Bundesrats-Sitzung - Wirtschaft fordert Freedom Day am 1. September

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Bundesrats-SitzungWirtschaft fordert Freedom Day am 1. September

Der von vielen auf den 11. August erwartete Lockerungsschritt findet nicht statt. Nun setzt die Wirtschaft den Bundesrat unter Druck: Spätestens am 1. September soll Schluss sein mit den Corona-Massnahmen.

Menschen feiern ausgelassen, nachdem in England am 19. Juli um 00.01 Uhr alle Corona-Massnahmen gefallen sind.
In der Schweiz entscheidet der Bundesrat am Mittwoch über das weitere Vorgehen.
Auch hier wird der Ruf nach der Rückkehr zur Normalität lauter. Fabio Regazzi, Mitte-Nationalrat und Präsident des Gewerbeverbands, fordert die Abschaffung der Massnahmen auf den 1. September.
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Menschen feiern ausgelassen, nachdem in England am 19. Juli um 00.01 Uhr alle Corona-Massnahmen gefallen sind.

Ioannis Alexopoulos/PA Wire/dpa

Darum gehts

  • Am 1. September soll Schluss sein mit den Corona-Massnahmen.

  • Das fordern verschiedene Vertreter von Wirtschaftsverbänden.

  • Der Druck auf den Bundesrat nimmt zu, nachdem dieser den Übergang in die Normalisierungsphase schon einmal verschoben hatte.

  • SP-Nationalrätin Flavia Wasserfallen hält nichts von einem fixen Öffnungsdatum. Dabei werde die epidemiologische Lage ausser Acht gelassen.

Die Ausgangslage vor der ersten Bundesratssitzung seit rund fünf Wochen ist unklar: Während die Fallzahlen weiter steigen, verharren die Spitaleintritte und die Todesfälle derzeit auf tiefem Niveau. Die Impfkampagne ist seit längerem ins Stocken geraten, ob sie noch einmal Fahrt aufnimmt, ist ungewiss.

Ein Teil der Epidemiologinnen und Epidemiologen gibt sich gelassen und hält weitere Lockerungen der Corona-Massnahmen für angebracht. Das Bundesamt für Gesundheit und die Taskforce warnen derweil vor einer vierten Welle, die schlimmer werden könnte als alle bisherigen. Der Bundesrat hat den ursprünglich für den 11. August angedachten Übergang in die Normalisierungsphase deshalb verschoben.

Druck nimmt zu

Jetzt machen Wirtschaftsvertreter Druck. Fabio Regazzi, Mitte-Nationalrat und Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbands, fordert: «Spätestens am 1. September muss Schluss sein mit den Massnahmen. Es ist wichtig, dass man den Unternehmen und der Bevölkerung eine Sicherheit gibt, dass die Massnahmen dann aufgehoben werden.» Konkret fordert Regazzi die Abschaffung der Maskenpflicht am Arbeitsplatz, in Läden, Restaurants und an Schulen und die Aufhebung der Personenobergrenzen bei Veranstaltungen und privaten Treffen.

«Die Massnahmen dürfen niemanden mehr daran hindern, wie gewohnt seinen Beruf auszuüben», sagt der Mitte-Nationalrat. Wirtschaftliche und persönliche Freiheiten dürften durch die Massnahmen nicht mehr übermässig eingeschränkt werden. Leben könnte er höchstens noch mit einer Maskenpflicht im ÖV und der Nutzung des Covid-Zertifikats dort, wo viele Menschen aufeinandertreffen, etwa an Grossveranstaltungen. «Für eine gewisse Zeit lang ist der Einsatz des Zertifikats noch gerechtfertigt. Auch diese Zeit soll aber so kurz wie möglich gehalten werden.»

