«Dringender Handlungsbedarf»Warnung in Deutschland – sind «Graue Wölfe» bei uns auch eine Gefahr?
Sie bezeichnen sich selbst als «Idealisten», doch die rechtsextremen «Grauen Wölfe» sind antisemitisch, rassistisch, demokratiefeindlich. Eine Studie warnt vor der türkischen rechtsextremen Bewegung in Deutschland. Und in der Schweiz?

Demonstranten in Ankara zeigen 2009 den «Wolfsgruss», ein Erkennungszeichen der «Grauen Wölfe».
AFPDarum gehts
Eine neue Studie warnt vor der türkischen rechtsextremen Bewegung in Deutschland.
Es bestehe Handlungsbedarf, die «Grauen Wölfe» stehen anderen rechtsradikalen Organisationen in nichts nach.
Wie steht es in der Schweiz um diese Bewegung?
Laut deutschem Verfassungsschutzbericht sind die «Grauen Wölfe» Träger und Verbreiter von nationalistisch-rechtsextremistischem Gedankengut: «Die unterschiedlichen Ausprägungen reichen von klassischem Rassismus bis hin in den Randbereich des Islamismus».
Die Organisation habe zudem Verbindungen zur ultranationalistischen Partei MHP in der Türkei, die dort mit der AKP von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ein Regierungsbündnis bildet.
Jetzt ortete eine Untersuchung «dringenden Handlungsbedarf»: Die «Grauen Wölfe» stehen anderen rechtsradikalen Organisationen in nichts nach; ihre Ideologie zeichnet sich durch Antisemitismus, Rassismus und Hass auf Minderheiten aus, kommt die Studie «Türkischer Rechtsextremismus in Deutschland – Die Grauen Wölfe» im Auftrag des American Jewish Committee (AJC) zum Schluss.
Deutsch-türkische Rapper mischen mit
Die «Grauen Wölfe» seien deutschlandweit «in lokalen Vereinen und Dachverbänden organisiert und überhöhen die türkische Nation sowie bestimmte islamistische Ideologeme», sagt Studienautor Kemal Bozay auf Tageschau.de. «Sie tragen politische und geschichtliche Konflikte aus dem Herkunftsland Türkei auch in Deutschland aus und entwickeln sich zu einer transnationalen politischen Bewegung. Mit mindestens 18’500 Mitgliedern bilden sie eine der stärksten rechtsextremen Strömungen hierzulande.»
Er verwies zudem auf Machtdemonstrationen von Rockerclubs aus dem Spektrum der Bewegung in deutschen Städten. Problematisch seien auch mehrere deutsch-türkische Rapper, deren antisemitische, nationalistische und kurdenfeindliche Texte bei einigen Jugendlichen türkischer Herkunft grossen Anklang fänden.
Traum von einer «türkischen Herrenrasse»
Die Studie fordert ein dringendes Handeln des Staates und der Sicherheitsbehörden. Denn trotz der offensichtlichen Gefahr seien grössere Massnahmen gegen die «Grauen Wölfe» bis heute weitgehend ausgeblieben.
Die «Grauen Wölfe» bezeichnen sich selbst als «Idealisten» (türkisch: ülkücü). Einige sprechen laut NZZ von einer «türkischen Herrenrasse» und warnen vor einer jüdischen Weltverschwörung. Dazu träumen sie vom Grossreich «Turan», das sich vom Balkan bis nach Zentralasien erstrecken soll. «Viele treten aber auch moderat auf, zumindest nach aussen hin», schreibt die Zeitung weiter und verweist auf das Motto «Werde Deutscher, bleibe Türke».
Eine Gefahr auch in der Schweiz?
Herrscht auch in der Schweiz Handlungsbedarf hinsichtlich dieser Bewegung? In einer Interpellation fragte letzten November der Grüne Nationalrat, Denis de la Reussille, eben dies und forderte ein Verbot in der Schweiz, wie es Frankreich letztes Jahr beschlossen hatte.
Der Bundesrat schloss dies im Februar dieses Jahres aus. Es würden aber «sämtliche geeigneten Präventions- und Repressionsmassnahmen gemäss NDG und Strafgesetzbuch getroffen, falls einzelne Tätigkeiten von Anhängern oder Sympathisanten der Grauen Wölfe festgestellt werden, welche die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz gefährden, inklusive Tätigkeiten, welche gegen in der Schweiz anerkannte Flüchtlinge abzielen.» Im Nationalrat ist die Diskussion noch hängig.
Dass den «Grauen Wölfen» in der Schweiz nicht der gleiche Gefahrenwert wie in Deutschland oder Frankreich zugeschrieben wird, zeigt sich auch im Sicherheitsbericht des Nachrichtendienstes NDB für die Schweiz 2020. Sie finden darin keine Erwähnung (im Gegensatz zur Kurdischen Arbeiterpartei PKK).
Das ist hier anders
Die Bewegung habe derzeit auch keine grosse Bedeutung in der Schweiz, so Extremismusforscher Dirk Baier von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW. Die Lage in der Schweiz sei ohnehin eine andere als in Deutschland. Dort stellten türkischstämmige Personen die grösste ausländische Bevölkerungsgruppe dar, in der Schweiz hingegen die etwa siebtgrösste Ausländergruppe.
In Deutschland sei der Anteil türkischstämmiger Personen etwa viermal so hoch wie in der Schweiz, so Baier weiter. Zudem gebe es vergleichsweise stärkere Abschottungstendenzen gerade in den Grosstädten, und auch die Integration der mittlerweile dritten Generation türkischstämmiger Personen sei in Deutschland eher schlecht im Vergleich zu anderen Migrantengruppen. «Ich denke daher, dass die Graue-Wölfe-Bewegung in der Schweiz keine grosse Gefahr ausstrahlt.»
Frankreich hat die «Grauen Wölfe» Ende 2020 verboten. In Deutschland spricht sich der Bundestag zwar für ein Verbot aus, doch noch steht ein solcher Schritt nicht zuvor. Österreich verbietet seit 2019 Symbole der Bewegung.