Putin am virtuellen WEF«Unser Planet ist gefährdet»
Am virtuellen WEF sprach Wladimir Putin am Mittwoch über seine Perspektive auf die Corona-Krise. Er beschwor die internationale Zusammenarbeit und versprach, die globale Ungleichheit zu bekämpfen.

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Damit ist die Rede von Wladimir Putin beendet
Klaus Schwab schliesst die öffentliche Veranstaltung. Die Diskussionen am virtuellen WEF sollen für Interne noch weitergehen.
Hier noch einmal die zentralen Punkte der Rede.
Wladimir Putin sorgt sich um die internationale Zusammenarbeit während der Corona-Krise. Er ist überzeugt, dass die Pandemie und ihre Auswirkungen nur als gemeinsamer Effort aller Länder bewältigt werden kann.
Die höchste Priorität Russlands sei die Bekämpfung der globalen Ungleichheit.
Putin bemängelt, dass Menschen in weniger entwickelten Gebieten noch keinen Zugang zu einer Impfung haben. Dort seien die entwickelten Länder gefordert.
Angesprochen auf das Verhältnis von Russland zu Europa, stellt er eine Zusammenarbeit in Aussicht, «wenn wir unsere alten Ängste ablegen können.»

«Wie sehen Sie das Verhältnis von Europa zu Russland?»
Damit schliesst Putin seine Rede. Klaus Schwab übernimmt wieder und setzt sie in einen Kontext. Am WEF werde derzeit beispielsweise bereits darüber diskutiert, dass die Entwicklungsländer beim Impfen nicht zurückgelassen werden dürfen.
«Wie sehen Sie die Beziehung von Europa und Russland?», fragt der WEF-Gründer Putin.
«Wir haben auch Gemeinsamkeiten», antwortet Putin. «Europäische Spitzenpolitiker betonen immer wieder, dass Russland Teil Europas ist. Aber wir haben doch eine gemeinsame Zivilisation. Wir brauchen nicht einen gemeinsamen Raum von Lissabon bis Moskau, sondern sollten ihn bis Wladiwostok ausdehnen. Westeuropa und Russland sollten Hand in Hand gehen.»
Die derzeitige Lage sei alles andere als gewöhnlich. «Wir müssen den Weg zurück in eine positive Tagesordnung finden. Russland und Europa sind Partner. Im Hinblick auf wissenschaftliche Fortschritte teilen wir die europäische Kultur.» Geografisch gesehen sei Russland aber grösser als ganz Europa: «Wir haben riesige Ressourcen, die im Interesse Russlands und Europas genutzt werden können.»
«Wenn wir unsere alten Ängste ablegen können, können wir eine neue Phase der internationalen Zusammenarbeit einläuten», bilanziert Putin.

Klimawandel
Putin spricht auch den Klimawandel an: «Gemeinsam können wir die globale Erwärmung und die Verschmutzung der Ozeane bekämpfen. Wir brauchen Lösungen für die Generationen, die nach uns kommen werden.»
«Unsere kulturellen Unterschiede sind natürlich, das ist Teil unserer Zivilisation», so Putin. «Sie dürfen aber nicht zu einem Hindernis werden, sondern müssen ein Werkzeug im Kampf gegen unsere Herausforderungen sein.»
Coronavirus
«Viele Gefahren wohnen im Coronavirus inne», sagt Putin. «Die internationale Gemeinschaft muss zusammenarbeiten und den Zugang zum Impfstoff bereitstellen. Gleichzeitig muss mehr getestet werden. Massenimpfungen sind vor allem in der entwickelten Welt verbreitet. Menschen in weniger entwickelten Gebieten haben noch keinen Zugang zu einer Impfung. Doch die Pandemie betrifft uns alle, das Virus kennt keine Grenzen. Wir brauchen darum eine gute internationale Zusammenarbeit.»
Fortschritte in der internationalen Zusammenarbeit
«Viele Institutionen haben heute schwierige Zeiten», so Putin. «Sie wurden in einer anderen Ära gegründet und haben heute Schwierigkeiten, sich anzupassen.» Russland werde sich aber bemühen, diese Institutionen zu unterstützen. «Wir sollten auf die Geschichte zurückblicken und eine neue Art der Zusammenarbeit auf multilateraler Ebene anstreben.»

