Bluttat von Flaach ZHZwei Systeme, zwei Kindsmorde – wie weiter?
Seit dem Kindsmord von Flaach ist die Kesb unter Beschuss. Allerdings konnte auch ihre Vorgängerbehörde Familiendramen nicht verhindern.
An Neujahr 2015 löscht eine Mutter das Leben ihrer beiden Kinder aus. Eine Mitschuld an dem Drama von Flaach ZH trägt in den Augen vieler Leute die Kindesschutzbehörde (Kesb), die die Kinder davor in ein Heim geben liess. Sie entscheide zu bürokratisch, sei zu weit weg von den betroffenen Familien, kritisieren Politiker. Wütende Bürger deckten die Behörde deshalb gar massiv mit Drohungen ein.
Rückblende: Im Februar 2010 erstickt ein Vater aus Bonstetten ZH seinen vierjährigen Sohn in einem Winterthurer Hotel. Die zuständige Vormundschaftsbehörde hatte dem Vater das Sorgerecht zugesprochen. Dies, obwohl die Behörden wussten, dass er in den 1990er-Jahren versucht hatte, einen anderen Sohn zu töten. Der Fall warf hohen Wellen. Die Mutter warf der Vormundschaftsbehörde vor, am Tod des Buben mitschuldig zu sein und zog bis vor Bundesgericht.
Vom Laien-Gremium weggekommen
2013 wurden die in die Kritik geratenen Vormundschaftsbehörden schliesslich aufgelöst. Bis dahin sassen in diesen Gremien vor allem Laien, die politisch gewählt waren und keine fachlichen Vorgaben erfüllen mussten. Die neuen Kinder- und Erwachsenenschutzbehörden sollten professioneller und unabhängiger entscheiden. «Der Fall Bonstetten wäre bei einer Profi-Behörde kaum möglich gewesen», sagte der Zürcher Kesb-Präsident Ruedi Winet noch kurz vor dem Drama in Flaach in einem Radio-Interview. Die Tötung des vierjährigen Kindes habe die «Grenzen der Laienarbeit» aufgezeigt, hiess es im SRF-«Regionaljournal» Anfang Dezember.
Nun ist es also doch wieder passiert. Erneut starben Kinder, die von einer Vormundschaftsbehörde hätten beschützt werden sollen. Haben also beide Systeme versagt?
Der auf Kindesschutz spezialisierte Jurist und Sozialarbeiter Christoph Häfeli kann den Unmut der Bevölkerung gegenüber der neuen Behörde verstehen. Deswegen wieder zum alten System zurückzukehren, sei aber das falsche Signal. «Die früheren Vormundschaftsbehörden waren sicher günstiger und wahrscheinlich auch unbürokratischer.» Umgekehrt konnten mit der Kesb laut Häfeli aber auch viele qualitative Verbesserungen eingeführt werden. So würden heute bei den meisten Abklärungen die Kinder miteinbezogen. «Im alten System war das extrem selten», so Häfeli.
«Geografische Nähe war ein Nachteil»
Bei den Laien sei zudem das grosse Problem gewesen, dass es sich dabei vielfach um Leute aus dem Dorf handelte. «Die geografische Nähe hat sich tatsächlich als Nachteil herausgestellt. Wenn ich eine Familie persönlich kenne, bin ich automatisch befangen. In einem solchen Fall treffe ich eine schlechtere Entscheidung», sagte Häfeli. Den Vorwurf, dass die Kesb zu weit weg sei, will er deshalb nicht gelten lassen.
Für den Kindesschutz-Experten ist klar: Ein System ohne Fehler gibt es nicht. «Gerade deshalb muss sich die Behörde auch weiterentwickeln.» Als Beispiel nennt er die Einführung eines Pikettdienstes. Ein solcher Notfalldienst wurde 2012 vom Zürcher Kantonsrat aus dem Gesetz gekippt. «Aus Kostengründen», wie Häfeli bitter feststellt. Das Rad zurückzudrehen, wie es die Politiker fordern, findet er falsch: «Das bringt nichts.»