Die fatalen Fehler der SNBWider die Religion der Notenbanker
Wer die Nationalbank kritisiert, wird von der Branche geächtet. Keiner weiss das besser als der ehemalige UBS-Analyst Marc Meyer. Nun ätzt er wieder gegen SNB-Präsident Hildebrand und Co.

Nationalbankkritiker Marc Meyer ist heute Lehrer - statt gutbezahlter Banker.
Er hat einst mit Joe Ackermann, dem heutigen Chef der Deutschen Bank, gearbeitet. Sergio Ermotti, Topkandidat für die Nachfolge von Oswald Grübel als UBS-CEO, kennt er von seiner Zeit bei der Citicorp. Marc Meyer hat eine grosse Karriere als Banker vor sich gehabt. Doch heute ist der begabte Ökonom Lehrer in Basel. Lehrer für Wirtschaftsgymnasiasten. Meyer ist einer, der genau weiss, wie es funktioniert.
Als Analyst im Market-Strategy-Team der UBS beschäftigte er sich täglich mit komplizierten Charts. Versuchte aus dem Datenwirrwarr die richtigen Anlagestrategien abzuleiten. Meyer hatte seinen Traumjob. Bis er sich mit einer beissenden Kritik über die Anlagestrategie der Nationalbank zu sehr exponierte. Und von seinem Arbeitgeber UBS geschasst wurde. Das war 1996.
Analyst ohne Lohn
Die Kündigung hat Meyer noch immer nicht verdaut. «Der Rauswurf war einfach nicht fair», sagt er und streicht mit dem Zeigefinger zärtlich über seinen Oldtimer, den er mit dem Geld aus den Banker-Jahren gekauft hat. Es ist ein Jaguar E-Type, Jahrgang 1963. Ein echtes Schmuckstück.
Der 56-jährige sieht sich noch immer als Analyst. Nur dass ihn heute niemand mehr für seine Analysen bezahlt. Wer die Notenbank kritisiere, arbeite nie mehr für ein Schweizer Finanzinstitut, sagt Meyer. Langsam kommt er in Fahrt. «Die Nationalbank hat einen langen Arm.» Wirkt der Junggeselle darum im Klassenzimmer, statt am Paradeplatz?
Marc Meyer ist einer der schärfsten Kritiker von SNB-Präsident Philipp Hildebrand und dessen Vize Thomas Jordan. Die Aktionen des Direktoriums beobachtet er mit Argusaugen. Dass die SNB Anfang September eine Kursuntergrenze zum Euro von 1.20 ausrief, missfällt ihm sehr. Das Direktorium habe masslos überreagiert, findet Meyer. Die Euroschwäche sei per Saldo für die Schweizer Volkswirtschaft sogar vorteilhaft. Zudem könne die Nationalbank den Euro über längere Zeit gar nicht stützten. Die Übermacht der Finanzmärkte sei zu gross.
«Ein fataler Irrtum!»
Um den Eurokurs stabil zu halten, muss die Nationalbank auf den Devisenmärkten intervenieren. Sie kauft Euro gegen Schweizer Franken. Was zu riesigen Mengen von Währungsreserven führt, die im Falle eines neuerlichen Euro-Absturzes zu einem immensen Verlust führen und das Eigenkapital der Notenbank schmälern. Die Notenbanker finden das nicht weiter schlimm: «Die Zentralbank kann sämtlichen Zahlungsverpflichtungen jederzeit nachkommen, weil sie die benötigte Liquidität selber schaffen kann», sagte SNB-Vize Thomas Jordan an einem Referat in Basel. Eine Zentralbank könne gar nicht in Liquiditätsprobleme geraten.
Es sind solche Aussagen, die Marc Meyer auf die Palme bringen. «Die Nationalbank kann nicht einfach so viel Geld drucken, wie sie will.» Die Ausgabe einer Banknote bedeute für die Zentralbank eine Schuld. Die SNB verwechsle Eigen- mit Fremdkapital – «ein fataler Irrtum!» Meyer folgert: Wenn die Nationalbank bei negativem Eigenkapital Geld druckt, steigen lediglich die Schulden, statt dass Löcher gestopft werden können.
