Verschwörungstheorien und Anzeige - Nach Corona-Demo in Bern – Zoff unter Massnahmenskeptikern

Publiziert

Verschwörungstheorien und AnzeigeNach Corona-Demo in Bern – Zoff unter Massnahmenskeptikern

Nach dem Demo-Rückzieher der «Freiheitstrychler» und «Mass-voll» hagelt es aus eigenen Reihen Kritik. Der Massnahmenkritiker Robin Spiri lässt nun verlauten, dass Nicolas A. Rimoldi ihn angezeigt habe.

An der illegalen Demonstration in Bern versammelten sich einige Hundert Massnahmen-Skeptiker.

20 Minuten

Darum gehts

  • «Mass-voll» und die «Freiheitstrychler» haben an den Demos vom Donnerstag nicht teilgenommen.

  • Nun wird ihr Rückzieher auf Telegram verurteilt.

  • Gemäss Aussage des Massnahmengegners Robin Spiri soll er von Nicolas A. Rimoldi eine Anzeige kassiert haben.

  • Weder «Mass-voll» noch Spiri wollten sich gegenüber 20 Minuten dazu äussern.

Donnerstag, 23. September 2021: Auf dem Berner Bundesplatz versammeln sich mehrere Hundert Massnahmen-Skeptiker, die Polizei ist mit einem Grossaufgebot präsent. Von den «Freiheitstrychlern» und der Bewegung Mass-voll sowie deren Aushängeschild Nicolas A. Rimoldi fehlt jedoch jede Spur. Die bisherigen Aushängeschilder des Protests sagten ihre Teilnahme tags zuvor an der Kundgebung nach Verhandlungen mit Berns Sicherheitsdirektor Reto Nause ab. Ihre Sympathisanten riefen sie ebenfalls dazu auf, nicht nach Bern zu reisen.

Nach diesem Rückzieher werden sie auf Telegram selbst zum Ziel von spöttischen und verachtenden Kommentaren. Als «Angsthasen» werden sie in den Telegram-Kanälen betitelt, als «Opfer», die «jetzt ihre Ehre retten und zu uns zurückkommen müssen», so der Tenor in den Telegram-Kanälen. Als «Verrat an der Freiheitsbewegung» wird die Absage gar auf Twitter gewertet.

Anzeige gegen Robin Spiri?

Auch auf der Ebene der Organisatoren scheinen sich die Massnahmenkritiker zu spalten: So teilt der Thurgauer Robin Spiri am Donnerstagabend auf Telegram mit, von Nicolas A. Rimoldi aufgrund einer getätigten Aussage eine Anzeige kassiert zu haben. Dazu schreibt er: «Wir bedauern das und halten euch auf dem Laufenden.» Stein des Anstosses ist eine Theorie, die in einem der Telegram-Kanälen die Runde machte: So soll es sich bei Rimoldi um einen Maulwurf der Regierung handeln und mit ihm soll ein Keil in die Bewegung getrieben werden. «Die Vermutungen scheinen sich immer mehr zu bestätigen, dass die Absage von Rimoldi und Mass-voll von heute ein taktisches Manöver war, um die Bürgerrechtsbewegung zu spalten», heisst es unter anderem.

Spiri wurde anfänglich mit einem Kanal bekannt, in dem sich Fitnessstudios, Restaurants und andere Betriebe einfanden, die ihren Kunden versprachen, kein Corona-Zertifikat zu verlangen. Aufgefallen ist der Steuerberater aber auch im Zusammenhang mit Pöbelszenen um den Impfbus beim Marktplatz Amriswil oder mit dem Teilen des Videos eines Wirts, der den Attentäter von Zug verharmlost und Drohungen gegen Gesundheitsminister Alain Berset ausgestossen hatte.

Mass-voll distanziert sich von Gewalt

Als 20 Minuten bei Spiri anruft, um eine Stellungnahme einzuholen, droht er sogleich mit einer Anzeige. Da seine Handynummer «geheim» sei, handle es sich um eine Datenschutzverletzung, so die Behauptung Spiris. Dass seine Handynummer in zahlreichen Werbeanzeigen seiner Steuerberatungsfirma öffentlich abgedruckt ist, scheint ihm nicht bewusst zu sein.

