Schweiz versäumt Booster-Impfung  – Zögern des Bundesrats führt zu Impftourismus in Nachbarländern 

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Schweiz versäumt Booster-ImpfungZögern des Bundesrats führt zu Impftourismus in Nachbarländern

Lange Wartezeiten für über 65-Jährige und keine Booster-Impfung für alle vor dem Januar: Der Bund steht für sein Zaudern in der Kritik. Erste Impfwillige lassen sich deshalb im nahen Ausland boostern.

Das Boostern geht nun doch länger: Die Drittimpfung für alle kommt erst 2022.
Nur über 65-Jährige sind zur Booster-Impfung bislang zugelassen.
Der 39-jährige Florian Kohler holt sich seinen Booster an einer mobilen Impfaktion in Baden-Württemberg.
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Das Boostern geht nun doch länger: Die Drittimpfung für alle kommt erst 2022.

20min/Michael Scherrer

Darum gehts

Seit einer Woche wird in vielen Schweizer Kantonen rege geboostert: Über 65-Jährige, deren Zweitimpfung mindestens sechs Monate her ist, können sich nun ihre Auffrischungsimpfungen holen. Am Dienstag verkündete die Eidgenössische Impfkommission gar, dass sie per Ende November für alle die dritte Impfung empfehlen werde. Doch gibt es ein Problem: Nicht alle Behörden sind darauf vorbereitet. Viele Kantone haben ihre Impfzentren abgebaut und können die Impfkapazitäten nicht vor Neujahr wieder hochfahren. Die Booster-Impfungen werden älteren Menschen vorbehalten – und auch da hapert es, denn in einigen Zentren herrschen vor Ort lange Wartezeiten, die Hotlines sind überlastet und Termine ausgebucht.

Fachpersonen und Leute aus der Zivilgesellschaft zeigen sich enttäuscht. «Wir hätten ohnehin viel früher mit der dritten Dosis für ältere Personen anfangen sollen. Und eigentlich müssten diese jetzt schon geboostert sein», so Huldrych Günthard, Leitender Arzt und Infektiologe, am Samstag gegenüber der «Berner Zeitung».

Erste Impfwillige sind das Warten leid: Im nahen Ausland besorgen sie sich auf eigene Faust ihre dritte Dosis. Denn: In allen unseren Nachbarländern sind Booster-Impfungen auch für jüngere Menschen zugelassen (siehe unten).

«Fragen wurden keine gestellt»

Auch Florian Kohler (39) aus Langwiesen (ZH) gehört zu den «Impftouristen»: «Wegen meiner Frau, die zu den Risikopatienten gehört, habe ich meine Erst- und Zweitimpfungen sehr früh erhalten. Um sie zu schützen, entschied ich vorletztes Wochenende spontan, bei der mobilen Impfaktion im deutschen Gailingen mitzumachen», erzählt er. Und es funktionierte: Nicht mal drei Stunden später hatte er eine dritte Dosis im Arm und bekam sein neues Zertifikat vor Ort ausgedruckt. «Ich musste bloss meinen QR-Code und meine Krankenkassenkarte vorweisen, Fragen wurden keine gestellt.» Das deutsche Zertifikat habe er im Anschluss in die Swiss Covid App einlesen können, so Kohler. «Ich freute mich sehr, dass alles so problemlos ging!»

Dominique de Quervain, Professor für kognitive Neurowissenschaften und ehemaliges Mitglied der Taskforce, kann diese Handlung nachvollziehen: «Aufgrund der eindeutigen wissenschaftlichen Evidenz für den Nutzen des Boosters in allen Altersgruppen kann ich gut verstehen, dass die Leute den Booster jetzt wollen. Dass sie dafür ins Ausland fahren müssen, ist der Langsamkeit der Schweizer Politik und Behörden geschuldet. Jetzt ist es zentral, dass die Kantone ihre Impfkapazitäten maximal hochfahren.»

«Es ist jetzt nicht nötig»

Christoph Berger, Chef der eidgenössischen Impfkommission, ist da anderer Meinung: «Wer nicht warten kann, soll machen, was er will. Aber nötig ist es nicht.» Man schaue, dass alle Menschen in der Schweiz, die eine Impfung benötigen, rechtzeitig eine Impfung bekämen. Zuerst seien jetzt alle Personen über 65 Jahren an der Reihe: «So wollen wir primär schwere Verläufe verhindern und das Gesundheitssystem aufrechterhalten.» Es sei unlogisch, wenn sich junge Leute zum jetzigen Zeitpunkt zuerst einen dritten Shot holen gingen. Zudem mache es keinen grossen Unterschied, ob die Jüngeren jetzt oder in ein paar Wochen, wenn die Impfstoffe für alle Altersgruppen zugänglich werden, eine Booster-Impfung erhielten.

Dennoch ist einigen diese Wartezeit zu lange. «Mehrere Personen sind nach meiner Booster-Impfung auf mich zugekommen und haben mich gefragt, wie ich zu der Impfung gekommen bin. Das Interesse an Booster-Impfungen im Ausland dürfte mit der Ankündigung, dass in der Schweiz erst nächstes Jahr Booster-Impfungen für alle zugänglich sein werden, wohl noch einmal zunehmen», sagt Kohler. Wie lange das so problemlos gehe, sei allerdings fraglich. «Ich könnte mir vorstellen, dass ausländische Behörden nicht ewig tatenlos zusehen, wie Schweizer nicht nur fürs Einkaufen, sondern auch fürs Boostern über die Grenze kommen.»

So boostern unsere Nachbarländer

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