Energiestrategie 2050Wie viele Vögel sterben durch Windräder?
Die SVP warnt vor einem Vogelsterben wegen des neuen Energiegesetzes – mit einer Amerikanischen Dachsammer. Doch wie tödlich sind Windräder für Vögel wirklich?
Die Landschaft um den Vierwaldstädtersee ist dominiert von einem gigantischen Park von Windrädern, durch den sich ein Vogelschwarm seinen Weg bahnen muss. Ein kleines Vögelchen hat es bereits erwischt, es liegt tot am Boden.
So macht ein Flyer Werbung für ein Nein zur Energiestrategie, der kürzlich in mehr als 100'000 Haushalten verteilt wurde. Verfasser Kurt Zollinger von der SVP Stäfa präzisiert gegenüber 20 Minuten: «Zugvögel und Spatzen wie der auf dem Flyer werden in den Windrädern reihenweise ihren Tod finden, wenn die Energiestrategie angenommen wird.»
Signiert ist der Flyer unter seinem Namen nur mit «besorgter Bürger». Er sei in dieser Sache erstmal Bürger, und nicht Politiker, sagt Zollinger. Finanziert hätten die Aktion die vielen Unterstützer seines Komitees zur Rettung des Werkplatzes Schweiz.
«Das ist kein Spatz, sondern eine Dachsammer»
Nun zeigt sich: Der Vogel auf dem Flyer ist gar nicht in der Schweiz zu Hause. «Das ist kein einheimischer Spatz, sondern eine nordamerikanische Dachsammer, ohne Zweifel», sagt Ornithologe Manuel Schweizer vom Naturhistorischen Museum Bern. «Die Dachsammer ist in der Schweiz nicht heimisch, sie wurde noch nie hier gesichtet.»
Der nordamerikanische Singvogel sei vom Spatz einfach zu unterscheiden. «Typisch für die Dachsammer ist die an einen Dachs erinnernde schwarz-weisse Gesichtszeichnung.» Auch der gelbe Schnabel komme so beim Spatz nicht vor, zudem habe die Dachsammer andere Details im Gefieder. «Die Autoren des Flyers sind wohl keine allzu grossen Vogelkenner.» Auch die Beschreibung des Agenturbildes spricht von einem «white-crowned sparrow» – also einer Dachsammer.
Zollinger lässt sich davon nicht überzeugen: «Das ist in meinen Augen ein einheimischer Spatz und sicher kein Ausländer.» Unabhängig von der Art des Vogels sei es aber so, dass die Windräder den Vögeln massiv schaden würden. «Abertausende Vögel würden durch den Ausbau der Windenergie aus ihrem natürlichen Umfeld vertrieben, und Zugvögel wären ebenfalls betroffen, wenn sie sich die falsche Route aussuchen.»
«Hauskatzen fressen 1,8 Millionen Vögel»
Bundesrätin und Energiestrategie-Befürworterin Doris Leuthard setzt die Zahlen in Relation mit anderen Todesursachen. «Jedes Jahr sterben Hunderttausende von Vögeln in der Schweiz an Glasscheiben von Gebäuden. Hauskatzen fressen 1,8 Millionen Vögel pro Jahr und rund 1 Million Vögel sterben bei Kollisionen im Verkehr», schrieb Leuthard im grossen 20-Minuten-Live-Chat. Eine neue Studie zeige, dass pro Windanlage etwa 20 Vögel pro Jahr sterben würden. «Sie können selbst ausrechnen, ob Windenergie für Vögel tatsächlich so eine grosse Gefahr darstellt.»
Für Zollinger greifen die Zahlen der Studie zu tief. «Es gibt eine hohe Dunkelziffer, denn viele Vögel werden von Wildtieren weggeschleppt und gar nicht registriert.» Doch auch die offiziellen Zahlen seien schon schlimm: «Bei 1000 Windrädern sind das immerhin 20'000 tote Vögel jedes Jahr.»
Auch Stefan Bachmann von der Naturschutzorganisation BirdLife Schweiz betont: «Die Studie des Bundes bezieht sich nur auf einen Standort, an anderen Orten kann es zu mehr Opfern kommen.» Trotzdem sei man für die Energiestrategie. Man rechne mit etwa 400 Windanlagen. «Windräder sind aus Sicht des Naturschutzes nur dann ein Problem, wenn sie am falschen Ort gebaut werden, etwa im Lebensraum bedrohter Arten oder mitten in Flugrouten von Zugvögeln. Deshalb braucht es vor jeder Planung eine saubere Abklärung.»