Dalai-Lama-Eklat«Wenn das ein Witz war, dann ein sehr geschmackloser»
Ein Video, wie der Dalai Lama angeblich einen Jungen dazu auffordert, seine Zunge zu lutschen, schockiert das Internet. Auch Schweizer Politiker verurteilen den Geistlichen. Eine Religionswissenschaftlerin ist anderer Meinung.
Diese Aufnahmen gingen über die Ostertage um die Welt.
Twitter/20minDarum gehts
Ein Video des Dalai Lama, dem geistlichen Oberhaupt der Tibeter, ging kürzlich viral. Es zeigt, wie er einen Buben dazu auffordert, ihn auf den Mund zu küssen und an seiner Zunge zu lutschen. Nachdem das Video auf Social Media für Empörung sorgte, entschuldigte sich der Dalai Lama in einem offiziellen Statement auf Twitter beim Jungen und seiner Familie. Zum Vorfall hiess es, dass der 87-Jährige Menschen, denen er begegne, oft auf eine unschuldige und spielerische Weise necke. Niklaus-Samuel Gugger, EVP-Nationalrat und einer der Co-Präsidenten der Freundschaftsgruppe Schweiz-Tibet, verurteilt das Verhalten des Dalai Lama.
«So etwas geht gar nicht. Wenn das ein Witz war, dann ein sehr geschmackloser.» Jegliche Situationen, bei denen die persönliche oder sexuelle Integrität einer Person verletzt wird, überschreite eine Grenze. «Das ist hier geschehen», so Gugger. Zur Entschuldigung des geistlichen Oberhaupts sagt er: «Das ist das Mindeste. Ich hoffe, dass er sein Verhalten wirklich reflektiert.»
Auch Snap, das internationale Netzwerk der von Geistlichen misshandelten Überlebenden, zeigt sich schockiert. «Es ist sehr beunruhigend, dass ein 87-jähriger Mann einen kleinen Jungen auffordert, in der Öffentlichkeit einen offenkundigen sexuellen Akt vorzunehmen», heisst es in einer Mitteilung. Dem Dalai Lama wirft Snap vor, seine Machtposition als spirituelle Figur ausgenutzt zu haben.
Das sagt die Gesellschaft Schweizerisch-Tibetische Freundschaft
«Die Zunge zur Begrüssung herauszustrecken ist tibetische Tradition»
Karénina Kollmar-Paulenz, Professorin für Religionswissenschaft und Tibet-Expertin, erklärt das Verhalten des Dalai Lama hingegen so: «Hinter der Handlung steckt weder eine böse Absicht noch eine sexuelle Intention.» Das geistliche Oberhaupt sei dafür bekannt, Scherze zu machen. Für den internationalen Aufschrei seien insbesondere kulturelle Unterschiede verantwortlich. «Der Dalai Lama scheint sich nicht bewusst gewesen zu sein, dass sein Verhalten in anderen Ländern als sexuell aufgefasst werden könnte.»
Wie die Professorin erklärt, ist es in der Regel nicht üblich, den Dalai Lama anzufassen – das wegen seiner hohen geistlichen Stellung. «Um der buddhistischen Gemeinschaft aber zu zeigen, dass er trotzdem nahbar, sozusagen einer von ihnen, ist, sucht er oft Körperkontakt zu Gläubigen.» Das sei für sie jeweils eine Ehre.
Zudem habe die Zunge in Tibet eine besondere Bedeutung. «Die Zunge zur Begrüssung herauszustrecken, ist beispielsweise eine alte tibetische Tradition.» Damit zeige man auf höfliche Weise, dass man keine bösen Intentionen habe. «Ob diese Tradition im Zusammenhang mit den Handlungen des Dalai Lamas steht, bleibt offen», sagt Kollmar-Paulenz.