Vor Treffen in Genf«Wollen wir Krieg wegen der korrupten Ukraine riskieren?»
Der US-Aussenminister und sein russischer Amtskollege wollen in Genf die Ukraine-Krise entschärfen. Das wird ihnen kaum gelingen, sagt Politologe Christian Hacke.
Darum gehts
Die USA und Russland starten einen neuen direkten Versuch, die Ukraine-Krise zu entschärfen. US-Aussenminister Antony Blinken trifft am Freitag in Genf mit dem russischen Aussenminister Sergej Lawrow zusammen.
Während die USA und ihre westlichen Verbündeten einen Rückzug der russischen Truppen fordern, verlangt Moskau Sicherheitsgarantien und ein Ende der Osterweiterung des westlichen Militärbündnisses Nato. Die Entspannungsbemühungen laufen seit vergangener Wochen auf Hochtouren, ohne Ergebnisse.
Herr Hacke. Westliche Länder sagen der Ukraine jetzt Waffenlieferungen zu, darauf informiert Russland über riesige Marinemanöver. Was heisst das für das Treffen zwischen Lawrow und Blinken in Genf?
Dass jetzt eine westliche Drohkulisse ausgebaut wurde, was alles andere als hilfreich ist. Denn sie überzeugt ja nicht. Die Nato wird in der Ukraine militärisch nicht eingreifen. Auch US-Präsident Joe Bidens Aussage, wonach Putin das Gesicht verliert, wenn er in der Ukraine faktisch nicht handelt, war wenig nützlich.
Tatsächlich herrscht Trostlosigkeit und Ratlosigkeit vor: Blinken betonte mit der deutschen Aussenministerin Annalena Baerbock in Berlin die Gemeinsamkeiten mit der Ukraine. Doch jeder weiss, wie hohl das klingt - gerade mit Blick auf die Frage, was der Westen in der Ukraine-Krise wirklich tun kann.
«Nur eine neutrale Ukraine kann den Konflikt beilegen»
Was kann denn der Westen tun?
Es grenzt an Grössenwahn zu denken, man könne die Ukraine oder Teile der Ukraine aus der russischen Interessenssphäre herauslösen und in die westliche Einflusssphäre aufnehmen. Putin macht seit 2007 klar, dass die Ukraine historisch zu Russland gehört. Darüber kann man sich streiten.
Doch der Westen muss ein Verständnis dafür entwickeln, dass eine Deeskalation nur möglich ist, wenn beide Seiten die Möglichkeiten der friedlichen Einflussnahme und Kooperation in und mit der Ukraine haben.
Ihre Lösung?
Ich bin der Meinung, dass nur eine neutrale Ukraine die Antwort für die Beilegung dieses Konfliktes sein kann. Eine Ukraine, die wie gesagt, offen nach Osten und Westen ist. Ansonsten wird es wohl kaum eine Vertragsgrundlage mit Russland geben.
«Wir müssen mit weiteren Eskalationen rechnen»
In einem Interview sagten Sie, die Ukraine wäre ein Mühlstein für EU und für die europäische Sicherheitspolitik. Können Sie das ausführen?
Anders formuliert: Die Ukraine ist nicht Taiwan, also kein Vorbild an wirtschaftlichem Fortschritt und Demokratie, sondern das Gegenteil davon: 15 Milliarden Euro EU-Hilfe der letzten zehn Jahre haben die Korruption vielleicht sogar verstärkt und wanderten in die Taschen der Oligarchen.
Wollen wir wegen diesen korrupten Systems Krieg und die Aufhebung der europäischen Friedensordnung riskieren? Ich denke nicht.
Was sind Ihre Erwartungen an das Treffen in Genf?
Sie sind gering. Die Ausgangspositionen gehen zu weit auseinander. Wir müssen mit weiterer Eskalation rechnen, sicher aber mit der fortgesetzten Konfrontation der Standpunkte. Man wird dann abwarten müssen, was Putin macht.
Ich schliesse nicht aus, dass Moskau verdeckt mit verstärkten Cyberkriegs-Aktivitäten oder offen mit kleineren Invasionen in der Ostukraine reagieren wird. Er wird den Westen weiter testen. Je weniger der reagiert und die Ratlosigkeit deutlich wird, umso mehr wird Putin ein- und ausgreifen.
* Christian Hacke ist ein deutscher Politikwissenschaftler. Er lehrte an der Universität der Bundeswehr Hamburg und der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.