sie.
Eltern sind auch gefordert
Nichtsdestotrotz machten sehr viele Schulen in der Schweiz das Beste mit den Mitteln, die sie zur Verfügung haben. «Ich kenne sehr viele sehr innovative Schulen, die Neues ausprobieren, Kinder und Eltern in schwierigen Situationen helfen, offen für Elternarbeit sind und eine professionelle Personalführung betreiben», sagt sie.
Ausserdem sei es nicht nur Aufgabe der Schule, die Kinder auf das Berufsleben vorzubereiten, sondern auch zu einem grossen Teil vom Elternhaus. «Ich kommuniziere beispielsweise am Elternabend klar, was ich als meine Aufgabe sehe und was ich nicht leisten kann», sagt sie.
Arbeitgeber fordern mehr Zeit für Berufswahl
Beim Arbeitgeberverband heisst es auf Anfrage, dass eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Berufswahl wichtig sei. Immerhin habe sich seit dem Lehrplan 21 einiges verbessert. «Die berufliche Orientierung beginnt im 7. Schuljahr, aber es könnte noch mehr sein», sagt Nicole Meier, die Bildungsleiterin des Verbands.

Jugendliche sollten mehr Zeit haben, um ihre Stärken zu erkennen, sagt Nicole Meier, die Bildungsleiterin des Arbeitgeberverbands.
Berufsmesse Zürich, MCH GroupKinder und Jugendliche müssten in der Lage sein, ihre Stärken zu erkennen, um so einen realistischen Berufswunsch zu entwickeln. «Man muss den Jugendlichen Zeit geben. Es kommt immer auf die Lehrperson und die Eltern an, die sie optimal begleiten sollten», so Meier.
Wie siehst du die Rolle der Schule in der Berufsorientierung?
Dagmar Rösler verteidigt das aktuelle Schulsystem. Die Zentralpräsidentin des Verbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz sagt: «Nicht alles, was in der Schule gelernt wird, lässt sich später im Berufsleben eins zu eins anwenden. Aber die Schule muss Kindern und Jugendlichen ein möglichst breites Allgemeinwissen mitgeben, damit sie später auf bestimmte gelernte Werkzeuge zurückgreifen können.»

Die oberste Lehrerin Dagmar Rösler sagt, die Schule müsse Kindern ein möglichst breites Allgemeinwissen mitgeben.
LCH/Philipp BaerNicht alle brauchen später in ihrem Berufsleben eine Fremdsprache. Trotzdem ist es wichtig, dass man im Verlauf der obligatorischen Schule mit solchen in Kontakt gekommen ist. Aber es ist nachvollziehbar, dass nicht alle die gleichen Themen wichtig oder relevant finden.
Folgst du 20 Minuten Wirtschaft auf Whatsapp?
Hier kriegst du die aktuellsten News aus der Wirtschaftswelt und die heissesten Updates zu Konsumententhemen direkt auf dein Handy.