Onlineprüfungen - ZHAW geht mit Überwachungstool gegen Schummler vor

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OnlineprüfungenZHAW geht mit Überwachungstool gegen Schummler vor

An der ZHAW werden Studierende bei Prüfungen gefilmt. Die Daten werden im Zweifelsfall ausgewertet. Zu viele Blicke am Bildschirm vorbei können als Betrugsversuch gelten.

Wegen Corona müssen an manchen Schulen und Universitäten Prüfungen zuhause geschrieben werden.
Die ZHAW hat dafür ein neues Tool, das Studierende während der Prüfung filmt und überprüft.
Wendet man die Augen zu oft vom Bildschirm ab, wird das registriert.
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Wegen Corona müssen an manchen Schulen und Universitäten Prüfungen zuhause geschrieben werden.

20min/Marco Zangger

Darum gehts

  • Die ZHAW hat ein Tool, das Studierende bei der Prüfung filmt.

  • Das Tool entscheidet, ob eine Aufnahme auffällig ist.

  • Diese werden von einem Menschen ausgewertet.

  • Ein Experte findet dieses Vorgehen nicht sinnvoll.

Die ZHAW hat ein neues Tool zur Kontrolle von Prüfungen, die im Homeoffice gemacht werden. Es heisst Proctorio und hat unter den Studierenden für Diskussionen gesorgt.

Proctorio ist ein Tool, das die Studierenden während der Prüfung filmt, auch Geräusche werden aufgezeichnet. Das Programm schaut genau hin: So misst es beispielsweise die Kopf- und Augenbewegungen. «Proctorio zeichnet die Aktivitäten der Studierenden während der Prüfung auf und analysiert diese im Nachgang der Prüfung mit Hilfe von Algorithmen auf mögliche Unregelmässigkeiten», sagt eine Sprecherin der ZHAW zu 20 Minuten.

Tauchen Unregelmässigkeiten auf, wird das Video von einer Person, in der Regel von dem zuständigen Dozenten oder der Dozentin, gesichtet. «Diese Personen entscheiden darüber, ob es sich um eine Auffälligkeit handelt, welche die Einleitung weiterer Massnahmen erfordert.»

Studierende mussten Verwendung zustimmen

«Das ist unnötiger Stress», sagt ein News-Scout zu 20 Minuten. Er findet, dass die Überwachung durch die ZHAW mit dem neuen Tool zu weit gehe. «Dass die Augenbewegungen kontrolliert werden, ist für mich eine Grenzüberschreitung», sagt er. «Jetzt darf man nicht mehr nach links oder rechts schauen, ohne dass man des Betrugs verdächtigt wird.

Zudem ärgert er sich darüber, dass die Studierenden keine Wahl hatten, als der Verwendung des Tools zuzustimmen. «Es gibt keine Alternative, die Prüfung vor Ort oder ohne Überwachung durchzuführen», sagt er. Bei anderen Prüfungen würden die Studierenden via Zoom beobachtet. «Das ist auch unangenehm.»

«Auch aus Datenschutzgründen bedenklich»

Die Überwachungsmethoden der ZHAW stossen auch bei Gymi-Lehrer und Digitalexperte Philippe Wampfler auf Unverständnis. «Proctoring-Tools kreieren einen unglaublichen Druck», sagt er. Jede Bewegung und jedes Geräusch wird aufgezeichnet. «Die Studierenden müssen die ganze Zeit daran denken, wie interpretiert das Tool, was ich jetzt gerade mache. Das führt zu einer grossen Verunsicherung.»

Zudem werde davon ausgegangen, dass alle Studierenden daheim optimale Arbeitsbedingungen haben. «Doch in Wirklichkeit gibt es Lärm und andere Ablenkungen, die vom Tool als Betrugsversuch gewertet werden können.»

Unter diesen Bedingungen können keine gute Prüfung abgehalten werden, sagt Wampfler. Auch aus Datenschutzgründen seien Aufzeichnungstools bedenklich: «Wo ich eine Prüfung schreibe, wie es bei mir aussieht und wo ich mit den Augen hinschaue – das geht doch die Hochschule nichts an.»

Die Software misst Auffälligkeiten

Angesprochen auf den Stress, den das Tool bei den Studierenden verursacht, sagt eine Sprecherin der ZHAW zu 20 Minuten: «Die ZHAW versteht, dass es für die Studierenden ungewohnt sein kann, erstmals über eine
Fernprüfungsaufsicht beaufsichtigt zu werden.»

Auffällige Verhaltensweisen, welche das Tool bemerkt, seien unter anderem: den Raum verlassen, weitere Personen auf dem Bild, ein überdurchschnittlicher Geräuschpegel, oder Blicke, die sich überdurchschnittlich oft vom Bildschirm wegrichten.

Die ZHAW versichert, dass niemand wegen zu vielen Blicken aus dem Fenster durch die Prüfung fallen werde. «Möglicherweise könnte ein Blick aus dem Fenster bei wiederholtem Auftreten als auffällig gekennzeichnet werden», räumt die Sprecherin ein. Doch am Schluss werde die Analyse von einem Menschen vorgenommen, der das in Kontext setzen könne.

Gemäss aktuellem Stand wird Proctorio bei rund einem Drittel aller Prüfungen, welche online stattfinden, eingesetzt und betrifft ca. 5000 Studierende, sagt die ZHAW-Sprecherin.

148 Disziplinarverfahren wegen Schummelei

Die Onlineprüfungen sind für Hochschulen eine Herausforderung. 2020 hat die ZHAW 148 Verfahren gegen Studierende eröffnet, die bei den Abschlussprüfungen geschummelt haben sollen. Auch an der Uni Zürich habe es letztes Jahr mehr Verfahren wegen unlauteren Prüfungsverhalten gegeben als sonst.

Kontrollieren via Zoom

Andere Schulen und Universitäten verzichten auf die permanente Überwachung von Studierenden während Prüfungen. Viele Schulen mit Fernprüfungen haben Prüfung an die neuen Gegebenheiten angepasst. «An einigen Fakultäten wird ein Abfragesystem verwendet, das es erlaubt, Prüfungsfragen zu randomisieren und Zeitlimiten einzustellen», sagt ein Sprecherin der Uni Bern zu 20 Minuten.

«Die Universität Zürich setzt vor allem auf Open-Book-Prüfungen, geschickte Prüfungsfragengestaltung, Fragen- und Reihenfolgenvarationen und Zugangskontrollen via UZH-Login», sagt ein Sprecher der Uni Zürich zu 20 Minuten.

An beiden Universitäten ist es den Dozierenden jedoch möglich, die Prüflinge via Zoom zu kontrollieren. «Aus Datenschutzgründen ist es jedoch nicht erlaubt, solche Videoüberwachungen aufzuzeichnen», sagt der Sprecher der UZH.

Zoom habe seine Grenzen, heisst es aus Bern, da keine 1:1-Kontrolle möglich sei und technisch maximal 45 Personen auf einem Bildschirm zu sehen sind. «Es ist der Universität Bern wichtig, den Studierenden grundsätzlich zu vertrauen.»

Auch am KV Zürich finden digitale Prüfungen statt, für die es kein Kontroll-Tool gibt, wie Rektor Christian Wölfle zu 20 Minuten sagt. Um das Schummeln möglichst zu verhindern, seien diese oft Open Book und zeitlich knapp berechnet. Auch hier gibt es die Möglichkeit, dass die Schülerinnen und Schüler während der Prüfung die Kamera einschalten müssen.

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