Start-up-Talk: «Man muss keine Freunde sein, um eine Firma zu gründen»

Livetickeraktualisiert am Donnerstag, 19. Mai, 2022

Start-up-Talk«Man muss keine Freunde sein, um eine Firma zu gründen»

Viele träumen davon sich selbstständig zu machen. Doch wann ist der richtige Zeitpunkt dafür und wie komme ich zum Startkapital? Sandra Tobler, Chefin des IT-Sicherheitsunternehmens Futurae und Michele Blasucci, Chef von Startups.ch beantworteten Fragen der Community.

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Donnerstag, 19.05.2022

Partner finden

Patrick fragt: Wie finde ich einen geeigneten Partner für mein Start-up?

Sandra: «Es hilft sicher, wenn man sich kennt und bereits zusammen gearbeitet hat oder einfach eine gewisse Ahnung davon hat, wie jemand unter Druck arbeitet und reagiert. Aber es ist keine Voraussetzung befreundet zu sein, um eine Firma zu gründen. Es kann sogar hilfreich sein, wenn man sich emotional nicht zu nahe steht.»

Michele: «Am besten ist es immer mit Leuten zu starten, die man schon von früher kennt, schätzt und weiss, dass man sich ergänzt und persönlich gut verträgt. Beispielsweise ein Kollege von der Uni, einer andern Arbeitsstelle oder vom Verein. Alternativ kann man auch eine Anzeige auf einer Jobplattform schalten mit dem gesuchten Profil und dann das Gespräch mit den Bewerbern suchen.»

Ende

Damit ist der Talk beendet. Morgen gibt es eine Zusammenfassung der relevantesten Fragen und Antworten in der Zeitung. Wenn du Fragen oder Anregungen hast, dann schreib uns an wirtschaft@20minuten.ch. Schön, dass du dabei warst.

Sandra Tobler und Michele Blasucci haben die Fragen der 20-Minuten-Community rund ums Thema Start-ups und Firmengründungen beantwortet. Wer sich selbstständig machen will, sollte Ausdauer und Leidenschaft mitbringen. Um ein Startkapital zu bekommen, lohnen sich Crowdfundings. Zudem gibt es verschiedene Förderprogramme für Jungunternehmerinnen und Jungunternehmer. Den perfekten Zeitpunkt für die eigene Firma gibt es aber nicht. Denn es kann immer etwas Unerwartetes passieren. Um finanziell sicherzugehen, lohnt es sich darum, am Anfang noch Teilzeit in einer Anstellung zu sein. Um mit dem eigenen Unternehmen abheben zu können, braucht es aber schon bald viel Zeit und Engagement.

Es gibt immer wieder schwierige Phasen

Was war der schwierigste Punkt in deiner Selbstständigkeit?

Sandra: «Ich hatte immer wieder Phasen, in denen ich mich fragte, ob es klappt und ob ich alles hinschmeissen sollte. Das gibt es immer wieder. Für mich war es am Anfang schwieriger. Wenn ich den Glauben verliere, dann entferne ich mich auch mal gerne vom Unternehmen. Oder ich treffe mich mit anderen Leuten, die Start-ups haben und tausche mich mit ihnen aus.»

Schulbildung

Michael fragt: Welche Schulbildung oder welche Ausbildung ist am besten, wenn man Unternehmer werden will?

Sandra: «Schwierig zu sagen. Man kann Betriebswirtschaft studieren. Aber man sollte etwas machen, was einem Freude macht und von wo man Know-how ins eigene Unternehmen mitbringen kann.»

Michele: «Und man sollte schauen, was man nicht kann, sollte mein Partner oder meine Partnerin dafür können.»

Versicherungen abschliessen

Martina fragt: Welche Arten von Versicherungen sollte man als Start-up abschliessen?

Michele: «Es gibt die obligatorischen Versicherungen wie die AHV, die Unfallversicherung und das BVG (ab einem Bruttolohn von 21'510 Franken). Je nach Branche empfiehlt sich immer auch eine Betriebs- oder Berufshaftpflichtversicherung und eine Rechtschutzversicherungen. In gewissen Fällen lohnt sich allenfalls auch eine Krankentaggeldversicherung oder eine Cyberversicherung.»

Anfangen bei Produktidee

Auf Instagram fragt jemand: Wenn ich eine Idee habe für ein Produkt, wie soll ich anfangen?

Michele: «So schnell wie möglich ausprobieren. Online ist am Besten. Kann man einen Prototyp online stellen oder über Social Media Geld sammeln? Man kann auch ohne Produkt anfangen.»

