Identitätsklau im Web«Was, Sinplus sind doch im Finale!?»
Manch einer wunderte sich am Abend der Endausscheidung zum ESC. Plötzlich geisterten merkwürde Breaking News durchs Web. Das sorgt für Aufregung und bei vielen Usern auch für Ärger.

Kaum vom Original zu unterscheiden: Der Satire-Channel 20minNews schmückt sich mit dem offiziellen 20-Minuten-Online-Logo, doch wird eine News weitergeleitet, sieht man das nicht mehr.
Der ESC läuft auf Hochtouren. Gerade wird bekannt, wer es beim Musikwettbewerb in die letzte Runde schafft. Nur wenige Augenblicke später macht folgender Tweet die Runde: «BREAKING: Schweizer ESC-Band Sinplus gewinnt Einzug ins Finale.» Schön wärs. Die Realität sieht anders aus. Die beiden Brüder aus dem Tessin haben es nicht geschafft. Kein Wunder, dass diese Falsch-Meldung deshalb für einige Furore sorgt. Und für Häme gegenüber 20 Minuten Online.
«Das ist extrem ärgerlich, weil wir mit einer Journalistin vor Ort waren und direkt vom Event berichtet haben», erklärt Hansi Voigt, Chefredaktor von 20 Minuten Online. Tatsächlich erfolgt um Punkt 22:58 Uhr im Live-Ticker der korrekte Eintrag: «Die Schweiz hat es nicht geschafft. Wäre auch eine Überraschung gewesen.» Wie also konnte es zu so einem Wirrwarr kommen?
Eine Marke, viele Kopien
Absender des Tweets ist 20 Minuten Online - zumindest auf den ersten Blick. Denn bei @20minNews muss man sehr genau hinsehen, um festzustellen, dass irgendetwas nicht stimmt. In der Beschreibung des Accounts steht: «Satire-Geschichten direkt in Ihrem Newsfeed.» Ein Twitter-Vögelchen hat sich mit fremden Federn geschmückt. Keine Seltenheit, denn viele wollen von einer prominenten Marke profitieren. Ärgerlich dabei: Beim Account prangt dreist das 20-Minuten-Online-Logo. Nur wenigen Internetnutzern fällt ins Auge, dass es sich dabei eigentlich um einen Satire-Kanal handelt. Die Verwirrung und Empörung ist gross – und wächst mit jedem Retweet.
Eljub Ramic, fragt auf die Meldung hin: «Stimmt doch nicht, oder??» Nicht besser ergeht es Markus Baumgarter. «"@20minNews: BREAKING: Schweizer ESC-Band Sinplus gewinnt Einzug ins Finale. #esc12" ähemm....», gibt er sich erstaunt. Ogeca fragt gar «Jetzt also doch, wer wurde bestochen?» Zurecht ist Rino Borini sauer, weist darauf hin: «@20minNews nicht ganz korrekt! speed is the game, aber nicht immer!! qualität sollte on top sein».
Lanz beim Kaffeekränzchen mit Gottschalk? Quatsch!
Dabei handelt es sich keinesfalls um einen Einzelfall. Im Gegenteil: Sucht man auf Twitter nach Personen und gibt 20min ein, werden etliche Accounts angezeigt, die teilweise das 20-Minuten-Logo verwenden, teilweise nur im Namen vorgaukeln, ein offizieller Account der Newssite zu sein. Auf einzelnen werden einfach echte News geretweetet oder automatisch integriert, auf anderen werden Schlagzeilen schlicht erfunden. Auch auf Facebook finden sich immer wieder einmal derlei Pseudo-Seiten mit allen möglichen Inhalten.
