Schweizer Ex-Geheimdienstler«Gopf! Es ist, als hätten wir einen Krisenfall nie zuvor geübt»
Der Schweizer Nachrichtendienst war nur eine von vielen Stationen in seinem Leben. Generalstabsoffizier Bruno Lezzi spricht mit 20 Minuten über sein neues Buch, in dem er auch streng mit Bundesbern ins Gericht geht.

«Die Auffassungen von Neutralität gehen mittlerweile so stark auseinander, dass es nicht mehr aufgeht.»
Barbara KellerDarum gehts
Bruno Lezzi arbeitete lange beim Schweizer Nachrichtendienst der Armee und kennt die Bundesverwaltung wie nur wenige.
Als Chef des Sekretariats der Lagekonferenz kannte er alle Fragen zu Krisenbewältigung.
Jetzt blickt er in einem neuen Buch auf mehrere Jahrzehnte der Schweizer Sicherheitspolitik zurück.
Darin kritisiert Lezzi das ungenügende Krisenmanagement von Bundesbern nicht nur während der Corona-Pandemie.
Im Gespräch erklärt Lezzi, wieso er sich mit seiner Kritik durch die Corona-Leaks bestätigt fühlt und was es mit der mangelnden Kommunikationsstärke in der Bundesverwaltung auf sich hat.
Auch der Ukraine-Krieg habe Versäumnisse ans Licht gezerrt: «Die behagliche Selbstzufriedenheit ist einer ziellosen Aufgeregtheit gewichen.»
Die Schweiz habe es versäumt, Antworten rund um die Fragen zu unserer Neutralität und der damit verbundenen Sicherheitspolitik auch nur zu diskutieren.
Bruno Lezzi blickt auf ein aufregendes Leben. Zwölf Jahre arbeitete er beim Schweizer Nachrichtendienst der Armee. Dann schrieb der Generalstabsoffizier 20 Jahre lang für die NZZ über Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Er berichtete aus Afghanistan, Tschetschenien, Bosnien und Kosovo.
Lezzi, der innert Sekunden von «Züridütsch» ins breiteste Berndeutsch oder Baslerische wechseln kann, kennt Bundesbern wie nur wenige. In seinem neuen Buch «Von Feld zu Feld. Ein Leben zwischen Armee, Journalismus und Politik» blickt der 77-Jährige auf mehrere Jahrzehnte der Schweizer Sicherheitspolitik zurück. Mit den Schweizer Behörden geht Lezzi streng ins Gericht.
Herr Lezzi, das Krisenmanagement des Bundes überzeugt Sie nicht. Sie machen neben Überforderung auch Kommunikationsunfähigkeit aus, gerade in der Corona-Pandemie. Fühlen Sie sich durch die aktuellen Corona-Leaks bestätigt?
Ja. Anfänglich liess die Sache mich als abgebrühten Journalisten recht kalt. Je länger ich mich aber damit beschäftigte, desto hellhöriger wurde ich. Das fein gesponnene Informationsnetz zwischen dem Chef des Innendepartements und dem CEO von Ringier liegt nämlich auf einer anderen Ebene als die gelegentliche Bedienung von Journalisten durch die Politik. Und als ehemaliger enger Mitarbeiter von Generalstabs- und Nachrichtenchefs in Krisenlagen kann ich mir nur schwer vorstellen, dass der jetzige Bundespräsident und sein Kommunikationschef während der Corona-Pandemie nicht regelmässig und im Detail über die Informationslage gesprochen haben.
Wieso ist Bundesbern derart kommunikationsschwach?
Das hat vielfältige Gründe – und hat auch mich als jemanden überrascht, der in zwölf Jahren bei der Bundesverwaltung und als Chef des Sekretariats der Lagekonferenz mit allen Fragen zu Krisenbewältigung beschäftigt war. Und die gab es in den Zeiten des Kalten Krieges wie das tägliche Brot; wir haben für einen Ernstfall unglaublich viel geübt. Doch das scheint in Bern vergessen gegangen zu sein. Schaut man, wie wir die Corona-Krise in gewissen Phasen gemeistert haben und wie kommuniziert wurde, denke ich mir: «Gopf! Es ist, als hätten wir einen Krisenfall nie zuvor geübt.»
«Nicht gelernt, dass Kommunikation parallel zur Lageentwicklung verläuft.»
«Viel geübt, nichts gelernt», schreiben Sie im Buch.
Genau. Nach der Auflösung der Sowjetunion Anfang der 90er-Jahre dachte man sich nicht nur im Verteidigungsdepartement: Jetzt ist Schluss mit dieser ewigen Überei für den Ernstfall, das können wir uns jetzt sparen. Wir haben das Krisenmanagement meiner Meinung nach zu wenig ernst genommen, gerade auch in der Aufarbeitung von Lehren – eigentlich erstaunlich angesichts der vielen Kommunikationsspezialisten, die heutzutage in der Bundesverwaltung tätig sind. Es will einfach nicht klappen. In der Corona-Pandemie zeigt sich auf jeden Fall, dass wir nicht gelernt haben, dass Kommunikation parallel zur Lageentwicklung verlaufen muss und dass in jeder Phase ehrlich, offen und transparent informiert werden sollte.
«Es gibt nicht unbedingt die Bereitschaft, andere Meinungen aufzunehmen.»
Wieso lernt man das in Bern nicht?
