Nachgefragt - Wandern Bündner schneller als Berner?

Wer wandert schneller durch die Alpen – die Bernerinnen und Berner oder die Bündnerinnen und Bündner?

Wer wandert schneller durch die Alpen – die Bernerinnen und Berner oder die Bündnerinnen und Bündner?

Graubünden Ferien, Christof Sonderegger
Publiziert

NachgefragtWandern Bündner schneller als Berner?

Das Gerücht hält sich hartnäckig. In Graubünden sollen die Wanderzeiten knapper bemessen sein als anderswo. Stimmt das auch?

Wer meint, hierzulande seien Skifahren, Fussball spielen, Schwimmen oder Radfahren die beliebtesten sportlichen Aktivitäten, der täuscht sich. Denn tatsächlich sind wir ein Volk von Wanderinnen und Wanderern.

Des Schweizers liebste sportliche Aktivität ist Wandern.

Des Schweizers liebste sportliche Aktivität ist Wandern.

Martin Hoch

Das Wanderland Schweiz in Zahlen

Der Dachverband der Schweizer Wanderwege liefert Zahlen, die untermauern, wie beliebt Wandern in der Schweiz ist. 57% der Schweizer Wohnbevölkerung über 15 Jahren oder rund vier Millionen Schweizerinnen und Schweizer trifft man regelmässig beim Wandern an. Der Trend ist ungebrochen. Bereits vor Corona, zwischen 2013 und 2019, hat der Anteil der Wandernden um 12,6 Prozentpunkte zugenommen.

Das Durchschnittsalter bei Wandernden beträgt 50 Jahre. Auch bei den jungen boomt Wandern, speziell bei den 15 – 29-jährigen Frauen. Ein Grund dafür dürfte das weltweit einzigartige Wanderwegenetz der Schweiz sein. Die 65’000 Kilometer ausgebauten Wanderwege werden von über 1500 Freiwilligen gepflegt. In der Schweiz kann man damit auf den Wanderwegen sozusagen 1,5 Mal die Erde umrunden.

Ist man im Bündnerland schneller am Berg unterwegs?

Wanderer unterwegs auf dem Prättigauer Höhenweg, der in vier Tagen von Klosters nach Landquart führt.

Wanderer unterwegs auf dem Prättigauer Höhenweg, der in vier Tagen von Klosters nach Landquart führt.

Graubünden Ferien, Andrea Badrutt

Unter Wanderinnen und Wanderern kursiert seit längerem ein Gerücht. Es besagt, dass die Wegtafeln im Kanton Graubünden sportlichere Wanderzeiten angeben, als anderswo in der Schweiz, beispielsweise im Kanton Bern.

Wir wollten es genau wissen, wie es mit den Fakten ausschaut und griffen zum Handy. Wir erreichen Stephan Kaufmann, den Geschäftsführer von «Wanderwege Graubünden» und fragen geradeaus: Wandern Bündnerinnen und Bündner schneller als Bernerinnen und Berner? Er sagt: «Grundsätzlich sind wir natürlich fitter und deshalb auch schneller unterwegs.» Schmunzelnd schiebt er nach, dass das natürlich nicht stimme. Bernerinnen seien bestimmt genauso fit, «alles andere sind Mythen und Geschichten abseits der Faktenlage.» Doch wie kam das Gerücht denn auf? Denn schliesslich steckt in so manchen Gerüchten ein Funke Wahrheit.

So kommen Wanderzeiten zustande

Wie in der Schweiz Wanderzeiten ermittelt werden und ob diese kantonal oder national geregelt sind, möchten wir von Patricia Cornali wissen, die bei den «Schweizer Wanderwegen» für die Verbandskommunikation zuständig ist. So erfahren wir, dass es seit 2006 eine schweizweite Regelung zur Berechnung von Wanderzeiten gibt. Davor regelten das kantonale Vereine oder Organisationen. Und so waren die Angaben früher tatsächlich unterschiedlich. Denn während man heute eine einheitliche mathematische Formel zur Bestimmung der Wanderzeit einsetzt, schickte man früher tatsächlich Wanderinnen und Wanderer als Probanden los. Stephan Kaufmann sagt: «Anscheinend setzte man früher im Mittelland eher Familien als Probanden ein, während im Kanton Graubünden wohl meist Bergführer zur Zeitermittlung losgeschickt wurden.» Das erklärt durchaus, dass man auf den Wegtafeln bis 2006 kantonal unterschiedliche Zeitangaben vorfand.

