Youtube soll rechte Hass-Videos der Polizei melden

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Rechtsextreme GewaltYoutube soll rechte Hass-Videos der Polizei melden

Nachdem ein Rechtsextremer in Hanau zehn Menschen tötete, fordern deutsche Politiker Massnahmen. Sie nehmen auch die sozialen Netzwerke ins Visier.

von
P. Michel

Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich am Donnerstag betroffen über die Morde in Hanau.

Deutschland erlebt eine Serie rechtsextremer Gewalt: Ein hessischer Rechtsextremist erschoss im Juni den CDU-Politiker Walter Lübcke mit einer Pistole. In Halle versuchte Stephan B. (27) im Oktober, in einer Synagoge ein Blutbad anzurichten. Er streamte die Tat live und veröffentlichte auch zuvor ein Video, in dem er den Holocaust leugnete und über «Juden» und «Kanaken» herzog.

In Hanau kam es am Mittwoch nun zu einem weiteren rechtsextremen Anschlag: Tobias R. (42) ermordete in Hanau in zwei Shishabars zehn Menschen. Das Motiv, das er in einem Youtube-Video vor wenigen Tagen preisgab, besteht aus kruden Verschwörungstheorien sowie der Idee, seine Tat sei im Kampf gegen die «Degeneration unseres Volkes» unausweichlich.

«Dunkle Stunden»

Der Schock über das Attentat in Hanau sitzt auch in der Politik tief. Bundeskanzlerin Angela sagte, dies sei ein «überaus trauriger Tag für Deutschland». SPD-Vorsitzende Saskia Esken sprach von «dunklen Stunden» und twitterte: «Viel zu lange haben wir uns davor gescheut, es mit klaren Worten zu benennen: Rechter Terror in Deutschland.»

Thorsten Frei, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sagt: «Wir werden nicht zulassen, dass Rechtsextremisten unser friedliches Zusammenleben und unsere freiheitliche Grundordnung zerstören. Der Kampf gegen den Rechtsextremismus hat für uns oberste Priorität.» Auch Extremismus-Forscher Dirk Baier, der die deutschen Verhältnisse gut kennt, sagt, Deutschland habe das Potenzial der rechten Gewalt in den letzten Jahren unterschätzt (siehe Interview).

Grüne wollen eine Taskforce einsetzen

Konkret fordern etwa die deutschen Grünen nach der jüngsten rechten Gewalttat die Schaffung einer «Taskforce Rechtsextremismus», um die «vielen zehntausend Menschen, die auf den verschiedenen Listen von Rechtsextremen unter anderem als potenzielle Anschlagsopfer aufgeführt werden». Neben einer Verschärfung des Waffenrechts brauche es die Möglichkeit, soziale Netzwerke zur Herausgabe der Identitäten Rechtsextremer, die auf den Plattformen zu Hass oder gar Mord aufrufen, zu zwingen.

Dies ist das Kernstück des erst am Mittwoch vorgelegten Gesetzes der Bundesregierung zur Bekämpfung des Rechtsextremismus. Demnach sollen 300 Beamte des Bundeskriminalamts Straftaten aus Posts, die Plattformen wie Facebook oder Youtube melden, bearbeiten. Das Gesetz zielt insbesondere auf Morddrohungen und Volksverhetzungen – solche Inhalte hatten verschiedene Rechtsextreme vor ihren Taten veröffentlicht. Im Fall des Täters von Hanau wussten die Behörden gar seit November von dessen Verschwörungstheorien.

Schweiz hat weniger Möglichkeiten

In der Schweiz hat der Nachrichtendienst (NDB) keine Möglichkeit, die Identitäten von Rechtsextremen, die in den sozialen Medien zu Gewalt aufrufen, zu verlangen. Und eigene Überwachungsmassnahmen sind unter anderem nur bei Terrorismus möglich.

«Aus Gründen der Verhältnismässigkeit schliesst das Nachrichtendienstgesetz den Gewaltextremismus von den genehmigungspflichtigen Beschaffungsmassnahmen aus», sagt Sprecherin Lea Rappo. Zwar hat das Bundesamt für Polizei die Möglichkeit, gegen Hasspropaganda im Netz, die konkret und ernsthaft zur Gewalttätigkeit gegen Menschen oder Sachen aufruft, aktiv zu werden. Jedoch auch nur, wenn die Website auf einem schweizerischen Rechner liegt.

«Schweizer Szene im Aufbruch»

Auch in der Schweiz beobachtet der NDB die rechtsextreme Szene. 2018 verzeichneten die Behörden 53 rechtextrem motivierte Ereignisse, jedoch keine Gewalttaten. Im aktuellen Jahresbericht des NDB heisst es: «Die Schweizer rechtsextreme Szene ist im Aufbruch. Ob sie sich dabei auch in Richtung konkrete Gewaltanwendung bewegt, bleibt vorderhand unklar.»

«Die sozialen Netzwerke stehen in der Pflicht, krude rassistische Verschwörungstheorien, rechtsextremes Gedankengut und Aufrufe zu Gewalt umgehend zu entfernen», sagt Dominic Pugatsch, Geschäftsführer der GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus. Meldungen von Usern müssen noch ernster genommen werden, als dies heute der Fall sei.

Soziale Medien seien in der Pflicht

«Die Plattformen müssen das notwendige Know-how bereitstellen, um die Inhalte so schnell wie möglich prüfen und erkennen zu können – auch wenn ein Manifest zum Beispiel auf Schweizerdeutsch verfasst ist.» Falls dies nicht funktioniere, müsse man sich überlegen, ob es wie in Deutschland politischer Druck brauche – auch um potenzielle Attentäter zu identifizieren.

SP-Nationalrätin Tamara Funiciello findet es nicht hinreichend, bei Facebook und Youtube anzusetzen. «Das ist Pflästerlipolitik und wird kaum Anschläge verhindern. Es reicht einfach nicht.» Stattdessen müsse man das Problem an der Wurzel packen und Rechtsextremismus konsequent verfolgen sowie Rassismus bekämpfen.

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