Das hat sicher auch damit zu tun, dass man sich in unserem Land, wo man sich im Staatsbetrieb über viele Jahre gut kennt, nur ungern auf die Füsse tritt. Jedenfalls gibt es bei der heutigen Bundesverwaltung nicht unbedingt die Bereitschaft, Kritik und andere Meinungen vorurteilslos aufzunehmen und zu diskutieren. Das macht sich immer wieder bemerkbar, nicht nur in der Corona-Krise.
Können Sie ein anderes Beispiel nennen?
Irritiert hat mich etwa die Information über «Pilum 22», die als grösste Militärübung seit dem Ende des Kalten Krieges verkauft wurde. Das Manöver war kommunikativ miserabel begleitet – es war schlicht ungenügend, was da geboten wurde. Das lief früher deutlich besser: Es gab gute Pressemappen, viele Journalisten begleiteten die Übungen, und die verantwortlichen Übungsleiter haben sich sehr ins Zeug gelegt. Es ist unverständlich, dass man in einer so angespannten Zeit, wo es darauf ankäme, Vertrauen zu schaffen, die Gelegenheit nicht nutzte, um die Armee näher vorzustellen.
«Schweden und Finnland haben gespürt, dass es allein nicht mehr geht.»
Sie gehen auch mit Berns Aussen- und Sicherheitspolitik ins Gericht: Seit dem Angriff auf die Ukraine sei «die behagliche Selbstzufriedenheit einer ziellosen Aufgeregtheit gewichen».
Das ist zwar etwas aus dem Moment geschrieben, aber es stimmt schon: Einst waren wir überall aktiv, wenn auch international gesehen auf kleiner Flamme. Doch immer, wenn es heikel wurde, war man sehr vorsichtig, selbst wenn das Risiko kalkulierbar war. Jetzt hat sich der Kurs auf einmal geändert und die Neutralität ist wie nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zum Stein des Anstosses geworden. Wir gelten international wieder als Profiteure und Trittbrettfahrer. Jetzt wird es schwierig. Und zwar aus folgendem Grund.
Bitte.
Es wäre uns jederzeit möglich, uns von der Neutralitätsvereinbarung von 1907 über die Rechte und Pflichten des Neutralen zu verabschieden. So wie es Schweden und Finnland getan haben, weil diese beiden sicherheits- und militärpolitisch versierten Länder gespürt haben, dass es allein nicht mehr geht und sie sich der Nato annähern müssen. Doch in der DNA der Schweizer Bevölkerung ist die Neutralität in allen Facetten stark verwurzelt. Dabei gehen die Auffassungen von Neutralität mittlerweile so stark auseinander, dass es nicht mehr aufgeht. Und das macht uns zu schaffen. Eben: Die Behaglichkeit ist weg. Es zeigt sich, dass wir die Zeit seit dem Ende des Kalten Kriegs 1999 nicht genutzt haben, um Antworten rund um die Fragen zu unserer Neutralität und der damit verbundenen Sicherheitspolitik zu finden oder auch nur darüber zu diskutieren.
«Wir kommen nicht weiter mit juristischen Schlaumeiereien.»
Ist das heutige Neutralitätsverständnis überholt?
Wo stehen Sie selbst in der Neutralitätsdiskussion?
Zurzeit auf wenig festem Boden. Ich weiss eigentlich nur, dass Rufe nach Lockerungen der Kriegsmaterialgesetzgebung fruchtlos sind. Eine Politik nach dem Motto «Der Fünfer und das Weggli» geht nicht. Auch eine Kooperation mit der Nato, die einen wirklichen Sicherheitsgewinn brächte, ist neutralitätsrechtlich nicht möglich. Finnland und Schweden haben das begriffen. Wir kommen nicht weiter mit juristischen Schlaumeiereien, sondern nur dann, wenn wir die Thematik auf den Tisch legen und offen diskutieren.
Was sind Ihre Gedanken zum Angriffskrieg in der Ukraine?
Was mich sehr besorgt, ist die Perspektivlosigkeit dieses Konfliktes. Und nun sind auch die Kampfpanzerlieferungen Realität geworden, obgleich man dies anfangs tunlichst verhindern wollte. Es ist eine sehr ungute Lage. Nicht vergleichbar mit der Kubakrise 1962. Damals gab es auf der russischen Seite rationellere Leute, nicht diese Mischung aus Nationalismus und Religiosität, wie wir sie heute in Russland sehen. Deswegen erscheint mir die Lage heute weit gefährlicher, als es damals im ersten nuklearen Kräftemessen zwischen den USA und Russland war.

Bruno Lezzis Buch ist im «Edition Königstuhl»-Verlag erschienen.
Editionkoenigstuhl«Diesen Seich nochmals erleben!»: Wer ist Bruno Lezzi?
Wenige Tage nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine soll Bruno Lezzi sich aufgeregt haben: «Jetzt muss ich diesen Seich nochmals erleben! Für mich ist der Ukraine-Krieg auch persönlich eine Zäsur», sagte er in einem Interview mit «Der Zeit»: «All das, wofür ich mich in meinem Berufs- und Milizleben eingesetzt habe, ist zerbrochen.»
Lezzi begann seine Karriere im Nachrichtendienst im damaligen Eidgenössischen Militärdepartement (EMD), dem späteren VBS. Lezzi war auch Mitautor des Sicherheitsberichts 90 der Schweiz und dozierte später zu Sicherheitspolitik an der Uni Zürich.
Lezzi war zudem Mitglied der Ausserparlamentarischen Kommission für militärische Einsätze der Schweiz zur internationalen Friedensförderung (PSO-Kommission), die das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA und das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS beriet, und der vom Bundesrat Ueli Maurer initiierten Milizkommission C VBS.
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