«In der Schweiz könnte es 20 bis 50 Tote geben»

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Ebola-Epidemie«In der Schweiz könnte es 20 bis 50 Tote geben»

In Afrika breitet sich Ebola derzeit unkontrolliert aus. Das aggressive Virus könnte auch in die Schweiz kommen, so Virologe Marc Strasser.

Fee Riebeling
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Fee Riebeling

Herr Strasser, warum wütet das Ebola-Virus in Westafrika so stark?

Marc Strasser: Bei früheren Ausbrüchen handelte es sich um lokale Ereignisse in meist kleinen Dörfern. Jetzt sind zum ersten Mal Städte und mehrere Länder betroffen. Grund dafür ist sicher der gestiegene Personenverkehr. So breitet sich das Virus deutlich schneller und weitläufiger aus.

Experten gehen davon aus, dass Trauerrituale, bei denen die Hinterbliebenen den Verstorbenen noch einmal nahekommen, bei der Übertragung eine grosse Rolle spielen. Warum unterlassen sie das nicht?

Für die Menschen in Afrika ist der Glaube sehr wichtig. Deshalb gewichten sie das Infektionsrisiko weniger stark als ihre Rituale.

Das Virus tauchte 1976 zum ersten Mal auf und dann immer wieder. Warum gibt es keine Impfstoffe?

Es existieren bereits verschiedene Impfstoffvarianten. Und in Tierversuchen haben sie sich auch als sehr vielversprechend entpuppt. Aber klinische Studien stehen noch aus. Das ist letztlich eine Frage des Geldes. Weil es sich bei den Ausbrüchen bisher nur um lokale Ereignisse handelte, war das Interesse der Pharmaproduzenten schlichtweg zu klein, um zu investieren. Oder anders: Es fehlte der kommerzielle Nutzen. Das könnten die aktuellen Geschehnisse nun ändern. Allerdings ist es ethisch problematisch, diese Impfstoffe am Menschen zu testen. Denn um deren Wirkung überprüfen zu können, muss man sowohl geimpfte als auch nicht geimpfte Personen dem Virus aussetzen. Bis es so weit ist, dürfte es also noch dauern.

Für die aktuelle Epidemie kommt der Impfstoff also zu spät?

Das ist leider so. Zumal ein Impfstoff ja auch nur dann hilft, wenn er vor einer Ansteckung und flächendeckend verabreicht wird. Und das dürfte in Afrika schwierig werden: Die Menschen dort haben grundsätzlich Angst vor weissgekleideten Personen, weil sie schlecht aufgeklärt sind. Das führt zu einem fatalen Irrglauben: Weil sie gesehen haben, dass andere Betroffene nicht mehr aus dem Spital zurückgekommen sind, gehen sie erst gar nicht dorthin. Auf diese Weise kann ihnen nicht geholfen werden - und sie übertragen das Virus weiter.

Wie kann man die aktuelle Epidemie eindämmen?

Aus meiner Sicht ist es das einzig Richtige, die Bevölkerung noch besser aufzuklären und infizierte Personen zu isolieren. Das ist bei lokalen Ausbrüchen relativ einfach, aber jetzt erfordert es eine logistische Meisterleistung der lokalen Behörden. Grenzschliessungen wie teilweise in der Elfenbeinküste sind ein erster guter Schritt. Andere Länder sollten diesem Beispiel folgen.

Kann das Virus nach Europa gelangen?

Vor drei Wochen habe ich gesagt: Die Chancen sind gering. Jetzt muss ich sagen: Es ist möglich. Denn die Inkubationszeit liegt zwischen zwei und 21 Tagen. Da kann es gut sein, dass trotz aller Vorsichtsmassnahmen Infizierte unbemerkt einreisen.

Macht Ihnen das Angst?

Angst nicht, aber Sorgen.

Hat die Schweiz einen Notfallplan?

Für Ebola gibt es diesen nicht explizit, aber für andere Erkrankungen wie Pocken oder Influenza. Diese Pläne könnte man für Ebola adaptieren. Das wären zum Beispiel Isolierstationen an den Flughäfen. Wenn ein Fluggast während der Reise Symptome zeigt, würde er nach der Landung sofort isoliert. Auch die anderen Passagiere würden in Quarantäne gesteckt. Denn das Wichtigste ist es, die Ausbreitung zu verhindern. Trotzdem müsste man in einem solchen Fall mit 20 bis 50 Toten in der Schweiz rechnen.

Sollte man derzeit von Reisen nach Westafrika absehen?

Das zu beurteilen ist Sache des Bundesamts für Gesundheit. Ich persönlich würde es machen, aber ich würde versuchen, Körperkontakt mit den Menschen zu vermeiden, denn das Virus verbreitet sich nicht durch die Luft, sondern durch Körperflüssigkeiten, Blut oder Gewebe. Menschen ohne virologisches Wissen würde ich momentan davon abraten.

Marc Strasser ist Leiter Virologie des Labor Spiez, dem Schweizerischen Instituts für ABC-Schutz.

So schätzt das BAG die Situation ein

Das BAG beobachtet die Situation in Afrika aufmerksam; der Ausbruch hat eine bislang unbekannte Grösse erreicht. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit eines Ebola-Falls in der Schweiz nach heutiger Einschätzung sehr klein (es gibt bisher keine Erkrankungen ausserhalb Afrikas). Sollte der unwahrscheinliche Fall trotzdem eintreten, wäre die Schweiz vorbereitet und medizinisch ausgerüstet. Seitens BAG sind bis auf Weiteres keine speziellen Massnahmen geplant.

Auch das Expertenkomitee für Reisemedizin Safetravel stuft das Risiko für Reisende derzeit als gering ein.

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