Schweiz: Wegen Krieg und Inflation – psychische Probleme von jungen Menschen so akut wie nie

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SchweizWegen Krieg und Inflation – psychische Probleme von jungen Menschen so akut wie nie

Experten und Expertinnen in der Schweiz sind besorgt. Die psychischen Probleme sind bei der jüngeren Generation höher als in der Pandemie. 

«Mit dem Ukrainekrieg verstärken sich die Ängste bei der jungen Generation», sagt Sprecherin Lulzana Musliu-Shahin.
Inflation, die Nachwirkungen von Corona und der Ukraine-Krieg setzen jungen Menschen in der Schweiz stark zu. 
Bei der Dargebotenen Hand Zürich stellt man seit Kriegsbeginn eine psychische Grundbelastung fest, die massiv höher ist, als zu Beginn der Corona-Pandemie.
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«Mit dem Ukrainekrieg verstärken sich die Ängste bei der jungen Generation», sagt Sprecherin Lulzana Musliu-Shahin.

20min/Marco Zangger

Darum gehts

Inflation, die Nachwirkungen von Corona und der Ukraine-Krieg setzen jungen Menschen in der Schweiz stark zu. Bei Pro Juventute zeigt man sich besorgt. «Es gibt eine starke Zunahme bei der psychischen Belastung und bei Suizidgedanken von Kindern und Jugendlichen. Unsere Beratungen zu Suizidgedanken sind auf einem Allzeithoch», sagt Sprecherin Lulzana Musliu-Shahin.

Jeden Tag stehe man mit sieben Kindern und Jugendlichen wegen Suizidgedanken in Kontakt. Im ersten Quartal dieses Jahres habe man zudem bei den Beratungen zu Ängsten generell eine Zunahme um 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesehen. «Mit dem Ukrainekrieg verstärken sich die Ängste bei der jungen Generation», sagt Musliu-Shahin.

Was man jetzt mit dem Krieg, der drohenden Inflation und der Klimakrise erlebe, sei eine Multikrise, welche Kinder und Jugendliche in ihrer psychischen Entwicklung herausfordere. «Diese Multikrise fordert Kinder und Jugendliche besonders, weil sie noch nicht gleich gute Bewältigungsstrategien für solche Situationen wie Erwachsene erarbeitet haben», so Musliu-Shahin. Umso wichtiger sei es jetzt, dass Angebote wie das 147 von Pro Juventute, welche Kinder und Jugendliche stärken, unterstützt werden.

«Diese Entwicklung bereitet uns Sorgen»

Bei der Dargebotenen Hand Zürich stellt man seit Kriegsbeginn eine psychische Grundbelastung fest, die massiv höher ist, als zu Beginn der Pandemie. Im Zeitraum zwischen Februar und Anfang Juni seien Angstzustände in Gesprächen achtmal häufiger genannt worden als im Vorjahr. Bei Panikattacken seien es viermal mehr Erwähnungen gewesen. Davon seien alle Altersgruppen betroffen – einen grossen Teil mache jedoch die jüngere Generation aus. «Diese Entwicklung bereitet uns Sorgen», sagt Matthias Herren, Stellenleiter Dargebotene Hand Zürich.

«Diese Entwicklung bereitet uns Sorgen», sagt Herren. Gespräche zu diesen Themen seien auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr belastend. Deshalb sei es wichtig, dass sie bei Bedarf die Gespräche in der Supervision verarbeiten oder gar eine Auszeit nehmen können. «Aufgrund der steigenden Nachfrage wollen wir das Personal aufstocken. Zurzeit bilden wir weitere Personen aus, die belastete Menschen am Telefon, im Chat und Mail begleiten können.»

SP-Nationalrätin Sandra Locher Benguerel zeigt sich ebenfalls besorgt. In einer von ihr kürzlich eingereichten Interpellation heisst es unter anderem: «Der Anteil psychisch belasteter Jugendlicher hat sich in den letzten Jahren mehr als verdoppelt. Es ist alarmierend. Aktuell löst der Ukraine-Krieg zusätzliche Ängste aus.» Anlauf- und Beratungsstellen für Kinder und Jugendliche sowie junge Erwachsene seien aber am Anschlag. Es werde Jahre dauern, die psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung zu verbessern. Als Sofortmassnahme müssten die Angebote der Anlauf- und Beratungsstellen ausgebaut und die dafür nötigen Mittel bereitgestellt werden.  Mitunterzeichnet haben die Interpellation rund 18 Parlamentarierinnen und Parlamentarier. 

Unis schlagen Alarm

Inflation, die Nachwirkungen von Corona und der Ukraine-Krieg setzen auch Studierenden zu. «Die Studienberatung hatte noch nie so viele Beratungen in den ersten fünf Monaten wie dieses Jahr», sagte Markus Diem, Leiter der Studienberatung an der Universität Basel, kürzlich gegenüber 20 Minuten. Eine der Gründe sei Corona. «Die Studierenden mussten sich ihre Struktur plötzlich selbst aufbauen, selbst einteilen, wann sie wie viel machen. Das klappt nicht bei allen und dann steigt der Druck.» 

Dazu kommen Fälle von Long Covid, das sich ebenfalls auf die Psyche auswirkt: Man hat schneller keine Energie mehr, fühlt sich schlapp, dauererschöpft. «Die Grenze zwischen Long Covid und einer psychischen Krise ist schwierig zu definieren», sagt Markus Diem. Ein weiterer Faktor ist der Ukraine-Krieg. «Die Ereignisse stellen die Weltordnung fundamental infrage. Man weiss nicht, wie es weitergeht. Dazu kommt die Inflation. Das betrifft die Studierenden ebenfalls.» 

Studie «Hyperconnected Customer»

Hast du oder hat jemand, den du kennst, eine psychische Erkrankung?

Hier findest du Hilfe:

Pro Mente Sana, Tel. 0848 800 858

Kinderseele Schweiz, Beratung für psychisch belastete Eltern und ihre Angehörigen

Verein Postpartale Depression, Tel. 044 720 25 55

Angehörige.ch, Beratung und Anlaufstellen

VASK, regionale Vereine für Angehörige

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

Hast du oder hat jemand, den du kennst, Suizidgedanken? Oder hast du jemanden durch Suizid verloren?

Hier findest du Hilfe:

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

Pro Mente Sana, Tel. 0848 800 858

Seelsorge.net, Angebot der reformierten und katholischen Kirchen

Muslimische Seelsorge, Tel. 043 205 21 29

Jüdische Fürsorge, info@vsjf.ch

Angehörige.ch, Beratung und Anlaufstellen

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