«Wir wissen, wofür unser Geld ausgegeben wird»

Aktualisiert

Eskalation im Steuerstreit«Wir wissen, wofür unser Geld ausgegeben wird»

Ungleichheiten vs. Unabhängigkeiten, Zentralismus vs. Föderalismus: Professor Leonhard Neidhart über die Verständnisprobleme zwischen Deutschland und der Schweiz.

von
Sabina Sturzenegger
«Wir haben ein ganz anderes Staatsverständnis als die Deutschen», sagt Professor Leonhard Neidhart.

«Wir haben ein ganz anderes Staatsverständnis als die Deutschen», sagt Professor Leonhard Neidhart.

Herr Neidhart, Sie haben lange in Deutschland gearbeitet und gelebt. Warum geraten sich Schweizer und Deutsche beim Thema Steuern immer wieder in die Haare?

Leonhard Neidhart: Es geht unterschwellig auch um das Verhältnis der kleinen Schweiz zum grossen Deutschland. Das kennen wir: Der Kleine lässt sich ungern vom Grossen etwas sagen, und der Grosse wird böse, wenn ihn der Kleine beisst. Und wenn es ums Geld geht, hören Freundschaften bekanntlich auf. Auch die Nachbarschaftsbeziehungen spielen eine Rolle. Man braucht sich gegenseitig, will aber seine Unabhängigkeit beweisen. Nachbarn können untereinander tauschen, aber auch in die Haare geraten. Eben weil man sich nahe ist.

Was bedeutet das für das Steuerverständnis?

Weil wir ein kleines Land sind, haben wir mehr Angst, abhängig zu werden. Deshalb gewichten wir die Werte Unabhängigkeit und Freiheit höher als die Deutschen. Dort gibt es grössere wirtschaftliche Ungleichheiten, deshalb wird die Gleichheit und die Verteilungsgerechigkeit höher bewertet. Diese gegensätzlichen Werthaltungen heizen den Konflikt um die Steuerfragen natürlich stark an.

Welche Rolle spielt das Staatsverständnis?

Wir haben ein ganz anderes Staatsverständnis als die Deutschen. Bei uns sind Staat und Politik stärker von unten nach oben organisiert, in Deutschland eher umgekehrt. Das kennzeichnet auch die Praxis der Deklaration und der Erhebung von Steuern. Ausserdem wird Steuerhinterziehung bei uns rechtlich anders, milder bewertet als in Deutschland. Aber dass man sauer wird, wenn Leute ihr Geld ins Ausland tragen und dem eigenen Staat vorenthalten, kann ich gut verstehen. Uns würde es auch nicht freuen, wenn die Reichen ihr Geld nach Monaco tragen würden.

Deutsche und Schweizer haben ein unterschiedliches Verständnis vom Steuern zahlen. Warum?

Zuerst einmal haben beide etwas gemeinsam: Keiner zahlt gern Steuern. Deutschland hat mit der Wiedervereinigung hohe Lasten zu tragen, die auch die Steuern hinaufgetrieben haben. In vielen Städten des Ruhrgebietes wird geklagt, dass zu viel Geld nach Ostdeutschland abfliesse. Deshalb ist dort auch der Ärger für die Steuerflüchtlinge in die Schweiz besonders gross. Bei uns haben die Gemeinden und Kantone viel mehr Rechte, Steuern zu erheben. Und weil unsere vielen Gemeinden und Kantone eher klein und damit überschaubarer sind, können die Steuerzahler auch besser sehen, wofür das Steuergeld ausgegeben wird. Das macht uns auch die Steuererklärung zumindest etwas leichter.

Wie ist das in Deutschland?

Dort ist das System zentralistischer, das heisst, dass auch die Steuern zentralistischer erhoben werden. Ein Deutscher, der in Baden-Württemberg Steuern zahlt, weiss unter Umständen nicht, was mit seinem Geld passiert.

