Taubenhilfe in Zürich: Eier gegen Kunsteier getauscht

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ZürichChantal jubelt Tauben mit dem Spaghetti-Löffel Kunsteier unter

Jede Woche treffen sich Chantal K. und Ally C. Sie gehen an Nistplätzen der Stadttauben auf Eiersuche und tauschen die Tauben- gegen Kunsteier aus. Damit wollen sie einen Beitrag zur Reduzierung der Population leisten und den Tieren helfen.

Tierschützerin Chantal checkt mithilfe ihres Handys, ob sich Eier im Spalt befinden.
Tauben nisten im Gegensatz zu anderen Vogelarten nur selten in Bäumen.
Ally C. und Chantal K. tauschen jede Woche Tauben- gegen Kunsteier aus.
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Tierschützerin Chantal checkt mithilfe ihres Handys, ob sich Eier im Spalt befinden.

20min/ Marco Zangger

Darum gehts

  • Chantal K. und Ally C. tauschen Taubeneier gegen Kunsteier aus, um die Population zu kontrollieren.

  • Die Stadttauben stammen von der Felsentaube ab und wurden einst als Brieftauben genutzt.

  • Tauben leiden unter schlechten Lebensbedingungen und Hunger in Städten.

  • Tierschützer fordern betreute Taubenschläge, um den Tieren artgerechtes Futter zu bieten.

Zürich: Es ist ein grauer und kalter Tag Ende Januar. Die Sonne kommt heute nur selten zwischen den dichten Wolken hervor, die kalt-nasse Luft zieht einem durch die Kleider. Es ist ein Wetter, bei dem man das Treiben draussen lieber von einem gemütlichen Café aus beobachtet.

Trotz der unwirtlichen Bedingungen treffen sich Chantal K. (41) und Ally C. (47) an diesem Donnerstagmittag draussen – unter einem Brückenbogen im Zentrum Zürichs. Wo genau, das möchten sie zum Schutz der Tauben lieber nicht sagen, denn viele Menschen reagieren mit Unverständnis. Dabei ist das, was sie tun, nicht illegal, sondern eher ein Dienst an der Allgemeinheit und auch am Tierschutz. Die zwei Frauen mit den feuerroten Haaren suchen die Brutplätze der Stadttauben nach Eiern ab und tauschen diese gegen Kunsteier.

Tauben kann man nicht kastrieren

«Den Tauben wurde vom Menschen ein Brutzwang angezüchtet», erklärt Ally. «Das bedeutet, dass sie sich auch fortpflanzen, wenn die Bedingungen schlecht sind. Also auch im Winter und bei schlechtem Nahrungsangebot.» Genau das möchten die beiden durch den Eiertausch verhindern. «Man kann das mit Kastrationen bei Hunden und Katzen vergleichen», fügt Chantal hinzu. «Durch den Eiertausch können wir verhindern, dass neues Tierleid entsteht.»

Von der Brieftaube zum unerwünschten Strassen-Vogel

Stadttauben sind unbeliebte Tiere – die meisten Menschen assoziieren sie mit Dreck und Krankheiten. Das war aber nicht immer so. In der Antike wurden die Tiere sogar verehrt. Die heutigen Stadttauben stammen von der Felsentaube ab, deren Domestizierung vor rund 5000 Jahren begann. Die Menschen nutzten die Taube als Eier-, Fleisch und Düngelieferant, aber auch als Briefübermittler. So zum Beispiel während des Ersten Weltkriegs. Irgendwann wurden Tauben für den Menschen nutzlos – und damit obdachlos. Circa 500 Millionen von ihnen leben weltweit auf den Strassen. Die Vogelwarte Schweiz schätzt die Anzahl brütender Paare hierzulande auf 20’000 bis 25’000.

Der Täuberich Cher Ami half den Amerikanern im Ersten Weltkrieg, eine wichtige Nachricht in ein umkämpftes Gebiet zu bringen. Er galt dort deswegen lange als Nationalheld.

Der Täuberich Cher Ami half den Amerikanern im Ersten Weltkrieg, eine wichtige Nachricht in ein umkämpftes Gebiet zu bringen. Er galt dort deswegen lange als Nationalheld.