Davon können viele Firmen und Promis ein Lied singen. So hat just in dieser Woche ein falscher Markus Lanz über ein angebliches Treffen mit seinem Wetten-Dass-Vorgänger auf dem Profil @Markus_Lanz getwittert: «Auf dem Weg ins #Einstein um mit Thomas einen Kaffee zu trinken. Aufgeregt! #lanz #WettenDass.» Der Sender dementierte auf dapd-Anfrage die Echtheit des Profils. Es handele sich dabei um eine Fälschung, sagte ein Sprecher in Mainz. Immerhin keine Beleidigungen oder Verleumdungen. Dennoch unangenehm für Promis und auch für Unternehmen – je nachdem, welche Inhalte gepostet werden, können diese durchaus rufschädigend sein. Deshalb gibt es auch durchaus Möglichkeiten, dagegen vorzugehen.
Facebook und Twitter reagieren meist schnell
«Derlei Identitätsklau kommt häufig vor – und wird in Zukunft vermutlich noch massiv zunehmen», ist Gustavo Salami, Geschäftsführer der Kuble AG und der Somexcloud Social-Media-Akademie überzeugt. Dabei gebe es zwei prinzipiell unterschiedliche Methoden: 1.) Original-Inhalte werden einfach 1:1 kopiert und auf die Originalseite verlinkt. 2.) Ein sogenannter «Aufmerksamkeitsklau». Dabei werden unter dem Namen eines Promis oder im Namen eines Brands unechte Inhalte verbreitet. In aller Regel lässt sich das sehr schnell regeln. «Im ersteren Fall sind die Kopierer meist dialogbereit. Beim Aufmerksamkeitsklau schreiten im Falle einer Beschwerde Facebook und Twitter meist umgehend und sperren die entsprechenden Seiten», weiss Salami aus seiner Erfahrung.
Allerdings nur bei Brands. Jeder aber hat das Recht, eine Fanseite zu gründen und dort auch über Unternehmen und Personen zu diskutieren, lustige oder satirische Inhalte einzustellen und auch zu verlinken. Aber: Wo kein Kläger, da kein Richter. «Meist wissen betroffene Unternehmen und Personen gar nichts von diesen Accounts», wie der Social-Media-Experte immer wieder beobachtet.
Kommt es dennoch ganz dick und will ein Anbieter nicht reagieren, bleibt meist nur noch der Rechtsweg. Und der ist meist mühsam und teuer, wie David Rosenthal von der Anwaltskanzlei Homburger warnt. «Das kann mitunter Monate dauern. Zwar kann man oft in der Schweiz klagen, aber hat der Provider seinen Sitz im Ausland, braucht es unter Umständen ein Rechtshilfeverfahren. Oder es wird gleich ein Anwalt vor Ort hinzugezogen. Aber beides muss vorfinanziert werden.»
Wird an der Glaubwürdigkeit gekratzt, gibt es die rote Karte
Ob lustig oder nicht, ist müssig zu diskutieren. Letztlich aber geht der Spass zu Lasten von Social Media Nutzern, die den Wahrheitsgehalt jeder einzelnen Nachricht von vertrauenswürdigen Newssites nicht überprüfen können und wollen. Gerade dies macht den Wert der Marke aus. Geht es an die Glaubwürdigkeit des Mediums, besteht die Notwendigkeit zum Handeln. Unser Redaktor David Cappelini hat sich via Twitter direkt an den Absender der Falschmeldung gewendet. Immerhin hat dieser daraufhin den Beschrieb geändert. Doch das Logo prangt immer noch unverändert an seiner Stelle. Vermutlich nicht mehr lange.
«Im Sinne unserer Leser, die uns ihr Vertrauen schenken, werden wir gegen Leute, die unseren Namen oder unser Logo verwenden, um falsche Meldungen, Beleidigungen oder Verleumdungen zu verbreiten, vorgehen – egal ob bei gedruckten Werken oder im Internet», stellt Hansi Voigt klar. Das hat keinesfalls etwas mit Spassbremse zu tun. «Wir schmunzeln über vieles und sind keinesfalls engstirnig. Geht es aber um unsere Glaubwürdigkeit, bleibt uns keine Wahl.»
Folgen Sie uns auf Twitter
Auf diesen Kanälen gibt es echte News:
Und auf Facebook