Sandra: «Und Interviews führen mit Interessierten oder Leuten, die Interesse haben könnten.»

Im Bewerbungsgespräch über Gründung sprechen?

Florence fragt: Muss man in einem Bewerbungsgespräch sagen, dass man daneben noch ein Unternehmen hat beziehungsweise gerade eines aufbaut?

Michele: «Das muss nur explizit erwähnt werden, wenn man den potentiell neuen Arbeitgeber damit konkurrenzieren würde. Wenn du beispielsweise eine kleine Werbeagentur hast und dich bei einer anderen Werbeagentur bewirbst, dann ist es ein Muss. Wenn du aber einen kleine E-Commerce-Shop hast und dich bei einer Versicherung bewirbst, dann musst du das nicht unbedingt erwähnen.»

Lohn auszahlen

Lea fragt: Ab wann soll ich mir im Start-up einen Lohn ausbezahlen? Wo sind steuertechnisch die Vor- und Nachteile?

Michele: «Wenn du noch zu Hause wohnst oder wenig Geld benötigst, dann möglichst spät. Die Einnahmen können somit fast vollständig in das Wachstum deiner Firma reinvestiert werden und diese kann schneller wachsen. Anders sieht es aus, wenn du kein anderes Einkommen hast. Dann bist du ab dem ersten Monat auf einen Lohn angewiesen. Steuertechnisch fährst du am besten, wenn du den Lohn am Anfang so kalkulierst, dass in der Firma kein Gewinn entsteht. So kannst du eine allfällige Gewinnsteuer umgehen und bezahlst einfach nur auf deinen Lohn die Einkommenssteuer.»

Lohnprobleme im Team

Edgar fragt: Wie löst man die Gewinnverteilung in einem kleinen Start-up mit zwei Gründern effizient, sodass derjenige, der mehr Zeit investiert, auch besser entlohnt wird?

Michele: «Gute Frage, das gibt in der Praxis immer wieder Ärger, weil der eine mehr als der andere macht. Deshalb diese Frage schon vor der Gründung klären, nicht erst im Nachhinein! Ein möglicher Verteilschlüssel wäre der folgende: Jeder schreibt die Stunden auf. Das Total der Stunden stellt dann 100 Prozent dar. Der Gewinn wird dann nach diesem Schlüssel aufgeteilt.»

Sandra: «Man sollte mit Annahmen starten und das nach spätestens einem Jahr nochmals überprüfen, ob das Modell noch immer stimmt. Ich empfehle dies von Anfang an so zu planen und bereits in der Agenda einzutragen, wann man so eine Diskussion im Gründerteam führen will. Denn gerade wenn man befreundet ist, kann das schwierig sein über Geld zu reden. Darum sollte man das so formalisieren und Meetings machen.»

Gastrobetrieb eröffnen?

Auf Instagram fragt jemand: Ist es sinnvoll etwas in der Gastrobranche zu öffnen oder im Verkauf?

Michele: «Das ist echt schwierig zu sagen. Wenn die Pandemie nun wirklich vorbei ist, dann ja. Dann fährt die Gastrobranche wieder hoch. Aber wenn es eine nächste Welle gibt, dann kann es schwierig werden

Crowdfunding für Startkapital

Matteo fragt: Wie komme ich an mein Startkapital? Und wie kann ich beispielsweise eine Bank überzeugen, mir Geld zu geben?

Sandra: «Ich empfehle ein Crowdfunding. Venturekick ist eine tolle Möglichkeit, Startkapital zu erhalten, wenn man einen Bezug zu einer Hochschule herleiten kann. Weiter gibt es viele Start-up-Wettbewerbe (Pionierpreis, WA de Vigier, Swiss Fintech Award etc.), die monetäre Preise als den ersten finanziellen Zustupf bieten. Am Anfang beginnt man jedoch auch oft mit sogenannten Angel-Netzwerken, wo man vor einer Runde mit Investoren pitchen kann. Diese investieren idealerweise in einer ersten Investitionsrunde kleinere Beträge, Know-how und ihr Netzwerk.»

Coiffeursalon

Piero fragt: Ich möchte einen Coiffeurladen gründen. Wie hoch sind ca. die Kosten? Soll ich eine Einzelfirma machen oder eine GmbH?

