Zölibat«Geniesse viel mehr»: Junge Menschen leben freiwillig ohne Sex
Julia Fox offenbart, dass sie seit mehr als zwei Jahren glücklich im Zölibat lebt. Damit ist die Schauspielerin nicht allein – auf Tiktok geht das Thema viral. Wir haben eine Sexologin gefragt, was dahintersteckt.
Seit kurzem erzählen immer mehr junge Personen auf Tiktok von ihrem Leben im Zölibat. Die Datingplattform Bumble griff den Trend auf – und geriet vor wenigen Tagen wegen ihrer Kampagne mit dem Slogan «you know full well a vow of celibacy is not the answer» (Deutsch: «Du weisst ganz genau, dass ein Keuschheitsgelübde nicht die Antwort ist») ins Kreuzfeuer.
Julia Fox kommentierte einen der Posts mit dem Kommentar: «Zweieinhalb Jahre im Zölibat und es ging mir offen gesagt nie besser.» Mittlerweile hat Bumble die Kampagne zurückgenommen und eine Entschuldigung veröffentlicht.
Was hat es damit auf sich, dass die Entsagung von Sex gerade so grossen Zuspruch erfährt? Wir haben bei Sexualpädagogin Sarah Klapisch nachgefragt.
Über die Expertin

Sarah Klapisch ist Sexualpädagogin und Therapeutin und bietet auf Klapdoes.ch Beratungstermine an.
Zölibat meint nicht immer das Gleiche
«Nicht immer ist die Entscheidung, für einen längeren Zeitraum ohne Sex zu leben, mit dem Zölibat gleichzusetzen», berichtet Klapisch. «Das ist aber auch davon abhängig, wie man den Begriff für sich selbst definiert. Eine Nonne oder ein katholischer Priester leben aus anderen Hintergründen im Zölibat als eine nicht-gläubige, junge Person, die bei Tiktok von ihren Erfahrungen berichtet.»
Gleichzeitig sei das Zölibat auch ein Buzzword. Unter dem englischen Begriff Celibacy finden sich bei Tiktok 22’700 Beiträge, darunter einige, in denen es darum geht, bis zur Hochzeit mit dem Sex zu warten – eigentlich als Abstinenz bezeichnet. Der Duden definiert das Zölibat als «religiös begründete Standespflicht besonders der katholischen Geistlichen, sexuell enthaltsam zu leben und nicht zu heiraten».
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Die Gründe für den Verzicht auf Sex
Die online genannten Gründe sind hingegen andere. Viele Userinnen und User bei Tiktok berichten, dass sie sich vor allem auf sich selbst konzentrieren möchten. Auf einen Aufruf von 20 Minuten meldet sich Annie (33), die ein Jahr lang auf Sex verzichten möchte: «Ich habe gemerkt, dass sich meine Beziehung davor viel um Sex gedreht hat.» Auch ihre Freundschaft Plus, die sie danach hatte, sei nicht von dem Respekt geprägt gewesen, den sie sich wünsche. «Ich will mich selbst besser kennen lernen und damit einem neuen Partner oder einer neuen Partnerin auch das bieten können, was ich in einer Beziehung erwarte.»
Ich hatte vor zwölf Jahren das letzte Mal Sex.
Auch Jonathan (35) antwortet auf den Aufruf: «Ich habe es nie Zölibat genannt, aber ich hatte vor zwölf Jahren das letzte Mal Sex.» Dafür gebe es mehrere Gründe. «Der wichtigste ist wohl, dass ich irgendwann das Vertrauen in Frauen und an die ‹grosse Liebe› verloren habe. Meine zwei Trennungen waren so schmerzhaft, dass ich gedacht habe, ich lasse es besser.»
Abstinenz im Heilungsprozess
Klapisch nennt weitere Situationen, in denen oft zeitweise auf Sex verzichtet wird: «Im Heilungsprozess nach sexualisierter Gewalt und Traumata durch Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung kommt es häufig vor, dass man sich überlegt, eine Pause einzulegen.» Genauso sei es aber typisch, dass nach solchen Erlebnissen eine hypersexuelle Phase mit sehr viel und häufig risikoreichem Geschlechtsverkehr folge.
Auch bei einer Suchttherapie wegen Substanzen oder Verhaltensweisen sei es typisch, eine gewisse Zeit auf Sex zu verzichten, so Klapisch. «In solchen Momenten ist man vulnerabel und anfällig dafür, die entstandene Lücke mit Intimität füllen zu wollen. Daraus kann sich schnell eine Sucht entwickeln.»
Es geht mir dabei so gut wie noch nie.
Übrigens: Auf deinen Körper hat es keine Auswirkungen, wenn du aufhörst, Sex mit anderen zu haben. «Die physiologischen Vorteile, die man etwa durch einen Orgasmus geniesst, hat man bei der Masturbation genauso.» Julien (29) berichtet dazu: «Eigentlich hatte ich nie vor, auf Sex zu verzichten. Doch nachdem ich immer aufs Neue von Frauen einen Korb bekommen habe, lebe ich nun damit. Es geht mir dabei so gut wie noch nie – auf Selbstbefriedigung verzichte ich jedoch nicht.»
Die eigenen Bedürfnisse kommen zuerst
Selbstbestimmung und die Achtung der eigenen Bedürfnisse spielen eine grosse Rolle: «Die Bumble-Kampagne hat auch deswegen so viel Gegenwind bekommen, weil sie den Eindruck erweckt, Menschen vorschreiben zu wollen, wie sie mit ihrer Sexualität umgehen sollen. Dabei gibt es keinen richtigen oder falschen Weg, Sexualität auszuleben.»
Das könne sich im Laufe des Lebens mehrfach ändern: «Es ist ganz natürlich, sich immer wieder zu überlegen, was man aktuell möchte, was nicht und wo es vielleicht sinnvoll ist, zwischendurch eine kurze oder längere Pause einzulegen.» Das kann sich lohnen – Annie berichtet: «Ich merke, dass es meinen sozialen Umgang verändert hat. Ich gehe anders an Konzerte oder in den Ausgang, weil ich nicht mit der Idee hingehe, jemanden zu finden – so geniesse ich den Augenblick mit den Menschen, die bei mir sind, viel mehr.»
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