Gibt es eine Chance, dass diese zwei anscheinend unvereinbaren Systeme in einem Abkommen zusammenfinden?

Es geht nicht darum, dass die Steuersysteme zusammenfinden. Sondern darum, dass die Nachbaren trotz Unterschieden in ihren Steuersystemen zu einem Kompromiss über offene Fragen und Probleme kommen, dem beide Seiten zustimmen können.

Ist die Empörung in Deutschland nach dem Haftbefehl gegen die Steuerfahnder für Sie nachvollziehbar?

Nachvollziehbar nicht, aber verständlich. Ausserdem ist es immer leichter, sich über die Anderen zu empören, weil man damit von hauseigenen Problemen ablenken kann. Es ist im Wesentlichen auch eine Empörung zu Wahlkampfzwecken der Sozialdemokraten und Grünen in Nordrhein-Westfalen. Von der Bundesregierung in Berlin und von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble habe ich hingegen noch nichts von Empörung gehört.

Hat die Schweiz mit dem Haftbefehl überreagiert?

Es war zumindest ein strategischer Fehler, dass die Haftbefehl - so kurz vor dem Abschluss der Verhandlungen - ausgesprochen wurden.

Könnte es nicht auch Taktik gewesen sein, um die Deutschen in den Verhandlungen unter Druck zu setzen

Das weiss ich nicht, und niemand wird je die Wahrheit sagen. Druck ist zu viel gesagt. Aber es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder wollte man in Bern, nachdem man den Deutschen erneut entgegengekommen ist, etwas auf die Finger klopfen oder in Bern wusste die Rechte nicht was die Linke tat. Das wäre dann allerdings ziemlich peinlich.

Wie wichtig ist das Steuerabkommen für die Schweiz?

Weniger wichtig als für Deutschland.

Warum?

Die Deutschen wollen Geld von der Schweiz. Es steht ihnen zwar zu, die Schweiz hat Verhandlungsbereitschaft signalisiert und Konzessionen gemacht. Die Deutschen sind selber schuld, wenn sie sich jetzt den Bogen überspannen. Dann fliesst das Geld vorläufig wohl nicht.

Welche Chancen geben Sie dem Steuerabkommen?

Ich bin ziemlich sicher, dass es zu einer Lösung kommt. Nordrhein-Westfalen muss jetzt erst einmal wählen. Danach sollten beiden Seiten wieder zusammenkommen und nochmals verhandeln. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass es so funktioniert - es wollen ja beide etwas voneinander.

Glauben Sie, dass das Schweizer Modell mit dem Bankgeheimnis noch länger überleben wird, oder werden die Drohungen aus Deutschland, den USA und von der OECD dazu führen, dass die Schweiz ihre Steuerpraktiken sowie das Bankgeheimnis abschaffen muss?

Mit Glauben hat das nichts zu tun. Das alte Bankgeheimnis existiert ohnehin nicht mehr. Daran sind die Banken selber schuld. Es geht in Wirklichkeit um den Finanzplatz Schweiz und um seine Funktion der Vermögensverwaltung, um den uns sozusagen alle beneiden. Wenn unsere Grossbanken vernünftig bleiben und ihr altes Vertrauen wieder aufbauen können, und wenn die Schweizer Wirtschaft stark bleibt, dann wird sich, angesichts der Turbulenzen des Euro und auch des Dollar auch der Finanzplatz Schweiz halten können.

Leonhard Neidhart ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft. Bis ins Jahr 2000 hatte den Lehrstuhl für Politikwissenschaft an der Universität Konstanz inne. Er veröffentlichte zahlreiche Publikationen zu Fragen der schweizerischen Politik wie direkte Demokratie, Föderalismus oder Parteien. 2002 veröffentlichte er das Buch die «Die politische Schweiz. Fundamente und Institutionen». 2010 erschien «Das frühe Bundesparlament: Der erfolgreiche Weg zur modernen Schweiz.»

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