Michele: «Bei einem Coiffeursalon musst du mit rund 50’000 Franken Investitionskosten rechnen. Solltest du das im kleineren Rahmen machen wollen, also alleine oder zu zweit, dann empfehle ich eine Einzelfirma. Hintergrund ist die Doppelbestuerung. Planst du was Grösseres mit drei bis fünf Angestellten, dann lieber eine GmbH gründen, um die Risiken des Privatvermögens zu minimieren.»

GmbH oder Einzelfirma

Sonja fragt: Ich mache mich selbstständig mit einer therapeutischen Praxis. Soll ich als Einzelfirma oder GmbH starten? Kapital ist vorhanden.

Michele: «Falls du planst alleine zu bleiben, dann rate ich dir zu einer Einzelfirma. So kannst du nämlich die steuerliche Doppelbelastung (GmbH/privat) umgehen. Solltest du ein grösseres Projekt planen mit mehreren Angestellten und grösseren Investitionen, dann eher die GmbH. Einfach um das Risiko zu minimieren. Wichtig: Mit einer Einzelfirma haftet man mit dem gesamten Vermögen. Bei einer GmbH nur mit dem Geschäftsvermögen.»

Stärken und Schwächen

Sina fragt: Ich würde sehr gerne mein eigenes Unternehmen starten. Aber ich war nie ein sehr extrovertierter Mensch und mache mir Sorgen, wie ich mittel- und langfristig an Kunden komme. Wie wichtig ist als Gründerin Extrovertiertheit?

Sandra: «Ich denke wichtig ist, dass man eine Mischung von Charakteren in einem Gründerteam hat. Denn jede Person hat ihre Stärken und Schwächen. Wichtig ist hier, dass man sich dessen bewusst ist. Konkret kannst du dir jemanden suchen, der extrovertiert ist und gerne Salesaufgaben übernimmt, damit alle Eigenschaften in der Gründergruppe vertreten sind.»

Produkt testen lassen

Sarah fragt: Wo ist die richtige Balance zwischen Perfektionismus und «getting things started»?

Sandra: «Am Anfang ist es wichtig zu verstehen, wie man sein Produkt im Markt etablieren will und an wen man es genau verkaufen kann. Gerade am Anfang sollte man so viel wie möglich raus gehen und die Produkte im Markt testen. Dabei darf man keine Angst davor haben, dass jemand die Idee klaut. Erfolgreiche Firmen haben ihre Produkte oft mehrmals überarbeitet und auf die Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden angepasst, bevor sie ihre Nische gefunden haben.»

Michele: «Ich bin da eher auf der vorsichtigen Seite. Ich würde aufpassen, dass die Idee nicht gestohlen wird. Wenn man etwas zeigen kann, ohne zu viel Details preis zu geben, dann bin ich für Tests auf dem Markt.»

Es gibt Förderprogramme

Werner fragt: Gibt es staatliche Fördergelder für eine Firmengründung? Und wenn ja: Wie komme ich an diese Fördertöpfe?

Sarah: «Es gibt insbesondere für innovative Start-ups diverse Förderungen. Zu erwähnen sind sicherlich die vom Bund finanzierten Ausbildungsprogramme der Innosuisse. Es kann sich jeder bei Innosuisse melden; die Aufnahme ins Förderprogramm hängt vom Innovationsgrad der Geschäftsidee ab.»

Michele: «Ein Problem hierzulande ist, dass es keine Förderprogramme für Einmann-Betriebe gibt. Das ist anders im Ausland.»

Richtigen Moment gibts nicht

Remo fragt: Kann ich ein eigenes Business eigentlich auch aufbauen, ohne dass ich die Firma offiziell gegründet habe? Wann ist der richtige Zeitpunkt?

Michele: «Ja, das ist möglich. Du kannst zum Beispiel mit einer Einzelfirma starten, die nicht im Handelsregister eingetragen ist. Dies ist bis zu einem Umsatz von 100'000 Franken möglich. Aber den richtigen Moment gibt es nie. Es kann immer etwas passieren. Wie etwa die Corona-Pandemie gezeigt hat.»

Förderprogramme

Gina fragt: Es gibt gute Förderprogramme für angehende Start-ups, aber oft findet man in diesen Programmen kaum weibliche Founder. Was bräuchte es, um mehr Frauen für die Start-up-Gründung zu begeistern?

