Wenn der Schrecken ein Gesicht bekommt

Aktualisiert

Nicole GrossWenn der Schrecken ein Gesicht bekommt

Das Foto der blutverschmierten Nicole Gross geht nach den Anschlägen am Boston Marathon um die Welt. Es ist nicht das erste Mal, dass ein US-Drama eine schöne Frau zur Ikone macht.

von
J. Büchi

Die Frisur wirr, die Kleidung zerrissen, ihr ganzer Körper blutverschmiert. Nicole Gross sitzt da, umgeben von Blutlachen, starrt ins Leere – und ist dabei immer noch wunderschön. Das Bild der blonden Frau ziert nach dem Drama vom Boston Marathon Titelseiten und flimmert über Bildschirme, die Geschichte der 31-Jährigen wird dutzendfach nacherzählt.

Laut dem «Charlotte Observer» handelt es sich um Nicole Gross, eine ehemalige Triathletin. Sie wartet mit ihrer Schwester und weiteren Familienmitgliedern auf den Zieleinlauf ihrer Mutter Carol, als die beiden Bomben in die Luft gehen. Gross wird am Bein verletzt, ihre Schwester, eine 29-jährige Lehrerin, muss gar in lebensbedrohlichem Zustand ins Spital. Auch Nicoles Mann Michael Gross erleidet Verbrennungen und Schnittwunden.

Die «Dust Lady» und der «Engel aus der Asche»

Nicole Gross ist nur eines von mehr als 170 Opfern, die bei den Anschlägen von Boston verletzt wurden. Drei weitere Menschen wurden von den Bomben in den Tod gerissen. Dass ausgerechnet sie nun den Schock und den Terror von Boston verkörpert, erstaunt aber nicht. Fast jedes Drama in den USA bringt eine tragische Heldin hervor, eine unfreiwillige Ikone. Oft sind die Protagonistinnen weiblich, jung und schön – und immer von der Tragödie gezeichnet.

Nach den Anschlägen von 9/11 war es Rachel Uchitel, die in den Trümmern verzweifelt nach ihrem Verlobten suchte, der als Banker im World Trade Center gearbeitet hatte. Die junge Frau – so schön und so traurig wie sie war – bekam den Übernamen «Engel aus der Asche» verpasst, ihr Bild ging in Windeseile um die Welt.

Am 11. September 2001 wurde auch Marcy Borders alias «Dust Lady» weltberühmt. Ein Fotograf fotografierte sie, staubverkrustet, vor Schreck erstarrt. Ein Bild mit Gelbstich, das in wenigen Pixeln den ganzen Horror des Anschlags abbildete, war das Ergebnis. Auch es verbreitete sich tausendfach und wurde zum Inbegriff des Leids, das 9/11 mit sich gebracht hatte.

Die Todesnachricht per Telefon

In der jüngeren Vergangenheit war es Jillian Soto, die Schwester einer beim Amoklauf von Newtown getöteten Lehrerin, die zum Motiv eines solchen «iconic photo» wurde. Das Bild zeigte den Moment, in dem Soto am Telefon die Todesnachricht erfährt, das Gesicht vor Trauer und Schmerz verzerrt.

Mit Nicole Gross ist diese Galerie des Schreckens um ein Gesicht reicher. Die junge Sportlerin befindet sich noch im Spital. Zu ihrem unfreiwilligen Ruhm hat sie sich noch nicht geäussert.

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