War Ylenias Mörder ein Serientäter?

Aktualisiert

Fall YleniaWar Ylenias Mörder ein Serientäter?

Vor eineinhalb Jahren entführte Urs Hans von Aesch die 5-jährige Ylenia und tötete sie. Auffällige Parallelen zu anderen Kindsmorden deuten darauf hin, dass sie nicht sein einziges Opfer war. Ein Spezialteam der Kapo Bern ermittelt weiterhin intensiv.

von
Annette Hirschberg

Der Fall der kleinen Ylenia, die vom 67-jährigen Urs Hans von Aesch in Appenzell entführte und getötet wurde liegt bei den Akten. Doch die Ermittlungen rund um den mutmasslichen Täter gehen weiter. Intensiv forscht die Kapo Bern nach Verbindungen zwischen Urs Hans von Aesch und ungelösten Kindermorden aus den 80er Jahren. Der auf Gewaltverbrechen spezialisierte Journalist und Autor Peter Holenstein hat sich acht Monate lang mit dem Täter beschäftigt und mit zwei Dutzend Personen aus dessen Freundes- und Verwandtenkreis geredet. In einem Interview erzählt er 20 Minuten Online, wieso von Aesch weitere Morde begangen haben könnte.

20 Minuten Online: Urs Hans von Aesch hat die Entführung der kleinen Ylenia sehr abgeklärt geplant und ausgeführt. Ist es möglich, dass ein Ersttäter so vorgeht?

Peter Holenstein: Das ist durchaus möglich. Von Aesch, das zeigt seine Biografie, war nicht nur intelligent, sondern wusste auch äusserst raffiniert zu handeln. Der für den Fall Ylenia zuständige St. Galler Untersuchungsrichter Erich Feineis ist aufgrund der erhobenen Erkenntnisse der Meinung, dass von Aesch «eine Straftat über mehrere Wochen hinweg plante». Dafür sprechen u.a. der Kauf des Nitroverdünners (bereits einen Tag, nachdem seine Frau nach Spanien zurückgereist war) sowie der anschliessende Kauf einer Schwanenhalsschaufel und einer Nestsäge. Beides Werkzeuge, die von Aesch nachweislich beim Vergraben von Ylenias Leiche benutzt hat. Auch die Tatsache, dass er seinem Safe bei der Thurgauer Kantonalbank seinen Smith & Wesson-Revolver entnahm, spricht dafür, dass er eine Straftat plante.

Zu welchem Ergebnis kam die St. Galler Kripo?

Der Einschätzung von Untersuchungsrichter Feineis, wonach «ein ausgesprochen gefährlicher und berechnender und kaltblütiger Täter am Werk war», kann sicher zugestimmt werden. Seine Kaltblütigkeit zeigte sich insbesondere beim Zusammentreffen mit dem Tatzeugen Walter B. Von Aesch war durch den wahrscheinlich unbeabsichtigt frühen Tod seines Opfers keineswegs verwirrt oder aufgewühlt. Äusserlich ruhig und unauffällig verwickelte er Walter B. in ein belangloses Gespräch, um dann plötzlich den Revolver zu ziehen und auf das Opfer zu schiessen. Bereits vor dem Zusammentreffen mit Walter B. muss von Aesch das Fesselungsmaterial, an dem DNA-Spuren von Ylenia gefunden wurden, wieder fein säuberlich in seinem Fahrzeug aufgehängt haben.

Dennoch gibt es zwischen der Art der Ermordung von Ylenia und einigen in den 80er Jahren getöteten oder vermissten Kindern zahlreiche Parallelen.

Von den insgesamt einundzwanzig Kindsentführungen und Kindermorden, die sich während der 80er Jahre ereigneten, sind elf bis heute ungelöst. Darunter befinden sich Fälle, die bezüglich der «Täterhandschrift» fast identische Parallelen mit dem Fall Ylenia aufweisen. Ich denke hier vor allem an jene Mädchen im Alter zwischen fünf und zwölf Jahren, die am helllichten Tag an öffentlich zugänglichen Orten entführt wurden und deren Leichen in einem Waldstück verscharrt worden sind. Wie im Fall Ylenia wurden die sterblichen Überreste dieser Kinder erst viel später gefunden, weil sie von Wildtieren freigelegt worden waren. Interessant ist, dass der eigentliche Entführungsvorgang – wie im Fall Ylenia – von niemandem beobachtet worden war und dass in all den erwähnten Fällen eine Entführung nur mittels eines Fahrzeuges erfolgen konnte. Mit anderen Worten: Der Entführer muss die Kinder in allen Fällen mit einer List dazu bewogen haben, in sein Fahrzeug zu steigen.

Mit dem Schokolade-Trick?

Der «Trick» mit der Schokolade funktioniert in solchen Fällen zweifellos nicht; dafür sind die Kinder heute zu aufgeklärt; es bedarf dazu schon ebenso raffinierter wie «kindgerechter Methoden», um ein Kind dazu zu bewegen, ein ihm fremdes Fahrzeug zu besteigen.

