Wachsender Männeranteil kann zum Problem werden – muss aber nicht

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«Zweischneidiges Schwert»Wachsender Männeranteil kann zum Problem werden – muss aber nicht

Der Männeranteil in der Schweiz nimmt zu: Während 1950 noch ungefähr 93 Männer pro 100 Frauen hier lebten, sind es heute schon 99. Soziologin Katja Rost erklärt, weshalb dies zum Problem werden könnte – aber nicht muss.

Die Geburtenrate in der Schweiz nimmt ab: Mit 80'024 registrierten Geburten markiert das Jahr 2023 einen historischen Tiefststand. (Symbolbild)
Der Männeranteil hingegen nimmt zu: Während 1950 noch ungefähr 93 Männer pro 100 Frauen in der Schweiz lebten, sind es heute schon 99 – Tendenz steigend. (Symbolbild)
Soziologin Katja Rost von der Universität Zürich erklärt, dass dies zum Problem werden kann – aber nicht muss.
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Die Geburtenrate in der Schweiz nimmt ab: Mit 80'024 registrierten Geburten markiert das Jahr 2023 einen historischen Tiefststand. (Symbolbild)

dpa/Sebastian Gollnow

Darum gehts

  • Das Geschlechterverhältnis innerhalb der Schweizer Bevölkerung kippt allmählich zu Gunsten der Männer.

  • Gemäss Soziologin Katja Rost könne dies zu Problemen führen: Ein hoher Anteil junger Männer innerhalb einer Gesellschaft könne negative Konsequenzen nach sich ziehen.

  • Aus soziologischer Perspektive sieht die Expertin aber keinen Handlungsbedarf: «Antworten auf diese komplexen Fragen findet die Gesellschaft meist am besten selbst – bottom-up statt top-down.»

Laut aktuellen Daten des Bundesamts für Statistik (BFS) haben Frauen in der Schweiz im Jahr 2023 so wenige Kinder zur Welt gebracht, wie noch nie zuvor. Der Bund registrierte 80’024 Geburten, was einem Rückgang von 2,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Besonders stark ist der Rücklauf der Geburtenrate bei Frauen unter 30 Jahren.

Historisches Geschlechterverhältnis in der Schweiz, von 1950 bis 2022.

Historisches Geschlechterverhältnis in der Schweiz, von 1950 bis 2022.

Bundesamt für Statistik (BFS)

Neben dem Rückgang der Geburtenrate fällt auf, dass in der Schweiz seit 1871 mehr Männer geboren werden als Frauen: 106 Knaben auf 100 Mädchen. Kompensiert wird dies durch die Unterschiede in der Lebenserwartung. Seit 1950 scheint das Geschlechterverhältnis aber immer mehr zu kippen – zu Gunsten der Männer, insbesondere in den jüngeren Altersklassen.

«Allgemeiner Knabenüberschuss in menschlichen Gesellschaften»

Soziologin Katja Rost von der Universität Zürich erklärt, dass es in menschlichen Gesellschaften im Allgemeinen einen leichten Knabenüberschuss gebe: «Das hat sich evolutionsbedingt so eingependelt, um die Fortpflanzung sicherzustellen. Am Ursprung steht die Tatsache, dass Knaben und Männer höhere Sterberaten aufweisen – unter anderem wegen der höheren Risikobereitschaft.» Auch deshalb seien Risikosportarten wie Motorradfahren, Eisklettern oder Fallschirmspringen eher von Männern dominiert.

In westlichen Gesellschaften kippe dieses «klassische» Geschlechterverhältnis aber zunehmend. Neben der – vorwiegend männlichen – Zuwanderung gibt es auch Hinweise auf eine sogenannte geschlechtsspezifische Selektion von Kindern. «In einigen nicht-westlichen Gesellschaften gibt es beispielsweise einen stärkeren Knabenüberhang als zu erwarten wäre. Unter anderem, weil Mädchen seltener dem Wunsch der Eltern entsprechen.» In einigen westlichen Gesellschaften scheint hingegen das Gegenteil zu passieren: Eltern wünschen sich häufiger ein Mädchen.

Ein zweischneidiges Schwert

Ein hoher Anteil junger Männer innerhalb einer Gesellschaft könne zahlreiche negative Konsequenzen nach sich ziehen: Männer seien tendenziell risikofreudiger – was sich wiederum in einer steigenden Kriminalitätsrate ausdrücken kann, so Rost. «Dies wird beispielsweise ersichtlich, wenn man verurteilte Straftäter untersucht. So sind 93 Prozent der Gefängnisinsassen in der Schweiz Männer.»

Soziologisches Institut, Prof. Dr. Katja Rost

Soziologisches Institut, Prof. Dr. Katja Rost

UZH/John Flury

Dies könne zu einem Problem werden – muss aber nicht, wie Rost betont. Prinzipiell handle es sich bei Veränderungen des Geschlechterverhältnisses nämlich um ein zweischneidiges Schwert: «Probleme sind immer auch Chancen: Eine höhere Risikobereitschaft führt zum Beispiel auch zu mehr riskanten und potenziell lukrativen Unternehmensgründungen. Männer sind eher bereit, alles auf eine Karte zu setzen – als Resultat entsteht dann technischer und wirtschaftlicher Fortschritt.»

Mit Blick auf die Partnerwahl komme das veränderte Geschlechterverhältnis bereits heute zum Vorschein: «In einer gleichberechtigten Gesellschaft suchen Frauen tendenziell einen Partner, der über eine gleichwertige Ausbildung verfügt. In der Schweiz – wie in anderen gleichberechtigten Wohlstandsländern – tut sich hier aber zunehmend eine Schere auf.» Das sei neben der – vorwiegend männlichen und oft weniger gut ausgebildeten – Zuwanderung auch auf Variablen im Inland zurückzuführen: «Frauen schneiden hierzulande in der Schule tendenziell besser ab.»

Hast du Kinder?

Aus soziologischer Perspektive sieht die Expertin aber keinen Handlungsbedarf: «Antworten auf diese komplexen Fragen findet die Gesellschaft meist am besten selbst – bottom-up statt top-down.» So könnten sich beispielsweise die gesellschaftlichen Normen auf Partnerschaftsmärkten verändern, erklärt Rost.

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