«Wir müssen in den sauren Apfel beissen und die Massnahmen verschärfen»

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Dritte Welle rollt an«Wir müssen in den sauren Apfel beissen und die Massnahmen verschärfen»

Die Fallzahlen steigen, die Impfaktion verschiebt sich nach hinten und Ostern steht an. Experten erklären, was das für unsere Freiheiten in den kommenden Wochen heisst.

Muss der Bundesrat die Massnahmen noch einmal verschärfen nach Ostern und etwa die Läden schliessen?
Geht es nach Jan Fehr, Professor und Leiter des Departements Public & Global Health an der Universität Zürich, bleibt uns nichts anderes übrig.
Alles deute darauf hin, dass die Fallzahlen noch einmal drastisch ansteigen werden.
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Muss der Bundesrat die Massnahmen noch einmal verschärfen nach Ostern und etwa die Läden schliessen?

20min/Sandro Spaeth

Darum gehts

  • Experten sind sich einig, dass die dritte Corona-Welle kommt. Die Frage ist, was wir dagegen tun können und wie heftig sie ausfallen wird.

  • Der Bundesrat berät bald über weitere Entscheide. Die Wahrscheinlichkeit, dass er eher über Verschärfungen als über Lockerungen diskutieren muss, steigt.

  • Zwei Experten schätzen ein, was die sich verschlechternde Situation für das gesellschaftliche Leben in den kommenden Wochen und Monaten bedeuten könnte.

Die dritte Corona-Welle ist Tatsache: Die Fallzahlen steigen an, der letzte bekannte R-Wert vom 16. März liegt bei 1,14. Am Donnerstag lagen 164 Covid-Patienten auf der Intensivstation, auch die Gesamtzahl der Covid-Patienten in Spitälern steigt wieder leicht an.

In Deutschland fürchtet man sich wieder vor einer Überlastung des Gesundheitswesens. Die wissenschaftliche Task-Force des Bundes schliesst das auch für die Schweiz nicht aus, wie sie in ihrem jüngsten Update schreibt. Die Modelle zeigen klar: Wie schlimm die Welle wird, hängt vor allem vom Impffortschritt, den Massnahmen und dem Verhalten der Bevölkerung ab.

Am 31. März diskutiert der Bundesrat erneut über Corona, danach wegen Ostern erst am 14. April wieder. Muss er Ende März bereits wieder Verschärfungen in die Vernehmlassung bei den Kantonen schicken? Und was heisst das für das gesellschaftliche Leben in den nächsten Wochen und Monaten? Zwei Experten schätzen ein.

Kurzfristige Perspektive

Kommen nach Ostern weitere Verschärfungen?

«Niemand möchte hören, dass es weitere Verschärfungen braucht», sagt Jan Fehr, Infektiologe und Leiter des Departements Public & Global Health an der Universität Zürich. «Doch rein epidemiologisch würde es schon fast einem Wunder gleichen, wenn die Fallzahlen unter den aktuellen Massnahmen zurückgehen würden. Im Gegenteil: Alles weist auf einen deutlichen Anstieg hin.» Deshalb muss laut Fehr wohl oder übel für einen kurzen Moment die «alte Methode» bemüht werden: «Wir müssen – hoffentlich ein letztes Mal – in den sauren Apfel beissen und die Massnahmen verschärfen.»

Wie lange braucht es diese Massnahmen?

«Bis die Massnahmen greifen», sagt Fehr. «Es war wohl einfach zu früh, auf den ersten März zu öffnen. Wir müssen es endlich einmal hinbekommen, dem Virus einen Schritt voraus zu sein – und nicht wie bis anhin immer einen Schritt hinterher. Was wir jetzt investieren, kann uns später den Sommer retten. Wir dürfen jetzt nicht die Nerven verlieren.»

Welche Gefahr geht von Ostern aus?

Laut Thomas Steffen, Basler Kantonsarzt und Vorstandsmitglied der Vereinigung der Kantonsärzte, besteht die Gefahr, dass Ostern sich aufgrund von Familienfesten und erhöhter Mobilität durch Tourismus negativ auf die Zahlen auswirken wird. Auch Fehr sagt, dass wir uns auf dieses Szenario vorbereiten müssen. «Konsequentes Testen kurz vor Ostern kann helfen, damit die Situation nicht aus dem Ruder läuft.»

Mittelfristige Perspektive

Was bringt die Durchimpfung der Risikogruppen Ende April?

