Ungarns PräsidentViktor Orbán in Zürich – das war die Rede des Präsidenten
Der ungarische Präsident Viktor Orbán ist auf Einladung von Weltwoche-Verleger Roger Köppel (SVP) in Zürich. Bevor er am Mittwoch im Dolder eine Rede hält, gings zum Höflichkeitsbesuch bei Alain Berset.

Roger Köppel lud den ungarischen Präsidenten Viktor Orbán zu einer Rede in Zürich ein.
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Ende der Debatte
Die USA hat die Wahl zwischen einem Präsidenten, der aus dem Altersheim regiert und einem, der aus dem Gefängnis regiert. Was wird in den USA passieren?
«Ich bin biased. Wenn die Alternativen die sind bin ich pro Trump», sagt Orbán. «Nur die toten Fische schwimmen mit dem Strom, das ist Trump nicht. Aber ganz emotionslos betrachtet: Was sind Trumps Pläne in der Aussenpolitik? America First. Wir sagen auch Ungarn first. Switzerland first. Jeder sollte das sagen, das ist ein guter Ausgangspunkt für die Aussenpolitik.»
Damit ist die Diskussion zu Ende. Besten Dank fürs Mitlesen.
Zum Krieg in der Ukraine
«Wenn wir über den Krieg in der Ukraine sprechen müssen wir uns fragen, was die Strategie des Westens war. Und zwar, dass die Ukrainer an der Front gewinnen werden. Die Niederlage wird in Moskau neue Anführer hervorbringen, mit denen man verhandeln kann. Jetzt ist es offensichtlich, dass die Ukraine nicht auf dem Schlachtfeld gewinnen wird. Russland wird nicht verlieren. Es wird keine politischen Veränderungen in Moskau geben. Doch wir halten an etwas fest, das nicht klappt. Wir müssen der Realität ins Auge schauen, Plan A funktioniert nicht. Jetzt brauchen wir einen Plan B. Sobald wir den haben, können wir darüber sprechen, wer ihn finanziert.»
Wie verhindern Sie die Migration?
«Mit Stärke. Mit Zäunen, Polizei, Militär. Es ist kein schöner Job. Aber es ist verrückt, dass wir uns dafür wehren müssen, dass wir die illegale Migration stoppen wollen. Mehr als 100’000 junge, gesunde Migranten kamen nach Ungarn und wir wollten das stoppen. Wir sind die Aussengrenze des Schengenraums. Wenn wir unsere Grenzen verteidigen, verteidigen wir die Grenzen Europas. Zäune sind in der EU ein Tabu, sie können das nicht mitfinanzieren, wir bezahlen selber 1,5 Milliarden Euro. Und ich will klar sagen: Ich verstehe das Leid der Migranten. Aber wir müssen dort helfen und nicht das Problem zu uns importieren.»
Was soll die Schweiz tun, um die Migration «wieder in den Griff zu bekommen»?
«Wir müssen unterscheiden zwischen Migration aus dem Westen und von anderen Zivilisationen. Sie haben ein Problem mit den Leuten aus dem Westen, die in der Schweiz arbeiten wollen. Darüber spreche ich nicht. Aber zur Migration aus nicht-christlichen Ländern: 2015 habe ich die Konfrontation mit Deutschland gesucht, weil ihre Interpretation war, dass Migration gut ist. Ich sagte zu Merkel: Wir sind nicht einverstanden. Das Risiko ist zu gross. Ich sage Deutschland nicht, was ihr tun sollt. Wenn ihr sie hereinlassen wollt, tut das. Aber wir werden das nicht akzeptieren. Wir sind völlig gegen diese Idee. Aber Merkel sagte nein, es müsse eine gemeinsame europäische Politik geben. Also haben wir Widerstand geleistet. Ich wurde in dieser einen Nacht zum schwarzen Schaf. Ich sagte lediglich, dass das Risiko zu gross ist und dass wir das Risiko nicht auf uns nehmen wollen. Lass uns in zehn bis 20 Jahren schauen, ob die deutsche Integrationspolitik klappt. Aber wir wollen sie nicht.»
Was sind die Parallelen zwischen der Schweiz und Ungarn?