Gefangen in der Religion
So weit einleuchtend. Doch warum glaubt ihm niemand? Meyers Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: «Einen so einfachen Fehler will niemand zugeben. Die Notenbanker sind in ihrer Religion gefangen!»
Religion? In Meyers Worten ist missionarischer Eifer zu spüren. Er hat Grund für Vehemenz: «Wenn niemand aufbegehrt, droht der grosse Crash», sagt er. Die Schweizer Wirtschaft könnte an dieser Notenbank-Politik zu Grunde gehen. Im Fall von negativem Eigenkapital müssten die Gläubiger der SNB – die Geschäftsbanken – ihre Giroguthaben bei der SNB abschreiben. Was laut Meyer zu Konkursen von Geschäftsbanken führen wird.
Unzählige Briefe hat Meyer in den letzten Jahren an die Verantwortlichen der Nationalbank geschrieben. Substanzielle Antworten hat er nie erhalten. Seinen Verriss des Referats von SNB-Vize Jordan in Basel sandte Meyer auch an die Bundesräte Eveline Widmer-Schlumpf und Johann Schneider-Ammann. Keine Antwort.
Dies obwohl Meyer mit Kritik an der SNB schon einmal richtig lag: Dank seiner Intervention begann die Nationalbank 1997 ihre Anlagen umzuschichten und wies dadurch einen höheren Anlagegewinn aus. Auch die Goldverkäufe hatte Markt-Analyst Meyer angeregt.
Erfolglose Initiative
Im Dezember 2010 lancierte der Dr. rer. pol. aus Riehen die Volksinitiative «Unsere Nationalbank gehört uns allen!» Sie verlangt, dass die Schweizer Währungshüter nicht eigenmächtig horrende Staatsschulden anhäufen können. Die Frist zum Unterschriften sammeln läuft bis Juli 2012. Doch unterschrieben haben «noch viel zu wenige», so Meyer. Für Sammelaktionen fehlen dem Einzelkämpfer die Mittel. Und die politischen Partner.
Meyer sieht sich als Warner, der in einem von der Wissenschaft anerkannten System einen Fehler entdeckt hat. Ein kleiner Fehler zwar – aber einer, der ins Auge gehen kann. «Es kann doch nicht sein, dass die SNB einfach Geld druckt und damit die Löcher stopft», sagt er. Mantra-artig wiederholt er seine Botschaft. Und wirkt dabei wie ein Don Quijote, der einen Kampf gegen Windmühlen führt.
Meyer, ein Kopernikus
Der streitbare Ökonom selbst zieht den Vergleich mit Nikolaus Kopernikus vor – ein Vergleich, den sich ein Redaktor des «Tages-Anzeigers» vor über 15 Jahren erdacht hat. Meyer erfüllt es noch heute mit Stolz. Es habe mehrere hundert Jahre gedauert, bis man dem Vordenker der modernen Astronomie geglaubt habe, dass die Erde sich um die eigene Achse und um die Sonne drehe. Visionäre leben einsam.
Stört es ihn, dass seine Banker-Karriere ein jähes Ende nahm? Dass seine ehemaligen Kollegen ein Vielfaches verdienen? «Ich bin glücklich als Lehrer», sagt Marc Meyer und betrachtet seinen hellblauen Jaguar. «Dieser Wagen ist wenigstens wertbeständig. Ganz im Gegensatz zu den Euros der Nationalbank.»
Für den Interview-Termin hat er sich eine gelbschwarze Seidenkrawatte umgebunden. Wie damals, als er noch Banker war. Seine Zeit wird kommen, davon ist Meyer überzeugt. «Irgendwann wird man mir glauben.» Hoffentlich nicht, wenn es schon zu spät ist.