Auch «Mass-voll» wollte keine Stellungnahme zu der mutmasslichen Anzeige gegen Spiri abgeben. Viola Rossi, die erst vor Kurzem das Co-Präsidentenamt von Carla Wicki übernommen hat, sagt zu 20 Minuten: «Mass-voll ist eine friedliche und gewaltfreie Jugendbewegung. Unsere Mitglieder werden sowohl im Chat wie auch vor jeder Demo von uns darauf aufmerksam gemacht, den Frieden zu wahren.» Mass-voll versuche, auch während der Kundgebungen deeskalativ zu wirken und für eine ausgelassene Atmosphäre zu sorgen. Von den kritischen Stimmen liessen sie sich nicht entmutigen – sie gehörten dazu. «Die Entscheidung, gestern nicht nach Bern zu gehen, wurde sehr bewusst getroffen.»

«Radikale bestimmen die Wahrnehmung der Bewegung»

Michael Hermann ist Politologe und Leiter der Forschungsstelle Sotomo.

Michael Hermann ist Politologe und Leiter der Forschungsstelle Sotomo.

Marion Nitsch/Lunax

Innerhalb der Skeptiker-Szene kommt es zum Knatsch. Welche Gründe gibt es dafür?

Was innerhalb der Ränge der Massnahmenkritiker geschieht, ist häufig bei Bewegungen zu beobachten. Zuerst wachsen sie in die Breite, dann stagniert ihr Wachstum – was zur Folge hat, dass plötzlich ein Teil findet, er muss extremer werden, um wahrgenommen zu werden. Das führt zu Brüchen und die Bewegung wird so mehr und mehr geschwächt. Gleichzeitig erlangen die Extremen eine grosse Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit und können die Bewegung «kidnappen».

Wie hat sich das Verhalten der Massnahmengegner in den letzten Monaten verändert? Sind sie radikaler geworden?

Im letzten Winter, als der Bund erneut Schliessungen anordnete, gab es die Massnahmengegner in grossen Teilen der Gesellschaft. Die Menschen hatten genug, wollten wieder normal leben und schlossen sich gehäuft der Bewegung an. Als es dann wieder Öffnungen gab, sprangen viele wieder ab. Die Stimmung in der Mitte der Gesellschaft verbesserte sich.

Bei einem kleineren Teil fand jedoch eine Radikalisierung statt – und es sind grösstenteils die Radikaleren, die heute die Wahrnehmung der Bewegung bestimmen. Diesen Menschen geht es weniger darum, mehr Freiheiten in ihrem Alltag zu gewinnen, sondern mehr um den Kampf für ihre Ideologie. Sie stehen in grundsätzlicher Opposition zur Regierung und sehen sich als eine Art «Freiheitskämpfer».

Was kommt auf uns zu? Wird ein Teil der Gegner nun immer radikaler und gefährlicher?

Die bisherige Erfahrung zeigt, dass es in der Vergangenheit auch Phasen der Beruhigung gab. Allerdings ist es zurzeit schwierig zu sagen, wie es weitergeht. Wir könnten uns durchaus in einer eskalierenden Schlaufe befinden. Denn wenn die Gemässigteren der Massnahmenkritiker zunehmend wegfallen, bremsen sie die Bewegung nicht mehr. Die Radikalen können sich folglich weiter radikalisieren.

Gleichzeitig werden sie von den Medien mit Aufmerksamkeit belohnt. Es besteht auch eine gewisse Gefahr, dass die Kundgebungen vermehrt Krawalltouristen anziehen werden wie beispielsweise bei den 1.-Mai-Feiern.

Bereitet Ihnen diese Entwicklung Sorgen?

Ich bin der Ansicht, dass unsere Gesellschaft und die Institutionen stark genug sind, um mit so etwas umzugehen. Es ist jedoch nicht auszuschliessen, dass es gefährlich werden könnte. Die verstärkten Schutzmassnahmen für Politikerinnen und Politiker sind deshalb gut und wichtig – doch wäre es schlimm, wenn sie in diesem Mass aufrechterhalten bleiben müssten. In der Schweiz hatten wir bisher das Privileg, dass sich die Politik nicht einschliessen muss.

Hast du oder hat jemand, den du kennst, Mühe mit der Coronazeit?

Hier findest du Hilfe:

BAG-Infoline Coronavirus, Tel. 058 463 00 00

BAG-Infoline Covid-19-Impfung, Tel. 058 377 88 92

Dureschnufe.ch, Plattform für psychische Gesundheit rund um Corona

Safezone.ch, anonyme Onlineberatung bei Suchtfragen

Branchenhilfe.ch, Ratgeber für betroffene Wirtschaftszweige

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

My 20 Minuten

Als Mitglied wirst du Teil der 20-Minuten-Community und profitierst täglich von tollen Benefits und exklusiven Wettbewerben!

Deine Meinung zählt

141 Kommentare
Kommentarfunktion geschlossen