United States Signal Corps

Um an die Eier zu kommen, kriechen die beiden Frauen in dunkle Ritzen unter der Brücke, wo die Tauben brüten. Es ist dreckig, überall liegt Tauben- und Entenkot. Chantal trägt eine Stirnlampe und einen Spaghetti-Löffel, mit dem sie versucht, die Eier aus den Ritzen zu fischen. Das sei auch deswegen schwierig, weil viele Tauben ihre Eier verteidigen, erklärt die 41-Jährige. «Ich muss dann sehr schnell sein, damit die Tauben auf den Kunsteiern in Ruhe weiterbrüten können.»

Bevor die Eier aber entfernt werden, durchleuchtet Ally sie mit der Taschenlampe ihres Handys. So sieht man, wie weit die Entwicklung des Embryos fortgeschritten ist. «Nach acht Tagen setzt das Schmerzempfinden ein. Dann legen wir das Ei zurück ins Nest.» Wenn das Ei aber noch frisch genug ist, platzieren die beiden es zum Beispiel im Wald. Dort dient es anderen Tieren als Nahrung.

Tierschützer fordern Taubenschläge

2024 haben beide 268 Eier gesammelt, im Vorjahr waren es 420. «Ich könnte mir wirklich etwas Schöneres vorstellen, als hier in der Schei**e zu knien», sagt Ally. «Aber solange es keine betreuten Taubenschläge gibt, sind die Tiere auf unsere Hilfe angewiesen.» Betreute Taubenschläge – sie sind das Stichwort, das bei Tierschützern immer wieder fällt. Dabei handelt es sich um kleine Ställe, in denen Tauben mit Futter versorgt werden und Brut- und Schlafplätze vorfinden. Auch dort werden die Taubeneier ausgetauscht. «In Bern gibt es acht betreute Taubenschläge, in der Stadt Zürich nur drei», berichtet Chantal. «Das ist nicht genug und bringt wenig. Denn die meisten Stadttauben werden sich selbst überlassen.»

«Ist die Entwicklung des Embryos noch nicht zu weit fortgeschritten?» Nur dann nehmen Ally und Chantal das Ei mit.

«Ist die Entwicklung des Embryos noch nicht zu weit fortgeschritten?» Nur dann nehmen Ally und Chantal das Ei mit.

20min/ Marco Zangger

Die Taubenschläge seien auch deswegen so wichtig für die Tiere, weil sie dort artgerechtes Futter bekämen. «Viele Tauben leiden Hunger. Sie fressen alles, was sie auf der Strasse finden: Essensreste, Erbrochenes und sogar Hundekot», erklärt Ally. Durch das schlechte Nahrungsangebot entstünde der flüssige «Hungerkot». Sie zeigt auf ein kleines, festes Häufchen, das zwischen viel flüssigem Kot unter der Brücke kaum zu sehen ist. «Das hier ist normaler Taubenkot.» Sie betont, dass kranke Tauben keine speziellen Gesundheitsrisiken für den Menschen darstellen. «Tauben übertragen nicht mehr Zoonosen als andere Tiere auch.»

Mehr Verständnis für die Tauben

Zahlreiche Tierschutzorganisationen, darunter «Stadttauben Schweiz» argumentieren ähnlich. Der Verein betont, dass gemäss einem Gutachten der Technischen Universität Darmstadt der Kot nur Schäden an Blech verursachen würde. «Auf mineralischen Baustoffen führt er zu keinen Veränderungen», heisst es auf deren Website. «Taubenkot ist ein rein ästhetisches und hygienisches Problem.» Das Fütterungsverbot, das ab 2023 in Zürich gilt, habe die Not der Vögel weiter verschärft, meint Chantal. «Tauben sind keine Wildtiere, sondern obdachlose Haustiere.» Von der Gesellschaft wünschen sich die Tierschützerinnen mehr Verständnis für die «gefiederten Freunde».

Was denkst du über Stadttauben in urbanen Gebieten?

Auf Anfrage von 20 Minuten kündigte die Stadt Zürich eine Stellungnahme zur Tauben-Problematik an, meldete sich aber bis Redaktionsschluss nicht.

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