«Liebe Freunde», sagt Putin. «Wir haben grandiose Möglichkeiten, die uns offenstehen. Wir müssen aber hart daran arbeiten.» In verschiedenen Krisenregionen habe es Fortschritte gegeben. «Wir arbeiten dafür mit unseren Nachbarn zusammen. Aber auch mit den USA und Frankreich können wir auf Ergebnisse zurückblicken.»
Ungleichheiten zwischen Ländern
«Die Welt kann nicht nur für die goldenen Millionen funktionieren, oder für einige ‹Happy Few›», so Putin. Man sehe das an den Migrationsbewegungen. Die Ungleichheiten zwischen den Ländern müssen deshalb ausgeglichen werden, damit es keinen Unterschied mache, wo man geboren werde. «Das ist für mich die höchste Priorität. Das ist die Ansicht von Russland.»
«Menschen brauchen ein Einkommen, das ein gutes Leben ermöglicht», so Putin, «Und sie brauchen Vertrauen. Sie müssen Zugang zu den Systemen bekommen, die sie unterstützen. Nur wenn wir das machen, werden wir uns auf die Menschen stützen können, um eine Erholung zu erzielen», so Putin.
«Wir wollen uns der internationalen Kooperation öffnen», fügt er hinzu. «Das ist notwendig und wird das gegenseitige Vertrauen stärken. Eine polarisierte Welt wird uns nicht weiterbringen, wir müssen multilateral organisiert sein.»
«Unser Planet ist gefährdet»
«Die internen Feinde sind manchmal noch schlimmer als die externen Feinde», sagt Putin. «Wir sehen eine steigende Aggressivität, die Beziehungen zu verschiedenen Ländern sind nicht einfach aufrechtzuerhalten.» Weiteres Konfliktpotenzial sieht er im Streit um Energiequellen.
«Unser Planet ist gefährdet», sagt Putin. «Trotzdem ist es wichtig, einen positiven Ausblick zu behalten.» Es sei jetzt wichtig, auf die Krise zu reagieren. «Wir wollen, dass sich unsere Wirtschaft nach der Pandemie erholt, aber es muss nachhaltig geschehen», sagt Putin. «Ausserdem müssen wir die soziale Ungleichheit beenden und brauchen eine faire Steuerpolitik.»
«Die Unzufriedenheit können wir nicht einfach übersehen»
«Die vierte industrielle Revolution ist unterwegs, die Pandemie hat sie gefördert», sagt Putin. «Die strukturellen Änderungen auf dem Arbeitsmarkt müssen auch vorangetrieben werden. Denn der Mittelstand ist ebenfalls betroffen.»
Nun kommt Putin auf gesellschaftliche Probleme zu sprechen. «Die Toleranz ist gesunken, demokratische Institutionen sind ins Wanken geraten», so Putin. «Diese Problematiken, diese Unzufriedenheit der Öffentlichkeit können wir nicht einfach übersehen. Die Unzufriedenheiten können in Zukunft noch zunehmen und zu einer gespaltenen Welt beitragen.»
Die Krise führe zu einer grossen Unzufriedenheit, die alle Länder betreffe, so Putin. Er kritisiert ebenfalls die Tech-Riesen wie Facebook und Twitter, die er dafür mitverantwortlich macht. «Big Data muss in den Griff bekommen werden»