Welche weiteren Kinder könnten denn zu von Aeschs Opfern gehören?

Bei den in Frage kommenden Fällen handelt es sich um die achtjährige Rebecca Bieri (entführt am 20. März 1982 in Gettnau LU, tot aufgefunden am 15. August 1982); die siebenjährige Loredana Mancini (entführt am 14. April 1983 im Shopping Center Spreitenbach, tot aufgefunden am 14. September 1983); die zwölfjährige Sylvie Bovet (entführt am 23. Mai 1985 in Neuenburg, bis heute vermisst); die fünfjährige Sarah Oberson (entführt am 28. September 1985 in Saxon VS, bis heute vermisst) und die siebenjährige Edith Trittenbass (entführt am 3. Mai 1985, bis heute vermisst).

Gibt es ähnlich gelagerte Fälle, die eher nicht in Frage kommen?

Unter den weiteren bis heute ungeklärten Fällen befinden sich Mädchen, die mehr als zwölf Jahre alt waren: Annika Hutter aus Nürensdorf (vermisst seit dem 11. Juli 1981) und Karen Schmitz aus Adliswil, vermisst seit dem 14. August 1982. Dazu kommen zwei ungeklärte Fälle aus dem Kanton Appenzell Innerhoden: Brigitte Meier (17) und Karin Gattiker (15) aus Eggerstanden, die am 31. Juli 1982 verschwanden und deren Leichen am 3. Oktober 1982 in Oberriet AI aufgefunden wurden.

Haben Sie Hinweise, dass Reisen von Aeschs mit dem Verschwinden von Kindern in Zusammenhang stehen?

Die Jahresagenden von Urs Hans von Aesch sind seit den 60er Jahren lückenlos vorhanden. Obwohl er genau Buch führte, wann er sich wo aufgehalten hat, ist weitgehend unklar, wo dies der Fall war, als sich die erwähnten Kindsentführungen zutrugen. Bei vielen dieser Daten hat er nämlich nur Vornamen von Personen notiert, die bislang noch nicht zugeordnet werden konnten. Diese – wie auch andere Abklärungen – laufen immer noch, und die entsprechenden Untersuchungen sind in sehr kompetenten Händen: Bei Ursula Hirschi, der Chefin «Leib & Leben» der Kantonspolizei Bern.

Und die «Soko Rebecca»?

Die so genannte «Soko Rebecca», die in den 80er Jahren ins Leben gerufen wurde und die die Aufgabe hatte, sich der ungeklärten Fälle anzunehmen, existiert heute in dieser Form nicht mehr, weil sämtliche Kripo-Sachbearbeiter der von den damaligen Kindermordfällen betroffenen Kantone heute pensioniert sind. Ursula Hirschi und ein Team von kantonalen Kripo-Sachbearbeitern haben diese Aufgabe nun übernommen, und ich kann versichern, dass diese Leute hoch professionell die notwendigen Abklärungen treffen werden. Die «Akte von Aesch» ist noch lange nicht geschlossen.

Rund um Benimantel, von Aeschs Wohnort in Spanien, soll es mehrere ungeklärte Sexualdelikte geben, bei denen die Opfer wie Ylenia mit Toluol betäubt wurden.

Ja. In einem Umkreis von 150 Kilometern von Benimantell haben sich in den letzten Jahren sechs Vergewaltigungsfälle zugetragen, bei denen die Opfer – alles junge Frauen – ausnahmslos mit Nitroverdünner (bei uns bekannt als «Pinselreiniger») betäubt wurden. Toluol, das auch von Aesch bei Ylenia verwendete, ist ein stark narkotisierendes, organisches Lösungsmittel, das in allen Nitroverdünnern vorkommt – auch in solchen spanischer Herkunft.

Von Aesch kaufte seinen Nitroverdünner immer in der Schweiz, gibt es da Unterschiede?

Es ist praktisch ein Ding der Unmöglichkeit, nachzuweisen, ob der bei den ungeklärten Fällen in Spanien verwendete Nitroverdünner aus der Schweiz oder aus Spanien stammt; Aufschluss hätte höchstens die sogenannte Konzentration des im Nitroverdünner enthaltenen Toluols geben können, doch dies festzustellen, wurde seitens der spanischen Polizei unterlassen. Ich erhielt auch den Eindruck, dass die Kooperation zwischen der spanischen Polizei und ihren Kollegen in St. Gallen nicht gerade das ist und war, was in einem solchen Fall wünschenswert wäre. Der St. Galler Kripo-Chef Bruno Fehr und seine Leute haben, wie auch der für den Fall Ylenia zuständige Untersuchungsrichter Erich Feineis, haben wirklich vorbildliche Arbeit geleistet – was sich leider so von den spanischen Strafverfolgungsbehörden nicht unbedingt sagen lässt.

Gibt es Hinweise, dass auch in Spanien kleine Kinder verschwunden sind, die in das Tatmuster von Aeschs passen?

Ich bin dieser Frage in Spanien nachgegangen, doch vergleichbare Fälle gibt es in Spanien nicht.

Das Interview wurde schriftlich geführt.

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