Contact-Tracer berichtet«Wir waren schon vor zwei Wochen überlastet»
Vom Betreuungsjob zur Massenabfertigung: Ein Contact-Tracer erzählt von seinem Arbeitsalltag – und sagt, wie hart der Job wirklich ist.
Darum gehts
Laut den Kantonen kommt das Contact-Tracing an seine Grenzen.
G.P.* arbeitet seit zwei Monaten im Tracing-Center und erzählt von seinem Job.
Als die Fallzahlen explodierten, sei er tagelang unter Strom gestanden.
Mittlerweile sei das Bearbeiten der Fälle zur Massenabfertigung geworden.
Mit der Rückverfolgung der Ansteckungen durch das Contact-Tracing sollte das Coronavirus unter Kontrolle gehalten werden – doch das wird mit den steigenden Fallzahlen immer schwieriger. «Das System hat seine Grenzen erreicht», sagt Rudolf Hauri, der oberste Kantonsarzt an der Medienkonferenz am Freitag.
Er hat an vorderster Front miterlebt, wie die Schweiz ins Debakel schlitterte: «Schon vor zwei Wochen waren wir völlig überlastet», sagt Contact-Tracer G.P.*. «Wir konnten so viele Überstunden machen, wie wir wollten: Es nützte nichts.» Der junge Mann ist seit knapp zwei Monaten Tracer in einem Deutschschweizer Kanton.
«Nach vier Stunden ist das Hirn Matsch»
P. arbeitet im Callcenter einer Organisation, an die viele Kantone das Contact-Tracing auslagern. Als die Fallzahlen im Spätsommer wieder anstiegen, sei der Druck viel grösser geworden: «Ich stand tagelang unter Strom», so der junge Tracer. Niemand habe so richtig gewusst, was jetzt zu tun sei.
«Es ist ein anstrengender Job», sagt er. Man müsse immer voll konzentriert sein und dürfe sich keine Fehler erlauben: «Gleichzeitig soll man keine Zeit verlieren und seine Fälle möglichst schnell abarbeiten.» Der Job sei aber auch sehr repetitiv, die meisten Telefonate liefen ungefähr gleich ab, so P.: «Wenn man vier Stunden durchtelefoniert hat, ist das Hirn Matsch.»
Was passiert, wenn das Contact-Tracing zusammenbricht?
«Wir schaffen es meistens nicht mehr, den Ursprung einer Infektion zu identifizieren», so der oberste Kantonsarzt. Und Martin Ackermann, der Chef der Covid-Taskforce, sagt: «Die Eindämmungsstrategie funktioniert wegen der hohen Fallzahlen nicht mehr.» 20 Minuten hat hier eine Aufstellung gemacht, welche Pläne sonst noch auf dem Tisch liegen.
Infos nur noch per Mail oder SMS
Das Bearbeiten der Corona-Fälle sei über die vergangenen Monate zu einer Massenabfertigung geworden, sagt P. Nur noch die positiv Getesteten würden telefonisch kontaktiert. Die Kontaktpersonen, die in Quarantäne müssen, informiere der Kantonsarzt meist nur noch per Mail oder SMS. P. sieht das kritisch: «So kann man nicht mehr auf die konkreten Probleme der Leute eingehen.» Das führe zu mehr Unsicherheit.
Noch im Sommer habe das Contact-Tracing viel mehr den Charakter eines Betreuungsverhältnisses gehabt: «Man rief die Personen während der ganzen Quarantäne dreimal an und begleitete sie.» Zu manchen Leuten habe man so eine starke Bindung entwickelt: «Weil ich deren Situation genauer kannte, fühlte ich mit.»
«Bin froh, wenn es vorbei ist»
Wegen der steigenden Fallzahlen habe sein Kanton nun wieder die Führung übernommen, so P. Jetzt werde seiner Tracing-Gruppe eine bestimmte Anzahl Fälle zugewiesen, die sie pro Tag abarbeiten müssen. Er selbst bearbeite noch ungefähr 15 Fälle täglich: «Der Stress für uns hat so abgenommen, aber jetzt ist der Kanton überlastet.»
Noch etwas mehr als einen Monat ist P. im Contact-Tracing tätig. Er findet die Arbeit zwar interessant, wie er sagt: «Trotzdem bin ich froh, wenn es vorbei ist.»
*Name bekannt