«Die alltägliche Freiheit verbindet uns. Eure Basisdemokratie ist für uns etwas seltsam, aber wir sehen sie sehr positiv. Auch die Neutralität lieben wir, auch wenn wir NATO-Mitglied sind. Ungarn kann sich den Luxus der Neutralität nicht leisten. Die Schweiz kann das.» Auch der Wunsch nach Souveränität verbinde die Schweiz und Ungarn.
Orbán sagt aber auch: «Wir sind Teil der EU, selbstgewählt, und das hat Gründe: Wir brauchen den Anschluss an den europäischen Markt. Wenn man nicht EU-Mitglied ist aber auf dem Markt tätig werden die Entscheidungen in Brüssel dich trotzdem treffen. Also sitzen wir mit am Tisch.»
Was haben Sie Berset und Cassis gestern geraten? «Ab dem 1. Juli werden wir den Europäischen Rat präsidieren. Wir werden deshalb grossen Einfluss darauf nehmen können, welche Geschäfte auf den Tisch kommen. Damit werden wir auch wichtiger werden für die Schweiz. Falls es im Frühling nicht klappt mit dem Abschluss der Verhandlungen mit der EU sind wir euer Backup.»
«Überlegen Sie es sich zweimal, ob Sie der EU beitreten wollen», warnt Orbán.
Was heisst die aktuelle Atmosphäre in Europa für die Schweiz? «Ich habe nur Bad News für Sie. Europa hatte immer Traditionen, etwa die Souveränität der Staaten. Deutschland und Frankreich sprechen immer von mehr Zentralisierung und davon, zu vereinheitlichen. Die Briten und wir sind stark genug, um die blockierende Minderheit dazustellen. Das ist eine Art Gleichgewicht.» Die Briten hätten die zunehmende Zentralisierung nicht hingenommen. Nach dem Brexit sei die blockierende Minderheit geschwunden, Zentralisierung nehme zu.
Interview
Damit geht es ins Interview mit Roger Köppel. Er will wissen, was Orbans Rezept sei, um 33 Jahre lang politisch überlebt zu haben.
Orbán: «In der Politik dienen wir der Bevölkerung. Daran habe ich mich immer gehalten und es kam mir nie in den Sinn, das zu ändern. Aufzuhören kam nie infrage.» Er habe aber die beste Schule durchgemacht im Fussball. Das habe viel geholfen, physisch wie mental, um politisch zu überleben. Auch die Familie sei sehr wichtig.
Ende Orbáns Rede
Damit ist Orbáns Rede zu Ende.
Orbán spricht jetzt noch darüber, was es für Europa brauche. Es brauche im klassisch-politischen Bereich wieder klassische Strukturen. Und es brauche eine neue Generation von konservativen Politikern. «Die Jungen müssen ins Wasser geworfen werden, damit sie lernen, wie man schwimmt», sagt Orbán. Europa müsse die Kontrolle über die eigenen Grenzen wiedergewinnen. Und die christliche Kultur gehöre verbreitet, verbunden mit Evangelisierung. Doch das gehe weit über seine Politikerbefugnisse hinaus.
Orbán vergleicht Ungarn mit einer Wespe. Von beidem sage man, es könne nicht fliegen, und doch funktioniere das ungarische System, 2022 und 2023 seien wirtschaftlich sehr erfolgreich gewesen. Vom Exportvolumen her sei Ungarn auf Rang 31, bei manchen Technologien auf den Rängen 2 bis 4. Und das trotz finanzieller Sanktionen der EU gegen Ungarn, die jedes Jahr ein paar Milliarden kosteten.
Wirtschaftlich ziehe Ungarn hohe ausländische Investitionen an. Politisch gebe es Pluralismus und innerhalb der europäischen Gemeinschaft Souveränität.
Ein weiterer wichtiger Pfeiler seien tiefe Steuern. Und: «Statt Gender- werden Familieninteressen gefördert. Das ist Teil der Strategie. Ungarn ist altkonservativ. In der Verfassung werden Banalitäten ausgesprochen, wie dass die Ehe einen Mann und eine Frau braucht. Und dass der Vater ein Mann und die Mutter eine Frau ist. Man schämt sich schon fast ein wenig dafür, aber das steht in unserer Verfassung. Wir sind nicht primitiv, sondern die Welt», wettert Orbán.