Die seit 2006 gültige Wanderzeitformel für Mathematik-Cracks*
t_to = {L * [C0 + (C1 * S) + (C2 * S^2) + (C3 * S^3) + (C4 * S^4) + (C5 * S^5) + (C6 * S^6)
+ (C7 * S^7) + (C8 * S^8) + (C9 * S^9) + (C10 * S^10) + (C11 * S^11) + (C12 * S^12)
+ (C13 * S^13) + (C14 * S^14) + (C15 * S^15)]} / 1000

t_to: Wegzeit zwischen A und BL: Horizontaldistanz (Projektion) zwischen A und BH: Höhendifferenz zwischen A und B (gemäss Höhe B minus Höhe A)S: Steigung zwischen A und B (100 * H / L)C0 bis C15: Konstanten

* Von den Schweizer Wanderwegen zur Verfügung gestellt.

Kein Land verfügt über ein derart gut beschildertes Wanderwegenetz wie die Schweiz.

Kein Land verfügt über ein derart gut beschildertes Wanderwegenetz wie die Schweiz.

Graubünden Ferien, Stefan Schlumpf

Doch wenn seit 2006 eine einheitliche Bemessungsgrundlage vorhanden ist, weshalb beschleicht dann noch immer den ein oder anderen das Gefühl, dass es kantonale Unterschiede gibt? Kaufmann sagt: «Im Bündnerland setzen wir bei den Wegweisern auf eine besondere Ausführung.» Sie seien robuster und hielten länger. Denn während man in anderen Kantonen Hartaluminium-Tafeln mit einem Sieb- oder Digitaldruck beschriftet montiere, verwendet man im Bündnerland die stabileren Schilder aus Alu-Guss. Die Beschriftung wird dabei zusammen mit dem Wegweiser als Relief gegossen. So kommt es, dass im Kanton Graubünden noch immer ältere Wegtafeln auf Wanderwegen stehen, die noch vor der schweizweit einheitlichen Berechnung der Wanderzeiten montiert wurden. Diese müssen oder müssten aber bis 2026 ersetzt werden. Ob man dies auch derart zeitnah umsetzen werde, stehe noch offen. Denn wenn ein Reliefguss-Wegweiser noch wie neu ist, wird er kaum bloss wegen einer Zeitkorrektur von ein paar Minuten ersetzt. Das wäre wenig sinnvoll. Und im Kanton Graubünden stehen geschätzte 14’000 solcher Wegweiser, rund ein Viertel davon mit Zeitangaben.

Eine einfachere Regel zur Berechnung der Wanderzeit*

Im flachen Gelände geht man von einer Durchschnittsgehgeschwindigkeit von
4,2 Kilometern pro Stunde aus. Das heisst, pro Kilometer Distanz in der Ebene werden 15 Minuten gerechnet. Dazu werden pro 100 m im Aufstieg respektive pro 200 m im Abstieg 15 Minuten addiert.

* Von den Schweizer Wanderwegen zur Verfügung gestellt.

Bei dem Anblick legt man gerne mal eine Pause ein – der Blick aus dem Wandergebiet Mürren auf Eiger, Mönch und Jungfrau.

Bei dem Anblick legt man gerne mal eine Pause ein – der Blick aus dem Wandergebiet Mürren auf Eiger, Mönch und Jungfrau.

Jungfrau Region Tourismus AG

Was sagen die Berner dazu?

Ein Anruf bei den «Berner Wanderwegen» bestätigt den Sachverhalt. In Bern gibt uns der Geschäftsführer Bernhard Schmidt in wohlklingendem Walliserdeutsch Auskunft und wischt das Gerücht ebenfalls als Mythos beiseite. Und doch bestätigt er uns, dass die Bernerinnen und Berner Gemütsmenschen sind, so lebe man hier durchaus nach dem Motto «Nume nid gsprängt.» Das zeige auch die Gruppenarbeit «Speed of Life» von ETH-Studenten, die das Schritttempo verschiedener Schweizer Städterinnen und Städter untersuchte. Dabei schnitten die Zürcherinnen und Zürcher als die Schnellsten und die Bernerinnen und Berner als die Gemütlichsten ab.

Und in einem Punkt sind die Bernerinnen und Berner wie auch die Bündnerinnen und Bündner das Schlusslicht: bei der Sprechgeschwindigkeit. Da laufen ihnen nicht nur die Zürcherinnen und Zürcher, sondern im Speziellen ein Bergkanton, der Kanton Wallis, den Rang ab. Dies belegten die Schweizer Linguisten Beat Siebenhaar und Adrian Leemann.

Ein besonders genussreicher Wegweiser – hier entlang gehts zur nächsten Beiz.

Ein besonders genussreicher Wegweiser – hier entlang gehts zur nächsten Beiz.

Jungfrau Region Tourismus AG, David Birri

Doch am besten sei, sich ein Bild vor Ort zu machen und so hat Bernhard Schmidt noch einen Tipp auf Lager. Ab Frühjahr 2022 wird der Kanton Bern auf dem neuen Fernwanderweg «Via Berna» zu begehen sein. 20 Etappen werden vom Berner Jura übers Seeland durchs Mittelland und das Berner Oberland führen.

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