Religionsexperte über VerschwörungstheorieSatanismus-Panik – «Kinder durch Pseudo-Erinnerungen traumatisiert»
In Medizin und Opferhilfe gibt es Anhänger einer satanistischen Verschwörungstheorie. Dass sie jetzt wieder aufkomme und in Therapiekreisen weiterverbreitet werde, sei, so finden Experten, «eine Katastrophe».
Das sind die wichtigsten Aussagen aus der SRF-Dok.
SRFDarum gehts
Eine neue SRF-Doku sorgt für Aufruhr: Robin Rehmann und Ilona Stämpfli folgen der Spur einer in der Schweiz kursierenden Verschwörungserzählung. Demnach würden Satanisten bei rituellen Anlässen Kinder misshandeln, sexuell missbrauchen und sogar schlachten. Propagiert wird die Erzählung vor allem vom Verein «Care About Ritual Abuse» (Cara). In der Dok kommen verschiedene Personen aus der Opferhilfe, Psychiatrie, Lehrerschaft und Polizei zu Wort. Sie alle sind der Überzeugung, dass es in der Schweiz viele Opfer von satanistischen rituellen Gewalttaten gebe. Beweise gibt es dafür keine, trotzdem duldet man keine Kritik: «Täter» erkenne man daran, dass sie den Verein diffamierten, so Cara-Präsident Fritz Bamert.
Wer jede Kritik an der eigenen Position und Tätigkeit dämonisiert oder kriminalisiert, handle sektenhaft, sagt dazu Religions- und Sektenexperte Georg Otto Schmid zu 20 Minuten. Dabei sei die Thematik nicht neu: Ähnliche Behauptungen habe es bereits während der sogenannten «Satanic Panic» in den 1980ern in den USA gegeben. In der Schweiz hätten Aussagen über Missbrauch in solch satanistischen Strukturen in den letzten Jahren aber «deutlich» zugenommen, sagt Schmid. «Das hängt klar mit der Tätigkeit des Vereins Cara zusammen – und damit, dass auch Therapeuten das Thema für sich entdeckt haben und Weiterbildungen zum Thema besuchen.»
«Pseudo-Erinnerung» für Betroffene nicht weniger traumatisch
Hilfesuchende Menschen mit einem diffusen Leiden würden solche «Pseudo-Erinnerungen» heutzutage oft unter der Anleitung von Therapeutinnen und Therapeuten bilden, sagt Schmid. «Die Erinnerungen werden also nicht aus den Tiefen des Bewusstseins an den Tag gefördert, sondern aktiv produziert.»
Für die Betroffenen sei das vermeintlich Erlebte aber nicht weniger traumatisch – im Gegenteil. Für sie und ihre Familien sei die Situation oft unerträglich, sagt Schmid. «Die Eltern leben mit den Vorwürfen – im Wissen, dass nichts passiert ist. Und die Kinder sind durch die indizierten Pseudo-Erinnerungen derart traumatisiert, dass sie nichts mehr mit den Eltern zu tun haben wollen.»
«Typische Verschwörungstheorie»
Der Verein Cara vertrete eine Weltanschauung mit problematischen Konsequenzen und propagiert eine zweifelhafte Therapieform, sagt Schmid. «Viele Leute im Verein haben ein fundamentalistisch dualistisches Weltbild. Sie gehen von einem Gott aus, der sich mit der Christenheit in einem konstanten Kampf gegen Satan und Satanisten befindet.» Diese Satanisten müsse es gemäss ihrer Weltanschauung irgendwo geben. «Deshalb rechnen sie mit einer satanistischen Unterwanderung der Gesellschaft, was aber eine typische Verschwörungstheorie darstellt.»
Dass Fachpersonen aus der Psychiatrie und der Traumatherapie der festen Überzeugung sind, dass es diesen rituellen Missbrauch gebe, sei eine «Katastrophe», sagt der forensische Psychiater Andreas Frei. «Als Patient befindet man sich in einer grossen Abhängigkeit vom Therapeuten.» Das sei ähnlich wie bei einer Sekte. «Ist man in dieser Abhängigkeit, braucht es grosse Kräfte, den eigenen gesunden Menschverstand walten zu lassen.»
Laut Katja Rost, Soziologieprofessorin an der Universität Zürich, sind solche Geschichten schwer zu beweisen oder zu widerlegen. Deren Anhänger forderten oft eine Beweisumkehr: «Das Problem ist: Man kann selten endgültig beweisen, dass eine Erzählung nicht stimmt.» Es gebe auch in der Psychotherapie thematische Trends und Moden, so Rost: «Immer wieder bürgern sich unterschiedliche Therapiekonzepte und Denkweisen ein.» So gebe es auch einen Markt für Weiterbildungen: «Viele leben davon, diese Konzepte zu verkaufen.»
Castagna greift SRF an
Bist du minderjährig und von sexualisierter Gewalt betroffen? Oder kennst du ein Kind, das sexualisierte Gewalt erlebt?
Hier findest du Hilfe:
Polizei nach Kanton
Kokon, Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene
Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147