Wie realistisch ist es, dass Trump schon jetzt gehen muss?

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AmtsenthebungWie realistisch ist es, dass Trump schon jetzt gehen muss?

Indem er seine Anhänger zur Stürmung des Capitols aufstachelte, hat Donald Trump den Bogen als US-Präsident endgültig überspannt: Das finden jetzt auch viele seiner republikanischen Parteifreunde. Rufe nach einer vorzeitigen Absetzung des 74-Jährigen werden laut.

Der Anfang vom Ende: Trump-Anhänger beginnen mit dem Sturm auf das Capitol.

Militante Anhänger des scheidenden Präsidenten Donald Trump stürmten am Mittwoch das Capitol. Zuvor hatte der noch amtierende US-Präsident Donald Trump in einer Rede dazu fast explizit aufgerufen. Jetzt werden Rufe nach seiner Absetzung laut – und zwar parteiübergreifend.

So fordern nicht nur die Demokraten im Repräsentantenhaus in einem Brief an Vizepräsident Mike Pence die vorzeitige Entmachtung Trumps – auch hochrangige Mitglieder der Trump-Regierung sollen über eine mögliche Absetzung beraten. Selbst Senator Lindsey Graham, republikanisches Schwergewicht und eigentlich ein Verbündeter Trumps, ging nach dem Capitol-Sturm auf Abstand. «Trump und ich, wir hatten eine höllenmässige Reise. Ich hasse es, dass es so ist», sagte er. «Aus meiner Sicht ist er ein konsequenter Präsident gewesen. Aber heute... alles, was ich sagen kann, ist, ohne mich. Genug ist genug.» Der einflussreiche und konservative Industrieverband National Association of Manufacturers rief sogar ganz offen nach einer Absetzung Trumps.

Aber wäre das überhaupt noch möglich – knapp zwei Wochen, bevor Trump ohnehin gehen muss? Wer würde das durchsetzen? Hier die wichtigsten Fragen und Antworten von Politologe Alexander Trechsel* im Überblick:

Warum wird über eine Absetzung gesprochen?

Kritiker machen Trump für die gewaltsame Erstürmung des Capitols mitverantwortlich: Der Präsident, der seine Wahlniederlage vom 3. November immer noch nicht anerkennt, schürt schon seit Monaten die Spannungen und rief seine Anhänger am Mittwoch mit aufpeitschenden Worten zu einem Marsch auf den Kongress auf. Befürchtet wird, dass Trump in seinen letzten Tagen im Amt noch mehr Unheil anrichten könnte. Er ist noch bis zur Vereidigung von Wahlsieger Biden am 20. Januar im Amt.

Wie ginge das?

Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten, einen Präsidenten seines Amtes zu entheben. Die erste Möglichkeit ist jene des von der Verfassung festgehaltenen «Impeachment»-Prozesses. Ein solches Verfahren gegen Trump war bereits Ende 2019 wegen der Ukraine-Affäre eingeleitet worden, letztlich aber im konservativ dominierten Senat gescheitert. Laut US-Verfassung kann ein Präsident bei einem Impeachment wegen «Verrats, Bestechung oder anderer hoher Verbrechen und Vergehen» seines Amtes enthoben werden. Für die
Anklageerhebung gegen Trump wäre eine einfache Mehrheit im Repräsentantenhaus ausreichend, für eine tatsächliche Amtsenthebung bräuchte es aber auch eine Zweidrittelmehrheit im Senat. Ein neues Impeachment gilt derzeit als unwahrscheinlich.

Wie realistisch ist eine solche Absetzung Trumps?

«Es gibt die Forderung nach einem solchen Impeachment, also einem Amtsenthebungsverfahren», sagt Politologe Alexander Trechsel von der Universität Luzern. «Aber die Zeit reicht dafür wohl nicht mehr. Zwar könnte die Amtsenthebung im Schnellverfahren durchgeführt werden, aber die dafür nötige Zweidrittel-Mehrheit im Senat wird schwierig zu erreichen sein.»

Gibt es daneben noch eine Möglichkeit, Trump aus dem Amt zu heben?

«Ja, es gibt noch die Möglichkeit des Abschnitts 4 des 25. Verfassungszusatzes. Dies gibt dem Vize-Präsidenten, gestützt von der Kabinettsmehrheit, die Möglichkeit, den Präsidenten abzusetzen», sagt Trechsel. Festgehalten ist dies im 25. Zusatzartikel (»Amendment») zur US-Verfassung, der sich mit der Möglichkeit befasst, dass «der Präsident unfähig ist, die Befugnisse und Obliegenheiten seines Amtes wahrzunehmen». Vorgesehen ist ein solcher Schritt für den Fall einer schweren Erkrankung oder geistiger Probleme des Präsidenten.

Ginge das auch ohne Trumps Vizepräsidenten?

Nein, dem Vize-Präsidenten kommt in dieser vom 25. Verfassungszusatz vorgesehenen Prozedur zur Absetzung des Präsidenten eine Schlüsselrolle zu: «Ohne ihn geht es nicht», sagt Politologe Trechsel. «Doch ob sich Mike Pence zu diesem Schritt entscheiden wird, ist höchst ungewiss. Er muss sich auch um seine eigene Karriere – nach der Trump-Administration – Gedanken machen. Als absolut treuer Weggefährte, der bis ganz am Schluss brav die Linie von Trump in allen Angelegenheiten vertreten hat, muss die aktuelle Situation schlimm sein für ihn. Er wird sich in den Augen der Demokraten und mittlerweile auch in jenen vieler Republikaner, nicht mit seiner erst in den letzten Tagen geäusserten Opposition gegen Trump rehabilitieren können.»

* Alexander Trechsel ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Luzern.

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