«Was schaust du so?»

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Strafgericht BS«Was schaust du so?»

Trotz Landesverweis blieb ein 22-jähriger Marokkaner nach seiner Haftentlassung illegal in der Schweiz. Im Herbst 2018 griff er bei Schlägereien auf der Basler Dreirosenanlage zwei Männer mit einem Messer an. Jetzt droht eine lange Haftstrafe.

Die Messerattacken ereigneten sich im September und November 2018 auf der Dreirosenanlage im Kleinbasel.
Im ersten Fall am 10. September kam es zu einem Gerangel zwischen dem beschuldigten Marokkaner und einem jungen Franzosen, nachdem er dessen Freundin bedrängt haben soll. Der Beschuldigte soll zunächst von seinem Widersacher überwältigt worden sein, dann zückte er das Messer.
Am 16. November 2018 wiederholte sich das Schauspiel: Ein Streit mit einem jungen Afghanen, mutmasslich wegen eines schiefen Blicks, artete in eine Schlägerei aus. Erneut zückte der Beschuldigte sein Taschenmesser.
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Die Messerattacken ereigneten sich im September und November 2018 auf der Dreirosenanlage im Kleinbasel.

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«Gute Frage», entgegnet der 22-Jährige Gerichtspräsidentin Sarah Cruz-Wenger, als sie wissen will, wie es mit ihm weitergehen soll. Ähnlich planlos verlief das Leben des jungen Marokkaners schon bisher. Als Teenager will er alleine seine Heimat verlassen haben und schlug sich seither in Spanien, Frankreich, Österreich und der Schweiz durch. Wie, dazu machte er vor dem Basler Strafgericht keine Angaben. Vier Vorstrafen und einen Landesverweis hat er in der Schweiz schon gesammelt. «Leider», wie er sagt. Eigentlich hätte er nach seiner letzten Haftentlassung am 23. Mai 2018 die Schweiz verlassen müssen. Aber von alleine und ohne gültige Papiere ging er nirgendwo hin.

Jetzt muss er sich wieder vor Gericht verantworten. Mehrfache versuchte vorsätzliche Tötung und Betäubungsmitteldelikte. Seinen Lebensunterhalt bestritt er mutmasslich mit Nothilfe und Drogenhandel.

Beschuldigter sieht sich als Opfer

Am 10. September 2018 soll er einen jungen Mann auf der Dreirosenanlage mit einem Messer lebensbedrohlich verletzt haben. Es kam zum Streit, als der Beschuldigte mit der Freundin des Opfers zu flirten begann. Mit der Anklage ist der Marokkaner aber nicht einverstanden. «Eigentlich bin ich hier das Opfer und wurde geschlagen.» Das Messer habe er nur gezogen, um ihm Angst zu machen. Das Opfer, ein junger Franzose, erlitt eine Stichwunde im Unterbauch und mehrere oberflächliche Schnittverletzungen.

Das Opfer schildert ein Gerangel. Er habe den Beschuldigten weggestossen, nachdem dieser seine Freundin bedrängt habe. Wann er vom Messer getroffen wurde, wisse er nicht mehr so richtig. Die gemäss rechtsmedizinischem Gutachten potenziell lebensgefährlichen Verletzungen seien ihm erst danach richtig aufgefallen.

Auch das zweite Mal, am 16. November 2018, will er nicht der Aggressor gewesen sein. Und wieder habe er das Messer nur aus Notwehr gezückt. Die Hintergründe des Streits mit dem Opfer blieben unklar. Den Anfang machte ein schiefer Blick. «Was schaust du so», soll der Beschuldigte dem Opfer zugerufen haben. «Sie waren zu viert», erzählt der junge Afghane. «Einer schüttete Bier auf mich, sie kreisten uns ein, und dann ging der Beschuldigte auf mich los. Er hat mich mit dem Messer angegriffen, er wollte mich einfach irgendwo treffen.» Nachdem die Basketballer dazwischengegangen waren, habe er sofort die Polizei gerufen.

Der Beschuldigte widerspricht vehement. «Ich zücke doch nicht einfach ein Messer, nur weil einer schief schaut, ich bin doch nicht verrückt.» Und doch erlitt der junge Afghane Schnittverletzungen am Rücken, obwohl er eine dicke Jacke trug. Ein Freund, der zu Hilfe eilte, erlitt eine Schnittverletzung am Daumen.

Rache oder legitime Verteidigung

Für Staatsanwältin Alexandra Frank stand die Schuld des notorisch kriminellen Marokkaners ausser Zweifel. Im ersten Fall habe er schlicht aus Rache zugestochen, weil er seinem Kontrahenten zunächst unterlegen sei. Sie beantragte der Kammer des Gerichts eine Haftstrafe von 9 Jahren und 8 Monaten und einen anschliessenden Landesverweis über 20 Jahre.

Demgegenüber qualifizierte seine Verteidigerin Joanna Wierzcholski die mehrfache versuchte Tötung im ersten Fall als legitime Verteidigung und den zweiten Fall bestenfalls als einfache Körperverletzung. Auch von Drogenhandel wollen sie und der Beschuldigte nichts wissen. Die Betäubungsmitteldelikte seien einzig Übertretungen, das beschlagnahmte Cannabis sei nur zum Eigengebrauch bestimmt gewesen. Der Beschuldigte sei darum höchstens zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten und einer angemessenen Busse zu verurteilen.

Das Strafgericht eröffnet das Urteil am Donnerstagnachmittag.

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