Überraschung am Afrika-CupWenn ein Land plötzlich Fussball lernt
Madagaskar war chronisch erfolglos – ehe es nun den Afrika-Cup erobert. Ein Schweizer hat das auch schon versucht.
Laut riefen sie: «Wundermann!» Priesen ihn als «König von Madagaskar». Für die paar Meter vom Auto zum Restaurant benötigte er eine Viertelstunde. Menschenmassen. Autogramme. Schulterklopfen. Nachher im Hotel einschlafen? Ging nicht: zu viel Lärm und Jubel draussen auf der Strasse vor dem Zimmer.
Hans Heiniger hat auf Madagaskar ein seltenes Phänomen erlebt: Fussballeuphorie. Einst Spieler beim FC Biel, den Young Boys und in Thun, wurde er als Trainer zum Weltenbummler – mit Schwerpunkt Afrika. Er arbeitete in Togo, Gambia und Mali, 2002 kam er auf die Insel, die fünftgrösste der Welt, aber fussballerisch ein Zwerg. Und Heiniger «kam, sah und siegte», wie das «Sport Magazin» einst in einem Porträt schrieb: In seinem ersten Spiel gewann Madagaskar gegen Ägypten 1:0 und führte in der Qualifikation zum Afrika-Cup gleich einmal die Tabelle an. Und Heiniger? Den sprachen sie kurzerhand heilig.
Doch wie der gelernte Spengler selbst sagte: «In diesem Geschäft weiss man nie, was morgen ist. Und in Afrika gilt das in verschärftem Mass.» Madagaskar verlor das entscheidende Spiel um den Gruppensieg in Ägypten 0:6 und wie all die Jahre zuvor verpassten die Madagassen auch den Afrika-Cup 2004. Und Heiniger? War seinen Job auch gleich wieder los. Inzwischen ist er verstorben.
Viele erfolglose Jahre madagassischen Fussballs sind seither vergangen, manchmal verlor das Nationalteam sogar gegen winzige Nachbarn wie Mayotte - aber jetzt stehen die Menschen wieder Kopf: Nicht nur hat sich Madagaskar endlich einmal für den Afrika-Cup qualifiziert, es überstand gar die Vorrunde als Gruppenerster, eliminierte im Achtelfinal Kongo und steht nun im Viertelfinal. Dort trifft der Debütant heute Abend auf Tunesien. Als krasser Aussenseiter natürlich. Madagaskar ist die Weltnummer 108. Tunesien 25.
Auch diesmal ist der Trainer ein Ausländer, einer im Nebenamt ausserdem: Der Franzose Nicolas Dupuis steht in seiner Heimat beim FC Fleury 91 unter Vertrag, sein Amateurclub spielt in der vierthöchsten Liga. Seit 2017 führt er das madagassische Nationalteam. Das Doppelamt ist keine einfache Aufgabe für den 51-Jährigen, doch er erklärt: «Beide Teams sind mir eine Herzenssache. Man muss sich gut organisieren, um beides machen zu können. Allerdings inspiriert mich die Arbeit an beiden Standorten auch.»
Ein Name wie ein Ohrwurm
Wer aus Madagaskar stammt und es im Fussball zu etwas bringen will, geht nach Frankreich - eine Profiliga existiert in der Heimat so wenig wie vielerorts sonst in Afrika. Neben Ersatzgoalie Jean Dieu-Donné Randrianasolo – am Afrika-Cup ist kein Name länger – stammt nur noch ein junger Mittelfeldspieler aus einem madagassischen Verein. Sein Name ist weniger lang und doch ein Ohrwurm: Romario Baggio.
13 der 23 Spieler im Kader spielen dagegen in Frankreich. Faneva Ima Andriatsima etwa ist Captain und mit 42 Länderspielen der Erfahrenste - er verdient sein Geld bei Clermont in der Ligue 2. Für Routine sorgt Jérémy Morel, der mit Lorient, Marseille und Lyon über 400 Ligue-1-Spiele bestritten hat. Andere stehen bei Ludogorez Rasgrad, den Kaizer Chiefs in Südafrika oder bei Minnesota United in der Major League Soccer unter Vertrag.
Die bunt zusammengewürfelte, aber gut strukturierte Mannschaft hat die Konkurrenz beeindruckt. So hatte Gernot Rohr, vor langer Zeit YB-Trainer, nach der Niederlage seiner Nigerianer in der Gruppenphase so ehrfürchtig wie prophetisch gesagt: «Es ist keine Schande, gegen sie zu verlieren. Sie sind stark, haben einen tollen Trainer und können beim Turnier weit kommen.»