Die Waffenexperte zur Schiessverletzung – «Vielleicht spielte ein Kind mit einem Luftgewehr»

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Die Waffenexperte zur Schiessverletzung«Vielleicht spielte ein Kind mit einem Luftgewehr»

Ein Mann wurde am Donnerstag in Frauenfeld angeschossen, ohne es zunächst zu merken. Ein Waffenexperte erklärt im Interview, wie das passieren kann.

In Frauenfeld TG ging ein Mann vergangenen Donnerstag wegen Schmerzen im Unterkörper zum Arzt.
Bei der ärztlichen Untersuchung sei daraufhin eine Schussverletzung festgestellt worden, wie die Kantonspolizei Thurgau schreibt.
Der Mann befand sich bei einer Liegenschaft an der Scheuchenstrasse, als die Schmerzen einsetzten.
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In Frauenfeld TG ging ein Mann vergangenen Donnerstag wegen Schmerzen im Unterkörper zum Arzt.

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Darum gehts

Mitten in einem Wohnquartier wurde ein Mann am Donnerstagnachmittag angeschossen. Dabei hörten weder die Nachbarn einen Schuss noch realisierte das Opfer, dass es von einem Projektil getroffen wurde. Wie geht das?Martin Eerhard, Waffenexperte und CEO der Swiss Shooting Group: Für mich gibt es nur zwei logische Erklärungen. Entweder der Schuss wurde aus einem Luftgewehr abgefeuert oder aus grosser Distanz aus einer Kleinkaliberwaffe.

Weshalb?
Wäre der Mann von einer Grosskaliberwaffe wie etwa dem Schweizer Sturmgewehr getroffen worden, hätte er es unweigerlich bemerkt. Projektile grossen Kalibers sind extrem schnell und haben verheerende Auswirkungen auf den Körper. Dementsprechend schwer wären auch seine Verletzungen gewesen. Zudem hätte man bei einer Waffe grossen Kalibers wohl einen Knall hören müssen.

Trotzdem wurde der Mann mittelschwer verletzt.
Auch Luftdruckwaffen können den Körper verletzen, wenn auch meist nur oberflächlich und eher geringfügig. Bei der Kleinkaliberwaffe spielt die Distanz eine grosse Rolle: Während sie über kurze Strecken sehr tödlich sind, sind sie zwar auch auf weite Distanzen noch gefährlich, verursachen aber eher leichtere Verletzungen. Kleinkaliberwaffen sind nur auf maximal 100 Meter präzise, Projektile können unter Idealbedingungen allerdings eineinhalb Kilometer weit fliegen.

«Das Opfer hatte wohl viel Pech.»

Martin Eerhard, Waffenexperte

Schoss der Schütze absichtlich auf den Mann?
Das lässt sich mit den bekannten Details nicht abschliessend beurteilen. Ich vermute nicht, dass jemand den Mann im Visier hatte. Aber es ist Aufgabe der Behörden, den Tathergang abzuklären. Viel wahrscheinlicher ist, dass sich der Schuss versehentlich löste und es sich um einen Unfall handelt. Das Opfer hatte wohl tragischerweise viel Pech.

Was könnte zur Schussabgabe geführt haben?
Vielleicht spielte ein Kind mit einem Luftgewehr. Wenn tatsächlich eine Kleinkaliberwaffe im Spiel war, müsste jemand grobfahrlässig mit der Feuerwaffe hantiert haben. In diesem Fall müsste sich der Schuss in einem privaten Haushalt gelöst haben. Anders kann ich mir nicht erklären, dass ein Projektil in einem Wohnquartier umherfliegt.

In Frauenfeld hat es mehrere Schiessplätze. Könnte es sich beim Schuss um einen Querschläger gehandelt haben?
Das halte ich für nahezu unmöglich. In der Schweiz sind die Schiessstände so abgeschirmt, dass das kaum passieren kann. Sowieso ist besonders bei Kleinkaliberwaffen das Risiko gering, dass Projektile den Schiessplatz verlassen.

«Den Schützen auszumachen, ist schwierig.»

Martin Eerhard, Waffenexperte

Wie oft passiert es, dass sich jemand plötzlich auf offener Strasse eine Kugel einfängt?
In der Schweiz höre ich zum ersten Mal von einem solchen Fall. In Argentinien passiert das leider öfters, da es in einigen Armutsvierteln üblich ist, an Festtagen in die Luft zu schiessen. Dass in Frauenfeld etwas ähnliches passiert ist, kann ich mir aber kaum vorstellen.

Kann die Polizei das Projektil zum Schützen zurückverfolgen?
Das ist nicht so einfach, wie es in Filmen gerne dargestellt wird. Hat die Polizei wie im vorliegenden Fall nur das Geschoss, kann sie lediglich das Kaliber und den Waffentyp erörtern, nicht aber die Waffe. Um ein Geschoss eindeutig einer Waffe zuordnen zu können, braucht man das Geschoss und die Waffe. Den Schützen auszumachen, ist dementsprechend schwierig.

Wie lässt sich ein Projektil einer Waffe zuzuordnen?
Eine Feuerwaffe gibt dem Projektil in ihrem Lauf einen Drall, diese Bewegungen sorgen für deren Präzision. Durch den Drall im Lauf der Waffe entstehen im Projektil Kerbungen. Diese Markierungen lassen sich mit einem Fingerabdruck vergleichen, jede Waffe hinterlässt eine einzigartige Kerbung auf ihrem Geschoss. Hat man die mutmassliche Tatwaffe, kann man damit ein Projektil abfeuern und schliesslich dessen Kerbung mit derjenigen des sichergestellten Geschosses vergleichen. Sind diese gleich, war es dieselbe Waffe. 

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