Nach Corona - «Viele haben Angst, in die Normalität zurückzukehren»

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Nach Corona«Viele haben Angst, in die Normalität zurückzukehren»

Die Lockerungen lösen bei Jugendlichen nicht nur Freude aus, sondern auch Angst, zeigt eine Umfrage bei Therapeuten. Von ihren Klienten freut sich ein Drittel nicht mal mehr auf Partys.

Worauf sich einige freuen, löst bei anderen Ängste aus.
Eine Umfrage bei Therapeutinnen und Therapeuten zeigte: Von ihren Klienten und Klientinnen freut sich ein Drittel nicht einmal mehr auf Partys.
Einige Kinder und junge Erwachsene haben nach dem Corona-Lockdown Mühe, wieder zum normalen Alltag zurückzukehren, sagt Florian Huggler, Fachpsychologe für Kinder- und Jugendpsychologie und Leiter der Erziehungsberatung Thun.
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Worauf sich einige freuen, löst bei anderen Ängste aus.

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Darum gehts

  • Wie eine Umfrage unter Therapeutinnen und Therapeuten zeigt, freut sich rund ein Drittel ihrer Klienten und Klientinnen nicht mal mehr auf Partys

  • Einige Kinder und junge Erwachsene haben nach dem Corona-Lockdown Mühe, wieder zum normalen Alltag zurückzukehren.

  • «Während des Lockdowns fiel diese kleine Menge der sozial Ängstlichen nicht auf; die Einschränkung von Gruppenaktivitäten kam ihnen entgegen», so Fachpsychologe Florian Huggler.

Freunde treffen, wieder ins Kino oder in den Club gehen, in die Schule oder an den Arbeitsplatz zurückkehren: Worauf sich viele nach den erfolgten und angekündigten Massnahmen-Lockerungen freuen, macht anderen Angst. Dazu gibt es nun erstmals Zahlen: Wie eine nicht repräsentative Umfrage zum Thema «Soziale Ängstlichkeit» der Therapeuten-Buchungsplattform Sanasearch im Juni 2021 zeigt, fürchten sich viele in Therapie befindende Personen davor, nach Corona in die Normalität zurückzukehren.

Sie erfinden Ausreden, um nicht abmachen zu müssen, chatten lieber mit ihren Freunden, als sie persönlich zu treffen und fühlen sich einsam, verloren, unverstanden. Über 27 Prozent der 16-Jährigen freue sich – im Gegensatz zur Zeit vor Corona – nicht mehr auf Parties oder ähnliche soziale Zusammenkünfte, so die Aussage von Therapeutinnen und Therapeuten.

Wie die Umfrage mit 129 von Krankenkassen anerkannten Therapeutinnen und Therapeuten zeigt, stellten 60 der 129 befragten Personen (47%) eine Zunahme sozialer Ängstlichkeit fest. Eine ähnliche Quote (48%) ergab die Umfrage bei Gesprächs- und Psychotherapeutinnen und -therapeuten.

Keine Freude, sondern Belastung

Einige Kinder und junge Erwachsene haben nach dem Corona-Lockdown Mühe, wieder zum normalen Alltag zurückzukehren, sagt Florian Huggler, Fachpsychologe für Kinder- und Jugendpsychologie und Leiter der Erziehungsberatung Thun. «Das hat mit sozialen Ängsten zu tun, die meist bereits vor Corona bestanden.» So fühlten Betroffene etwa einen grossen Druck, so schnell wie möglich zum «Normalzustand» zurückzukehren, obwohl ihnen dieser Normalzustand bereits vor Corona Mühe gemacht habe. «Anlässe wie Sporttage, Gruppenaktivitäten oder eben Parties bereiten ihnen keine Freude sondern stellen vielmehr eine Belastung dar.»

Dies im Gegensatz zum überwiegenden Teil der Kinder und jungen Erwachsenen, die sich über die Massnahmen-Lockerungen freuten. «Während des Lockdowns fiel diese kleine Menge der sozial Ängstlichen nicht auf; die Einschränkung von Gruppenaktivitäten kam ihnen entgegen», so Huggler.

«Die Bewältigung dieser persönlichen Krisen wird eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen», sagt Huggler. Nun hänge alles vom weiteren Corona-Verlauf ab. «Bleiben die Zahlen auch nach den Sommerferien und bis im Winter tief, bleiben die Aussichten positiv. «Sollte es aber wieder zu einer Zunahme von Covid-Ansteckungen kommen, werden persönliche Krisen nicht bewältigt werden können und dazu neue entstehen.»

Das sagen 20 Minuten-Leserinnen und Leser dazu:

«Ich freue mich einfach, wieder ohne Maske herumlaufen zu können. Mit meinen Freunden wieder an einem grossem Tisch zu sitzen, auf den Ausgang und den Nachtbus. Aber ich habe Angst, verlernt zu haben, wie die wahre Normalität ist, da es so lange her ist. Ich weiss gar nicht so recht, ob und wie man sich auf diese kommende Situation vorbereiten kann. Es liegt ein grosser Druck auf einem und die Gesellschaft verlangt, dass man auf Knopfdruck wieder so tut, es wäre nichts passiert.» J.M. (20)

«Ich bin vom Beruf Koch und durfte darum mehrere und längere Lockdowns erleben. Somit habe ich gar keine Angst, wieder in die Normalität zurückzukehren. Ich denke, dass man sich einfach wieder daran gewöhnen muss, wieder was zu tun zu haben. Klar ist es eine Umstellung, wenn man fast ein halbes Jahr jeden Tag ausschlafen konnte und seine Arbeitszeiten selbst bestimmte. Nun hat man Angst, dass das Leben wieder eine feste Struktur hat, man sich an bestimmte Arbeitsabläufen halten muss, der Schlafrythmus wieder angepasst werden muss… Aber je schneller man sich daran hinwagt, desto besser.» G.K. (22)

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