Sandra: «Wahrscheinlich gibt es inzwischen sehr viele Gründerinnen. Sie sind wohl einfach nicht so bekannt. Ein grundsätzliches Problem ist, dass Gründer oder Gründerin sein mit Vorurteilen behaftet ist: Viele denken, dass muss jemand sein, mit einer technischen Ausbildung. Aber meiner Meinung nach kann jede Person ein Gründer oder eine Gründerin sein – egal wie alt und welche Ausbildung man gemacht hat. Man muss aus einem Problem, das einem beschäftigt ein Business machen wollen. Aber auch ich wünschte mir, dass wir noch viel mehr diversere Geschichten aus der Gründerszene hören würden.»

Drei Monatslöhne

Alissia fragt: Wie viel Geld braucht es für die Selbständigkeit? Und neben dem Geld für die Gründung: Wie viele bisherige Monatslöhne sollte ich für harte Zeiten auf der Seite haben?

Michele: «Das kommt ganz darauf an, was sie plant. Ein Architekt kommt beispielsweise fast ohne Startkapital aus, da reichen schon 20’000 bis 30’000 Franken. Ein Coiffeur hingegen muss für die Übernahme eines Salons etwa mit 50’00 bist 60’000 Franken rechnen. Bei einem Restaurant sind es 200’000 bis 250’000 Franken. Drei Monatslöhne auf der Seite zu haben, das ist sicher auch immer gut. Zudem sollte man auch nicht von null auf 100 starten. Am besten hat man noch einen Job nebenbei am Anfang.»

Sandra: «Dem stimme ich nur so halb zu. Wenn man weiss, dass es funktionieren kann, dann bin ich dafür, dass man voll dahinter steht und 100 Prozent investiert.»

Begeisterung und Fachwissen

Jetzt folgen die Fragen der Community: Cedric fragt: Was ist das Wichtigste, das es bei der Gründung und Entwicklung der ersten Firma zu beachten gilt?

Michele: «Es braucht als Erstes Begeisterung und Fachwissen. Zudem braucht man ein gewisses Potenzial: Kann ich die Nummer eins sein oder zumindest in meiner Region werden? Das Ganze muss wirtschaftlich aufgehen. Es reicht leider nicht, bloss mit voller Begeisterung zu arbeiten und gut darin zu sein. Wenn es kein wirtschaftlicher Erfolg wird, kann man davon nicht leben.»

Vorsicht bei Reisen und Freizeit

Ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um sich selbständig zu machen? Die Pandemie hat sich zwar abgeschwächt, doch nun herrscht Krieg in Europa. Das gibt wieder Unsicherheit.

Michele: «Grundsätzlich kann man folgendes sagen: Die grössten Probleme der Menschheit stellen die besten ‹Geschäftsmöglichkeiten› dar. Alles um das Thema alternative Energiequellen, Energiesparen und Nachhaltigkeit ist momentan sehr gefragt; in diesem Bereich ist es also ein sehr guter Zeitpunkt um zu starten. Auch für Neugründungen in den Bereichen Beauty, Bau und IT sehe ich keine Probleme. Anders sieht es in den Bereichen Handel, Freizeit und Reisen aus; da ist zurzeit weiterhin Vorsicht geboten, weil sich das Ausmass des Krieges in der Ukraine nicht abschätzen lässt.»

Leidenschaft und Ausdauer

Was ist die wichtigste Eigenschaft, die man als Gründerin haben muss?

Sandra: «Es braucht riesige Leidenschaft, und man muss sich jahrelang für ein Thema begeistern können. Es ist sicherlich auch wertvoll, Ausdauer mitzubringen und sich durchzubeissen, wenn mal Gegenwind weht. Gründerteams können sehr unterschiedlich sein, daher ist es auch wertvoll, genau zu wissen, was ihre Stärken und Schwächen sind. Man muss sich somit gut zu überlegen, wie man sich in einem Team ergänzen kann.»

Jetzt gehts los

Der Live-Talk beginnt, in den nächsten 45 Minuten gehts um Firmen-Gründungen, und wie du dein eigenes Start-up aufziehen kannst. Schön bist du dabei.

Ab 12 Uhr gehts los

Sein eigener Chef oder seine eigene Chefin sein – davon träumen viele. Doch die Gründung eines Unternehmens ist eine grosse Herausforderung. Die Expertin und der Experte geben Tipps, wie es mit dem eigenen Start-up klappen kann. Im Live-Talk im Studio von 20 Minuten ab zwölf Uhr zu Gast sind:

  • Sandra Tobler. Sie ist Chefin der Plattform Futurae, die als Spin-off der ETH Zürich Sicherheitslösungen für Online-Anwendungen anbietet.

  • Michele Blasucci ist Chef von Startups.ch und berät Jungunternehmerinnen und –unternehmer bei der Gründung ihrer Firma.

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