Projekt gegen ArmutWer wird Bettel-Millionär?
Gut 15 Prozent der Amerikaner leben unter der Armutsgrenze. Chris Coon gehört bald nicht mehr dazu: Der Bettler will eine Million Dollar erschnorren und seine Aktion statistisch auswerten.
Seit der letzten Erhebung anno 2010 sind 2,6 Millionen Amerikaner unter die Armutsgrenze gerutscht: 46,2 Millionen US-Bürger müssen mit weniger als 11 130 Dollar jährlich auskommen. Der prozentuale Armen-Anteil variiert dabei von Staat zu Staat: von 8,3 Prozent in Connecticut bis 22,7 Prozent in Mississippi. Chris Coon aus New York will aus diesem Teufelskreis aus Armut, Arbeits- und Obdachlosigkeit ausbrechen: Der Bettler hat sich zum Ziel gesetzt, eine Million Dollar zu schnorren – und zwar als «soziales Experiment». Seine Einnahmen verzeichnet er auf der Internet-Website «AskAMillion.com».
Als der 29-Jährige im Mai seine Mission zumeist am Union Square startete und die Grossstädter nach ein paar Münzen fragte, arbeitete er noch mit Papier und Clip-Board: Mit den Daten, aus denen hervorgeht, wie oft er seine Mitmenschen anbetteln muss, bis sie in die Tasche greifen. Er will Soziologen unterstützen und befolgt deshalb einige Regeln: Zum Beispiel fragt er die Leute nicht vor 13 Uhr nach Geld, weil er sie nicht beim Mittagessen stören will. «Es ist nicht respektvoll», begründete der junge Mann in der «New York Times» seine Zurückhaltung.
Feste Bettelregeln
Coon versucht, sich die Gesichter der Angesprochenen zu merken, um sie nicht ein zweites Mal zu fragen. Paare zählen dagegen doppelt. Läuft ihm ein Passant im Gespräch davon, schreibt er ihn gar nicht auf. «Ich werde wahrscheinlich mit fünf oder sechs Millionen Menschen reden müssen, um eine Million Dollar erfragen zu können. Dass der Vater zweier Töchter die Sache so genau nimmt, hat einen guten Grund: «Es soll sich möglichst genau wie ein Experiment anfühlen, weil es für mich ein Experiment ist, das zeigen soll, wie schnell ich aus der Obdachlosigkeit herauskomme», erklärte er in der US-Zeitung.
Anfangserfolge konnte Coon schon nach wenigen Wochen erzielen. Eine Frau schenkte ihm einen Laptop, damit er seine Daten schneller erfassen kann. Via Bezahldienst «Paypal» kann nun sogar im Internet gespendet werden. Inzwischen hat Coon von einer Firma einen iPad geschenkt bekommen, mit dem seine Arbeit leichter wird. Der monetäre Weg ist jedoch noch lang: Bis zum 24. August hatte der «Statistik-Schnorrer» («Süddeutsche Zeitung») erst 3897 Dollar zusammen. Ungefähr jeder Dritte spendet, wenn Chris danach fragt.
«Genug zu verdienen, um über den Tag zu kommen, führt uns nirgendwohin»
Coons Situation wird durch die familiären Umstände erschwert. Seine Partnerin und seine beiden Kinder leben im Gebiet von Washington, doch der Arbeitslose glaubt, in New York mehr Wohltätigkeit zu finden. «Leider weiss ich nicht, wann ich mein Mädchen wiedersehe, weil wir einen Streit hatten. Sie wollte, dass ich mit in die Obdachlosenunterkunft gehe. Aber gerade genug zu verdienen, um über den Tag zu kommen, führt uns nirgendwohin», schrieb Chris am 12. September. Und nicht nur seine Freundin liess er zurück, auch die siebenjährige Sharmaijah und die eineinhalb Jahre alte Khloe.
Coons eigene Lebensgeschichte ist der «klassische» Weg nach unten. Geboren in Arkansas und aufgewachsen in einem Kinderheim in North Carolina, begann sein «Erwachsenenleben» mit zwölf Jahren. Es folgen abwechselnd «Heime, Gefängnis, Knast und Obdachlosigkeit», zitiert ihn die «Huffington Post». Es bleibt dem engagierten Mann zu wünschen, dass er sein Dilemma überwindet. Doch selbst wenn Chris von der Strasse kommt: Es gibt in den USA 46 Millionen weitere Coons.