«Nutzung des Covid-Zertifikats soll freiwillig werden»

Auch Rudolf Minsch, Chefökonom bei Economiesuisse, unterstützt die Forderung, so rasch wie möglich zur Normalität zurückzukehren. «Der Bundesrat muss einen Fahrplan aufzeigen. Wenn die epidemiologische Lage und der Impffortschritt es erlauben, kann am 1. September ein Grossteil der Massnahmen fallen.» Einzelne Massnahmen wie eine Maskenpflicht da, wo ein hohes Ansteckungsrisiko besteht, also etwa in vollen Zügen, hält Minsch auch über den September hinaus noch für tragbar.

Zentral ist für Economiesuisse auch, dass die Nutzung des Zertifikats möglichst freiwillig ist: «Ein Restaurantbetreiber soll selber entscheiden können, ob er seinen Gästen ein sicheres Gefühl durch die Zugangsbeschränkung mit dem Covid-Zertifikat anbieten will», sagt Minsch. Die Nutzung soll also möglich sein, aber nicht zwingend vom Bund vorgeschrieben werden.

«Grundlage für Massnahmen fehlt je länger je mehr»

Für Minsch sind derzeit alle Voraussetzungen gegeben, um diese Schritte in den nächsten Wochen durchzuführen, sollte sich die Lage bis dahin nicht mehr drastisch verschlechtern: «Die Impfkampagne schreitet voran und die Hospitalisierungen sind trotz leicht steigenden Fallzahlen tief. Damit fehlt je länger je mehr die Grundlage, die die geltenden Massnahmen rechtfertigt.» Dazu komme: «Es gibt derzeit viel zu viele Regeln. Ziel des Bundesrats muss sein, die Massnahmen – sofern nötig – auf ein paar wenige, einfach verständliche Regeln herunterzubrechen.»

Etwas vorsichtiger drückt es Roland Müller, Direktor des Arbeitgeberverbandes, aus: «Auch wir unterstützen eine Aufhebung der Massnahmen auf den 1. September, falls die Lage sich nicht weiter verschlimmert oder sogar verbessert. Dann soll der Normalzustand möglichst schnell wiederhergestellt werden.» Zentral seien derzeit die drei Faktoren Fallzahlen, Spitalauslastung und Impfquote. Auch bei sinkenden Zahlen noch etwas länger bleiben wird laut Müller wohl die Maskenpflicht in Läden und ÖV sowie die Zertifikatspflicht an Grossanlässen.

Arbeitgeber wollen Covid-Zertifikat einfordern können

Allerdings muss man laut Müller immer auch daran denken, was passiert, wenn die Zahlen sich wieder verschlechtern. «Sollte dieser Fall eintreten, wollen wir, dass die Arbeitgeber ebenfalls in den orangen Bereich der Nutzung des Covid-Zertifikats integriert werden.» Sprich: Die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sollen die Möglichkeit erhalten, von ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern regelmässig das Zertifikat zu scannen und so zu überprüfen, ob sie geimpft, genesen oder getestet sind. «Damit wollen wir die Rückkehr ins Homeoffice oder gar weitere Betriebsschliessungen verhindern.»

SP-Nationalrätin Flavia Wasserfallen hält nichts davon, Lockerungen an ein fixes Datum zu koppeln: «Es gab im Verlauf dieser Pandemie immer wieder solche Forderungen, ich hielt sie nie für sinnvoll. Mit fixen Öffnungsdaten blendet man den Pandemieverlauf aus und macht auch gegenüber der Bevölkerung Versprechen, die man danach möglicherweise nicht einhalten kann.»

Wasserfallen ist überzeugt, dass der Bundesrat wie bis anhin sehr zurückhaltend Massnahmen verhängen wird und nur das beschliesst, was wirklich nötig ist. «Wirtschaftsvertreter und Bürgerliche machen nun wieder Druck, das ist ihr gutes Recht. Ich glaube aber, dass wir gut beraten sind, wenn wir weiterhin vorsichtig bleiben.» Der Blick ins Ausland zeige, dass viele Länder die Massnahmen in vergleichbaren Situationen gerade wieder verschärften. «Das wird bei uns hoffentlich nicht mehr nötig sein. Aber am 1. September einfach alle Massnahmen fallenzulassen, ist falsch.»

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