«Vortritt für Fussgänger abschaffen»

Aktualisiert

Leser-Debatte«Vortritt für Fussgänger abschaffen»

Die Fussgänger seien selber schuld, dass sie mehr verunfallen - findet die Mehrheit der Leser. Sie fordern deshalb Bussen für fehlbare Fussgänger oder die Abschaffung der Vortrittsregel.

von
jep
So wäre es korrekt: Kabarettist Emil Steinberger erklärt einer älteren Dame, wie man die Strasse überquert.

So wäre es korrekt: Kabarettist Emil Steinberger erklärt einer älteren Dame, wie man die Strasse überquert.

Die Nachricht, dass die tödlichen Unfälle bei Fussgängern 2010 im Vergleich zum Vorjahr um 25 Prozent gestiegen sind, löste bei den Lesern von 20 Minuten Online eine hitzige Diskussion über die Schuldfrage aus. Ein Blick auf die über 250 eingegangenen Kommentare zeigt: Für die Mehrheit liegt das Problem nicht bei den Autofahrern, sondern bei den Fussgängern, die sich «unmöglich», «rücksichtslos» und «arrogant» benehmen.

«Fussgänger laufen wie freie Hühner einfach auf die Strasse ohne auf den Verkehr zu achten oder nach links zu schauen», enerviert sich Hanspeter Moesch. In die gleiche Kerbe schlägt Fahrlehrer Andy: «Ihr lieben Fussgänger habt wohl vergessen, wie es früher hiess: ‹warte, luege, lose, laufe›.» Er erlebe täglich, wie Eltern zehn Meter neben dem Fussgängerstreifen mit ihren Kindern über die Strasse rennen. R. Müller schreibt, dass er schon mehrmals Glück hatte, dass er keinen Fussgänger überfahren hat, weil diese meist ohne sich umzusehen über die Strasse laufen würden.

Schlechte Erfahrungen mit Fussgängern hat auch Anna S. gemacht. «Letzte Woche hätte ich fast eine erwachsene Frau überfahren, weil diese ungefähr 20 Meter vor dem Fussgängerstreifen ohne nach hinten zu sehen einfach über die Strasse gelaufen ist.» Sie habe nur noch Vollbremsung hinlegen können und zum Glück sei kein anderes Auto hinter ihr gefahren. «Anstatt sich zu entschuldigen, hat mich die Frau nur dumm angeguckt.» Markus Blaser ist öfters selbst als Fussgänger unterwegs und hat gelernt, dass man immer den Blickkontakt zum Autofahrer suchen muss. Doch damit sei er die Aussnahme. «Viele Fussgänger sind so vertieft in ein Telefongespräch oder in die Musik aus ihrer Kopfhörern, dass sie den Verkehr gar nicht mehr wahrnehmen.» Auch andere Leser berichten von Fussgängern, die Zeitung lesend oder SMS tippend über die Strasse laufen und nicht einmal vor einem Rotlicht zurückschrecken würden.

Fussgänger fühlen sich zu sicher

Für U. Kimmi ist klar: «Die Fussgänger müssen besser erzogen und vor allem härter in die Pflicht genommmen werden.» Eine Massnahme, die viele Leser vorschlagen, ist die Einführung einer Busse für fehlbare Fussgänger. «Wer die Strasse überquert ohne sich umzusehen soll genauso eine Busse zahlen, wie die Autofahrer, die am Fussgängerstreifen nicht anhalten», so die gängige Meinung. Jürg Rüegg schlägt sogar vor, dass künftig Fussgängerstreifen mit Kameras überwacht werden sollen. «Wenn ein Fussgänger nicht nach links und rechts geschaut hat, ist der Autolenker im Falle eines Unfalls von jeglicher Schuld freizusprechen.»

Die seit 1994 geltende Vortrittsregel für Fussgänger am Zebrastreifen ist für die Mehrheit der Leser der Grund, weshalb die Unfälle auch neben den Fussgängerstreifen ansteigen. «Viele meinen, dass auch hier die Vortrittsregel für Fussgänger gilt», so Renato. «Die Schweizer fühlen sich auf der Strasse viel zu sicher», findet auch Siculo. Dass der Verkehr besser funktioniere ohne Vortrittsregeln, könne man im Ausland beobachten. «Wenn ich in Italien Ferien mache, dann sehe ich sehr aufmerksame Fussgänger», schreibt Pascal Z. Da diese in Italien wie auch in anderen Ländern keinen Vortritt hätten, würden sie automatisch aufmerksamer die Strasse überqueren. Die Forderung dieser Leser: Das Vortrittsrecht für Fussgänger muss abgeschafft - das Handzeichen wieder eingeführt werden. «Nur so geht die Zahl der getöteten Fussgänger zurück», meint Rolf.

«Ignorante Autofahrer»

Till Sitter glaubt hingegen nicht, dass ein Handzeichen die Situation verbessern könnte. «Ich sehe täglich Autofahrer, die trotz Handzeichen der Fussgänger nicht anhalten.» Für einen andern Leser liegt das Problem ebenfalls bei den Autofahrern, welche die Fussgänger schlicht ignorieren würden. «Es lässt doch kaum ein Autofahrer die Fussgänger über die Strasse, es sei denn man stellt sich provokativ auf die Strasse.» Ein anderer Leser gibt zu Bedenken, dass ältere Fussgänger auch nicht mehr so schnell und geschickt über die Strasse gehen könnten wie mit 20. Sein Fazit: «Fussgängerfreundliche Infrastrukturen wie Mittelinseln sind definitiv nötig.»

Die Missverständnisse um die Vortrittsregel

Laut Gesetz haben Fussgänger die Fahrbahn vorsichtig und auf dem kürzesten Weg zu überschreiten, nach Möglichkeit auf einem Fussgängerstreifen. Seit dem 1. Juni 1994 haben auf Fussgängerstreifen Passanten auch ohne Handzeichen Vortritt. Sie dürfen diesen aber nicht überraschend betreten. Ausserhalb von Fussgängerstreifen haben Autofahrer grundsätzlich Vortritt. Im Kolonnenverkehr sollen sie nötigenfalls halten, wenn Fussgänger oder Benützer von fahrzeugähnlichen Geräten wie Trottinetten darauf warten, die Strasse zu überqueren. Die Beratungsstelle für Unfallverhütung bfu konnte keinen Zusammenhang zwischen der 1994 eingeführten Vortrittsregel und dem Unfallgeschehen auf und neben dem Fussgängerstreifen feststellen. (jep)

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