Kosten steigen
«Die Kosten für Erziehung haben sich verdreifacht», so Putin. «Auch in reichen Ländern.» Solche Kostensteigerungen haben das Lohnwachstum in den letzten Jahrzehnten aufgehoben, so Putin. Er zeigt sich zudem besorgt darüber, dass viele junge Menschen auf der Welt nicht mehr studieren.
«Wirtschaftswachstum mit nur wenig Steuern für die Reichsten verstärkt die Probleme noch», so Putin.
Die Erholung von der wirtschaftlichen Krise, die die Pandemie ausgelöst habe, sei schwierig: «Die Ressourcen sind fast ausgeschöpft, wie auch die Weltbank und der IWF sagen.»
«Die am meisten entwickelten Länder haben es nicht besser», sagt Putin. «Man braucht sehr viele Investitionen.» Dabei sei der Unterschied zwischen echter und virtueller Wirtschaft ein grosses Problem.
Krisen gefährden Wohlstand
«Wir müssen unsere Werte pflegen», sagt Putin. Er spricht die Familie an, aber auch die Freiheit. Wiederkehrende Krisen seien aber ein Hindernis für den globalen Wohlstand. «Seit 1980 hat sich das Bruttoinlandsprodukt und das Einkommen pro Einwohner in Russland verdoppelt», sagt Putin. «Viele Länder auf der Welt haben es geschafft, aus der Armut zu entkommen.»
«Russland hat sich von der Finanzkrise 2008 erholt», so Putin, «Aber wir müssen auch analysieren, wie das geschehen ist und wer davon profitierte.» Die Brüche zwischen den Reichen und Armen seien sehr ausgeprägt, besonders in den entwickelten Ländern. Putin weist darauf hin, dass die Armut am Wachsen sei und dass das Wirtschaftswachstum, vor allem in den USA, vor allem der Elite, nicht aber den einfachen Bürgerinnen und Bürgern zugute komme.
«Herausforderungen sind überall dieselben»
«Die Pandemie ist in sich selbst eine Herausforderung», sagt Putin. «Sie hat strukturelle Entwicklungen stark beschleunigt, sie hat aber auch die Problematiken in verschiedenen Bereichen verschärft.» Er respektiere die Meinung aller anderen Teilnehmenden und freue sich, seine Meinung dazu beitragen zu können.
«Die systemischen Herausforderungen sind mehr oder weniger in allen Ländern auf der Welt dieselben», sagt Putin. «Die politische Spaltung innerhalb der Länder hat sich ausgeprägt, aber auch die internationalen Beziehungen sind weniger stabil als vorher.»
Er habe gestern mit US-Präsident Joe Biden über den Waffenvertrag gesprochen. «Das ist ein guter Anfang», so Putin. In den letzten Jahren sei ein solcher Dialog nicht möglich gewesen, was katastrophale Auswirkungen gehabt habe.

Virtuelle Konferenz
Er sei schon öfter zu Konferenzen in Davos gewesen, sagt Putin. «Es freut mich sehr, dass ich mich vor der weltweiten Expertengemeinde ausdrücken darf», so der russische Präsident. «Trotz der Pandemie ist es zufriedenstellend zu sehen, dass wir uns über die Zukunft unserer Länder austauschen können», sagt Putin. Es sei schade, dass der Austausch virtuell stattfinden müsse.
Rede beginnt
Mit einer Verzögerung von rund 20 Minuten beginnt die Rede von Wladimir Putin. WEF-Gründer Klaus Schwab macht die Einführung. Es sei besonders wichtig, auch vom Präsident der Russischen Föderation zu hören, wie die Pandemie aus russischer Sicht betrachtet wird.
Der Beginn der Rede verzögert sich um einige Minuten.
Die Rede beginnt um 12 Uhr. 20 Minuten berichtet live im Stream und Ticker.
Putin innenpolitisch unter Druck
Am Dienstag war Angela Merkel dran, am Mittwoch kommt Wladimir Putin. Der russische Staatschef hält um 12 Uhr eine Rede am digital durchgeführten WEF. Putin steht derzeit innenpolitisch unter Druck, nachdem er Kreml-Kritiker Alexei Nawalny bei dessen Rückkehr nach Russland am 17. Januar verhaften liess.
Zwei Tage später publizierte Nawalnys Team eine umfangreiche Recherche auf Youtube, die Putin beschuldigt, einen mit Bestechungsgeldern finanzierten Luxuspalast am Schwarzen Meer zu besitzen. Daraufhin brachen in Russland Proteste aus, die laut BBC 196 Städte erfassten. Zeitweise protestierten gemäss Medienberichten mehrere zehntausend Regierungs-Gegner. Wladimir Putin selber bestreitet, dass der besagte Palast ihm gehöre.