Opioid«Wir erwarten seit 15 Jahren, im Schweizer Koks Fentanyl zu finden»
Angesichts der fürchterlichen Drogenkrise in den USA und eines drohenden Heroinmangels in Europa wachsen die Sorgen vor Opioiden wie Fentanyl. Ein Interview.
Darum gehts
Ab 2024 könnte ein Heroinmangel auf dem europäischen Markt entstehen.
Gefährliche Opioide wie Fentanyl könnten dann einen Aufschwung erleben, befürchtet die Europäische Drogenbeobachtungsstelle EMCDDA.
Abwarten und vor allem genau beobachten, meint Frank Zobel.
Im Interview spricht der Vize-Direktor von «Sucht Schweiz» über frühere «Heroin-Lücken», darüber, wer den Heroinmarkt in der Schweiz in der Hand hat, und über die Gefahr von angereichertem Kokain.
Herr Zobel*, mit dem Verbot unter den Taliban zeichnet sich ein Heroinmangel ab, der den Experten Bauchweh bereitet. Ihnen auch, was die Schweiz angeht?
Als die Taliban vor zwanzig Jahren die Opiummohn-Produktion verboten, kam effektiv weniger Heroin nach Europa. Jetzt müssen wir aufmerksam sein, ob sich nächstes Jahr am Markt etwas ändert und sich dieser Effekt des Mangels zeigen wird.
Auf was werden Sie achten?
Dafür muss geklärt werden, ob das Verbot der Taliban wirklich umgesetzt wird, zumal die Opiummohn-Produktion dem armen Land einiges an Einkommen verschafft. Dann ist die Frage, ob es entlang der klassischen Schmuggelrouten noch grosse Mengen an Heroin in Lagern gibt, was ein Absinken vorerst kompensierte. Auch könnten Pakistan oder die Länder des Goldenen Dreiecks (Thailand, Laos, Myanmar) Afghanistan als Heroinproduzenten ablösen.
«Gibt es entlang der Schmuggelrouten noch grosse Mengen an Heroin in Lagern, was ein Absinken vorerst kompensierte?»
Was weiss man in der Schweiz über die Folgen solcher Heroin-Lücken?
In der Schweiz kam es um 2010/11 zu einem Mangel an Heroin. Als Reaktion darauf reduzierte ein Teil der Heroinsüchtigen den Konsum und ging in die Substitutionsbehandlung. Die Situation hat sich deswegen nicht stark verschlimmert.
Das sei ein grosser Unterschied zu den USA, da es in der Schweiz ein grosses Netz an Behandlungszentren und Behandlungsmöglichkeiten gebe. «Deswegen ist meine Angst relativ begrenzt», sagt Suchtexperte Zobel. «Selbst wenn es zu einem ‹Heroin-Schock› kommen sollte, haben wir verschiedene Mittel, um diesen abzufangen.» Ohnehin sei in der Schweiz das Heroin-Problem mittlerweile relativ unter Kontrolle – im Gegensatz zu Kokain.
«In der Schweiz gab es bislang sehr wenig sichergestelltes Fentanyl und auch keine damit gestreckten Drogen.»
Kokain wird mit Opioiden wie Fentanyl angereichert, die Konsumierenden wissen davon nichts – ist das keine Gefahr in der Schweiz?
Es gibt in den USA mit Fentanyl gestrecktes Heroin und Kokain, und wir erwarten schon seit gut 15 Jahren, dass derlei auch nach Europa und zu uns kommt. Doch bislang ist dies ausgeblieben. Das kann sich natürlich jederzeit ändern. Bislang ist Fentanyl in Europa mehr als Warnhinweis nur in einigen wenigen Ländern aufgetreten. Auch in der Schweiz gab es in den letzten zwanzig Jahren sehr wenig sichergestelltes Fentanyl und auch keine damit gestreckten Drogen.
Wie erklären Sie, dass dies aus den USA nicht überschwappt?
Der Drogenmarkt in der Schweiz ist ein ganz anderer als in den USA, wo es unter anderem mit den mexikanischen Kartellen viel wilder zugeht. In der Schweiz ist der Heroinhandel seit etwa 30 Jahren in den Händen von Gruppen aus Albanien, Serbien und Kosovo. Sollte es auf dem Markt wegen des Taliban-Verbots wirklich zu einem Heroinmangel kommen, würde sie das besonders treffen. Sie importieren seit Jahrzehnten Heroin aus Afghanistan und strecken es mit Koffein und Paracetamol. So hat die Schweiz auch über Jahrzehnte relativ unverändertes schlechtes, stark gestrecktes Heroin.
«Das ist dreissig Jahre später in den USA noch immer nicht denkbar.»
Dass die Opioidkrise der USA Europa und die Schweiz bislang nicht erfasst habe, liege aber nicht nur am kleineren und anders agierenden Drogenmarkt, sondern habe auch damit zu tun, wie Gesellschaft und Polizei mit der Drogenproblematik umgingen, sagt Zobel. So habe die Schweiz mit der Heroinverschreibung bereits 1994 eingeführt, dass Abhängige die Droge vom Arzt bekommen könnten. «Das ist dreissig Jahre später in den USA noch immer nicht denkbar. Die Schweizer Drogenpolitik hat im Sozial- und Gesundheitsbereich viel mehr Mittel und ist viel effizienter als die amerikanische Drogenpolitik.»
*Frank Zobel ist Direktor der Stiftung «Sucht Schweiz». Zobel hat an der Universität Montreal Soziologie und öffentliches Gesundheitswesen studiert. Er hat lange am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Lausanne gearbeitet sowie bei der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA). 2014 nahm er die Arbeit bei «Sucht Schweiz» auf.
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