
«Wir haben verlernt, intuitiv zu essen»
Intuitives Essen ist der Gegentrend zu Low-Carb-Diäten, Intervallfasten und Co. Ernährungsberaterin Beatrice Conrad Frey verrät, was sie davon hält.
Frau Conrad, würde ich auf mein Bauchgefühl hören, würde ich vermutlich jeden Tag Pasta und Pizza essen. Das kann nicht gesund sein, oder?
Das kommt natürlich auf ihren Kalorienbedarf an und darauf, welche Mahlzeiten oder Snacks Sie sonst noch zu sich nehmen. Aber ganz so einfach, wie es klingt, ist das mit dem intuitiven Essen nicht.
Wie genau funktioniert das Ganze denn?
Grundsätzlich gehts darum, zu essen, wenn man Hunger hat, und damit aufzuhören, wenn man satt ist. So, wie wir es alle schon als Baby gemacht haben. Im Laufe der Jahre haben wir allerdings verlernt, intuitiv zu essen.
Es geht grundsätzlich darum, zu essen, wenn man Hunger hat, und damit aufzuhören, wenn man satt ist.
Wieso das?
Einerseits liegts an unserer Erziehung. Als Kind wurde uns gesagt, das Wetter werde schlecht, wenn wir unseren Teller nicht komplett leer essen. Wer sich nicht benommen hat, musste ohne Znacht ins Bett. Und weil Süssigkeiten tabu waren, begehren wir sie jetzt umso mehr. Andererseits machen es die Verführungen im Alltag unmöglich, intuitiv zu essen. Sei es die Werbung, mit der wir ständig konfrontiert sind, oder der Geruch nach frischen Buttergipfeli, der aus der Bäckerei strömt.
Sie scheinen kein Fan von intuitivem Essen zu sein.
Den Leitgedanken – also nur bei Hunger zu essen und aufzuhören, sobald man genug hat – finde ich natürlich sehr sinnvoll. Nur der Hype darum ist etwas übertrieben. Ausserdem geht der soziale Aspekt des Essens völlig verloren: Wer schon um 11 Uhr Hunger hat und isst, sitzt eine Stunde später ohne Mahlzeit mit der Familie am Mittagstisch. Und auch das Abendessen mit Freunden wird so ganz schön mühsam.
Schon 1995 in aller munde
Der Ursprung der intuitiven Ernährung
Das Konzept des intuitiven Essens stammt bereits aus dem Jahr 1995. Damals veröffentlichten die beiden US-amerikanischen Ernährungsberaterinnen Evelyn Tribole und Elyse Resch unter dem Titel «Intuitiv abnehmen» ein Buch zum Thema. Im deutschsprachigen Raum plädierte Ernährungswissenschaftler Uwe Knop 2017 mit seinem Bestseller «Intuitiv essen» erneut öffentlichkeitswirksam: «Jeder Mensch sollte essen, worauf er Lust hat!» Der Hype um die achtsame Ernährungsform hält seither an.
Angenommen, man wills trotzdem ausprobieren. Wie legt man los?
Es erfordert sehr viel Übung, wirklich intuitiv zu essen. Schliesslich versucht man, jahrelang antrainierte Gewohnheiten abzulegen. Bei jeder Mahlzeit muss man achtsam in sich hineinhorchen und sich fragen: Habe ich jetzt grad wirklich Hunger oder bloss Gluscht? Eine Übung wäre, nach dem Einsetzen des Hungergefühls zehn Minuten zu warten, bevor man etwas isst. Wenn es dann verfliegt, war man gar nicht hungrig.
Was sollte selbst beim intuitiven Essen lieber nicht auf den Teller?
Ich bin Verfechterin einer vielseitigen, abwechslungsreichen Ernährung und halte nichts von Verbotslisten. Wenn ich mir allerdings die Inhaltsstoffe einiger Fertiggerichte anschaue, bezweifle ich stark, dass solche Produkte unserem Körper guttun.
Ich halte nichts von Verbotslisten.
Wieso fallen wir ständig auf neue Ernährungstrends herein, statt auf unsere Intuition zu hören?
Das Essensangebot, aus dem wir heutzutage auswählen können, ist riesig. Spezielle Ernährungsweisen schränken unsere Auswahl ein und helfen uns so, mit dem Überfluss besser klarzukommen. Dazu kommt, dass viele wegen Social Media und Werbung nach einem unrealistischen Körperideal streben. Und wer schon länger mit Übergewicht kämpft, erhofft sich Erfolg von solchen neuen, gehypten Diäten.
Gibts denn einen Diättrend, ders wirklich bringt?
Die allermeisten Diätbücher, die Sie im Handel finden, halte ich für Quatsch. Die beste Diät ist keine Diät. Und die beste Ernährungsform ist eine den individuellen Bedürfnissen angepasste, ausgewogene Ernährung. Dummerweise klänge das als Buchtitel halt einfach ganz schön langweilig.
Beatrice Conrad Frey ist diplomierte Ernährungsberaterin bei der Ernährungsberatung Oberaargau.
Hörst du beim Essen auf dein Bauchgefühl? Oder folgst du klaren Regeln, die dein Kopf erstellt hat? Diskutiere mit im Kommentarfeld!