«Wenn die Risikogruppen geimpft sind, sollten sich die schweren Krankheitsverläufe in diesen Gruppen erheblich reduzieren. Dann ist sehr darauf zu achten, dass sich die Krankheitslast nicht auf die jüngeren Altersgruppen verschiebt. Sonst kann es noch einmal sehr problematisch werden», sagt Steffen.

Fehr sagt: «Für die Risikopersonen ist das eine gute Nachricht. In Bezug auf die Pandemie in der Schweiz wird das aber nur bedingt helfen.»

Was heisst das für die Restaurants?

Für Fehr sind die Terrassen an sich nicht das Problem, solange Einzelpersonen oder Lebensgemeinschaften an Tischen sitzen. «Das Problem beginnt dann, wenn verschiedene Leute zusammenkommen und zum Trinken und Essen naturgemäss ohne Masken nahe beisammen sind.» Zudem könne gegen die Abendstunden ein gemütliches Beieinandersein bald mal ausufern. «Alkohol fliesst, man ist ausgelassener und weniger kontrolliert. Das ist für den Moment leider einfach noch zu riskant.»

Etwas mehr Hoffnung macht Steffen. Restaurants seien zwar Bereiche mit einem hohen Ansteckungsrisiko. Im Freien werde das aber vermindert. «Es kann deshalb sein, dass bei günstiger Entwicklung die Öffnung der Restaurants mit Aussenbereich ein nächster Schritt wird.» Das Frühlings- und Sommerwetter dürfte einen positiven Effekt haben, sei aber im Moment nicht matchentscheidend.

Helfen die warmen Temperaturen?

Einen gewissen Einfluss haben Sonnenlicht, höhere Temperaturen und weniger Feuchtigkeit laut Fehr. «Diesen Effekt darf man aber nicht überschätzen. Das, was wir vielleicht als Frühlingseffekt in Erinnerung haben, war auch dem strikten Lockdown in der ersten Welle im Mai 2020 zu verdanken.» Jetzt hätten wir mit einer noch ansteckenderen Variante zu kämpfen. Und in gewissen warmen Ländern sehe es auch nicht besser aus.

Langfristige Perspektive

Was bedeuten die Anpassungen bei der Impfstrategie für die Lage im Sommer?

Entscheidend bleibt laut Steffen, ob bis dahin tatsächlich alle geimpft werden konnten. «Dann wird wieder viel bisherige Normalität möglich sein. Wir gehen aber davon aus, dass es Contact Tracing, Testen und Impfangebote weiterhin geben wird.»

Für Fehr wäre es vermessen, eine Prognose für die zweite Hälfte des Sommers zu machen. Aber: «Ich hege natürlich die Hoffnung, dass wir dank den Impfungen und rigorosem Testen in einer Gartenbeiz an einem lauen Sommerabend ein kühles Bier trinken können.»

Drei-Phasen-Plan des Bundesrats

Der Bundesrat will – sofern die epidemiologische Lage das zulässt – in drei Phasen lockern. In der ersten, in der wir uns jetzt befinden, sind viele Menschen noch nicht geimpft, auch noch nicht alle Risikogruppen. Im Zentrum steht der Richtwert für die 14-Tages-Inzidenz, der bei 350 festgelegt wurde. Am Freitag betrug die Inzidenz knapp 244. Gemäss einem einfachen Modell (das keine Prognose darstellen soll) des «Tagesanzeigers» (Bezahlartikel) könnte die Grenze von 350 bereits am 7. April überschritten werden, was schärfere Massnahmen bedingen würde.

Die Phase zwei beginnt, sobald sämtliche impfwilligen Risikopersonen geimpft sind. Ab dann kann ein Anstieg der 14-Tage-Inzidenz über 350 toleriert werden. Wegen der stark steigenden Zahl geimpfter Personen wird der Anstieg der Hospitalisierungs- und Todesfallzahlen nicht mehr parallel zum Anstieg der Fallzahlen verlaufen. Welche Richtwerte dann gelten werden, muss der Bundesrat noch definieren.

In der dritten Phase sind alle impfwilligen Personen geimpft. Ob in dieser Phase noch Richtwerte nötig sein werden, ist noch unklar. Ein rasches und exponentielles Wachstum der Fallzahlen, Hospitalisierungen und Todesfälle ist aber auch in dieser Phase nicht auszuschliessen, weil nicht alle Menschen sich impfen lassen wollen. Auch zu bedenken ist laut Bundesrat, dass neue Mutationen auftreten könnten, welche die Wirksamkeit der Impfungen stark reduzieren.

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