Statt Migration wolle Ungarn die Herausforderungen durch Familienpolitik erreichen. «Wir haben eine familienpolitische Wende erreicht, aber keine demografische.» Das sei aber eine andere Frage für eine ganze Konferenz, ob Ungarn es schaffe, die eigene Population aufrechtzuerhalten.
In Ungarn müsse man erst arbeiten, damit das Ergebnis Wohlstand sei. Der Staat könne das nicht garantieren, das müsse erarbeitet werden. Das sei ein andersartiges, kälteres, schrofferes soziales System. Migranten kämen nicht nur deshalb nicht zu Ungarn, sondern auch weil Ungarn einen riesigen Zaun habe, um sie aufzuhalten. Aber auch, weil sie gar nicht in Ungarn sein wollen. Die ungarischen Gesetze sagen, dass ein Migrant nur das bekommen kann, was ein ungarischer Staatsbürger bekommt. Und weil man in Ungarn nur das bekommen kann, wofür man arbeitet, sei die Anziehungskraft bescheiden.
Ungarn wisse, wo sein Platz sei. «Wir können interessante, aber keine wichtigen Dinge sagen. Also sage ich etwas Interessantes: Wir haben ein anderes Modell für Wirtschaft und Gesellschaft erarbeitet als Brüssel.»
«Keine Migranten in Ungarn»
Der Begriff «starker Spitzenpolitiker» sei in Brüssel negativ konnotiert. Wenn es heisst, es brauche einen starken Anführer, komme Widerstand. Was kann Mitteleuropa machen und was kann Ungarn machen? «Aufgrund des Gesagten war ich stets der Auffassung, dass die Ungarn eine eigenartige Verantwortung innehaben. Wir haben keine liberale Hegemonie. Es gibt keine Koalitionsgeplänkel, keine Unruhe in den Strassen, keine Migration. Wir haben keinen einzigen Migranten in Ungarn», sagt Orbán.
In Europa fehlen die Politiker, überall sind Demokraten, sagt Orbán. Dazu käme die aus den USA importierte progressiv-liberale Hegemonie. Die Bürokraten seien nicht liberal, sondern Anhänger einer progressiv-liberalen Ideologie. «Nach all dem verdiene ich etwas Mitgefühl von Ihnen», sagt Orbán.
Bürokraten können Dinge managen, wenn die Sonne scheint, sagt Orbán. Solange alles friedlich und Routine sei, falle gar nicht auf, dass Europa keine politische Führung habe. Doch in einer Krise brauche es Spitzenpolitiker. Ein richtiger Politiker sei nicht gut, wenn es darum gehe, Dinge beizubehalten, sondern dann, wenn es um Veränderung geht, darum, neue Rahmenbedingungen zu schaffen. «Ab morgen machen wir es anders», das können wir von keiner bürokratischen Institution erwarten.
Wie oft hat es den Anschein in der Öffentlichkeit, dass Europa von der Europäischen Kommission und deren Präsidentin geführt wird? «Wir lesen ihre Sätze, als ob sie eine Anführerin wäre, dabei ist sie unsere Angestellte», sagt Orbán. Dafür gibt es Applaus.
Dieses Problem bringe ihn zum Problem der politischen Führung in der EU: Die EU sei eine eigenartige Kreatur. Dieses Etwas werde politisch angeführt von einer Körperschaft, die die 27 Staats- und Regierungschefs beinhaltet und «Rat» heisst. Statt des Rats werden aber immer mehr Entscheidungen von den Brüsseler Institutionen getroffen. Und die verrichten nicht die Arbeit, die sie müssten. Institutionen seien immer bürokratisch. Sie müssen Entscheidungen umsetzen und diese nicht treffen.
Aktuell im Nahen Osten und in der Pazifikregion sehe man, dass die anderen Teile der Welt für die USA plötzlich wichtiger seien als Europa, weil es dort um vitale Interessen der Amerikaner gehe. Zum Krieg zwischen Russland und der Ukraine: Was passiert, wenn in den USA ein neuer Kurs kommt, die Republikaner an die Macht kommen? Dann ziehen sich die USA vielleicht zurück und Europa bleibt zurück in einem immensen geopolitischen Konflikt. Dann müsse Europa sämtliche Finanzlasten bezahlen und eine politische Lösung finden. Europa sei dabei, zu verarmen, es fehle das Geld für ein solches Unterfangen.