Titanic-UntergangHöflichkeit kann tödlich sein
Ein Forscher der Universität Zürich hat untersucht, wie sich die Passagiere beim Untergang der Titanic verhielten. Sein Fazit: Sogar wenn es um Leben und Tod geht, gelten soziale Normen. Vor allem die Briten standen vor den Rettungsbooten höflich hinten an.
Gemeinsam mit zwei australischen Forschern wertete der Zürcher Ökonom Bruno S. Frey anhand der Passagierlisten der Titanic aus, welche sozialen Gruppen die Katastrophe am ehesten überlebten. «Uns interessierte, wie sich Menschen verhalten, wenn es um Tod und Leben geht», sagte Frey am Freitag auf Anfrage zu Medienberichten.
Der Untergang der Titanic bietet dazu einzigartiges Material. Als der Luxusdampfer in der Nacht vom 14. April 1912 mit einem Eisberg kollidierte, gab es nämlich viel zu wenige Rettungsboote für die insgesamt rund 2200 Menschen an Bord. Über 1500 Passagiere und Crewmitglieder starben denn auch bei der Katastrophe.
Kinder und Frauen zuerst
Die Studie zeigt, dass viele Regeln der Zivilisation auch in dieser Extremsituation Bestand hielten. So wurde die Norm «Frauen und Kinder zuerst» weitgehend befolgt: Frauen hatten eine 53 Prozent höhere Überlebenswahrscheinlichkeit als Männer, Kinder eine um 15 Prozent höhere als Erwachsene.
Auch unter den Frauen gab es Unterschiede: Frauen mit Kindern und solche im gebärfähigen Alter überlebten eher als ältere Frauen. Das spricht laut den Forschern für die Richtigkeit soziobiologischer Erkenntnisse: Um das Überleben der Art zu sichern, ist es am besten, junge Individuen zu retten.
Vordrängelnde US-Amerikaner?
Allerdings kommt es offenbar nicht nur auf Alter und Geschlecht an: Die Studie zeigte auch, dass britische Passagiere eine etwa 10 Prozent kleinere Aussicht auf Rettung hatten als andere Staatsangehörige. Das stimme mit dem gängigen Bild des britischen Gentlemans überein, schreiben die Forscher in dem noch nicht in einer Fachzeitschrift publizierten Artikel.
Andererseits hatten US-Amerikaner eine überdurchschnittlich grosse Überlebenswahrscheinlichkeit, wie Frey sagte. Und zwar auch dann, wenn man mit statistischen Methoden ausschliesse, dass dies auf eine höhere Frauenquote oder höhere Zugehörigkeit zur ersten Klasse an Bord zurückzuführen sein könnte.
Reiche bevorzugt
Auch sonst gibt es Hinweise darauf, dass sich nicht alle an Bord selbstlos benahmen. Passagiere in der ersten Klasse hatten eine um 40 Prozent höhere Überlebenswahrscheinlichkeit als jene in der dritten. Die Forscher erklären dies damit, dass die reichen Passagiere bevorzugt wurden und die erste Klasse näher bei den Rettungsbooten lag.
Ähnliches wie für die betuchten Passagiere gilt für die Crew: Frey und seine Forscherkollegen errechneten, dass die Mitglieder der Schiffsmannschaft eine um 18 Prozent höhere Überlebenswahrscheinlichkeit hatten als die Passagiere. Auch sie hatten wohl einen Informationsvorsprung und den besseren Zugang zu den Rettungsbooten.
(sda)